Ein
Darf der Mensch alles, was er kann?

02.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:52 Uhr
Professor Markus Rothhaar analysiert die Grenzen der Wissenschaft. −Foto: Johannes Hauser

Ingolstadt (DK) Ein Student spielt in einer Ingolstädter Dachstube Gott. Victor Frankenstein erschafft einen künstlichen Menschen. Die Folgen sind fürchterlich - ein warnendes literarisches Beispiel für Hybris und Gewissenlosigkeit. Ein Gespräch mit dem Ethikprofessor Markus Rothhaar über die Risiken der Biotechnik und die Grenzen einer verantwortungsvollen Wissenschaft.

Herr Professor, in China ist vor Kurzem zum ersten Mal ein Primat geklont worden. Ist das eine gute Nachricht?

Markus Rothhaar: Eigentlich nicht. Zum einen bedeutet der Erfolg einer Klonung von Primaten, dass das Klonen von Menschen in greifbare Nähe rückt. Zum anderen stellt sich natürlich die Frage, was überhaupt der Sinn dieser Form des Klonierens sein soll. Man kann sich natürlich streiten über das Klonieren von Embryonen zu Forschungszwecken. Das sehe ich auch sehr kritisch. Aber es gibt unter den Befürwortern des Klonens zu Forschungszwecken einen weitgehenden Konsens, dass das sogenannte reproduktive Klonen - also Klonen wirklich mit dem Ziel und Zweck, ein erwachsenes Leben zu kreieren, das die genetische Kopie eines schon existierenden Lebewesens ist - eigentlich keinen nachvollziehbaren und ethisch zu rechtfertigenden Sinn hat. Es ist nach wie vor auch zu gefährlich, weil in vielerlei Hinsicht noch unklar ist, ob so ein Klon nicht doch massive genetische Schädigungen aufweisen würde.

 

Die Diskussion bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Fortschrittsoptimismus und Technikkritik. Sie führt oft zu einem Dilemma. Die hier wohl entscheidende Frage lautet: Darf der Mensch alles, was er kann?

Rothhaar: Offensichtlich nicht. Wir könnten jetzt rausgehen und die Gebäude der Uni Eichstätt in die Luft sprengen. Das technische Wissen dafür haben wir, aber natürlich dürfen wir es nicht. Aber die Frage zielt ja darauf ab: Dürfen wir alles tun, was technisch machbar ist? Ich denke nicht. Man könnte etwa Wachkomapatienten als Organspender benutzen. Das wird teilweise in bioethischen Diskursen debattiert. Das wäre technisch möglich, aber das darf man nicht - aus nachvollziehbaren ethischen Gründen.

 

Da drängt sich die Frage auf: Wer legt diese Grenzen fest? Und mit welcher Berechtigung?

Rothhaar: Diese Grenzen muss der Gesetzgeber festlegen. Und er wäre gut beraten, wenn er die ethische Debatte mit einbeziehen und auf die ethischen Argumente hören würde, was etwa in der Enquetekommission gut funktioniert hat. Der Bundestag hat damals - gut informiert - rechtliche Regelungen etwa zur Stammzellenforschung getroffen. Letztlich gibt der die Grenzen der Forschung vor, der im demokratischen Rechtsstaat dafür zuständig ist.

 

Aber es kann sich immer ändern. Jeder Bundestag kann andere Gesetze beschließen. Dann stünden wir vermutlich irgendwann vor einer ethischen Grenze. Doch wer legt die fest?

Rothhaar: Wenn Sie verschiedene Ethiker fragen, bekommen Sie natürlich verschiedene Antworten. Das muss sich in einem ethischen Diskurs herauskristallisieren. Da gibt es auch verschiedene kulturelle Hintergründe. In Deutschland ist man vorsichtiger gegenüber biotechnischen Innovationen wie Klonen, Stammzellenforschung et cetera. Das hat auch mit den Erfahrungen aus dem Dritten Reich zu tun. Aber vielleicht nicht nur. Sondern auch damit, dass man ein Bewusstsein dafür hat, dass technischer Fortschritt manchmal erhebliche negative Konsequenzen hat. Das ist eine Sache, die zum Beispiel in Großbritannien, also vor einem anderen kulturellen Hintergrund, vielleicht gar nicht so gesehen wird. Also: Es gibt breite ethische Debatten, in denen sich die ethischen Grenzen herauskristallisieren müssen. Vielleicht auch in verschiedenen Ländern unterschiedlich.

 

Sie haben einige umstrittene Forschungsfelder genannt, die in den meist hochemotionalen gesellschaftlichen Diskursen zu Minenfeldern werden können. Es scheint, als würden viele Debatten nie enden. Stehen wir hier vor unlösbaren Konflikten?

Rothhaar: Sicher, die Debatten schreiten immer voran. Wobei wir in der Bundesrepublik als verbindlichen Rahmen das Grundgesetz haben, und ich habe schon den Eindruck, dass unsere Verfassung in den bundesdeutschen Ethikdebatten einen sehr guten Rahmen abgibt.

 

Das Grundgesetz trat 1949 in Kraft. Damals gab es noch keine Gentechnik. Die Entdeckung der Molekularstruktur des menschlichen Erbguts gelang erst 1953.

Rothhaar: Man muss unser Grundgesetz natürlich immer im Hinblick auf die konkreten Fälle interpretieren und anwenden. Wenn Sie mich als Philosophen der Uni Eichstätt fragen, würde ich etwa bei der embryonalen Stammzellenforschung zu Vorsicht raten, weil es sehr gute Argumente dafür gibt, auch Embryonen und Föten als Träger von Menschenwürde anzuerkennen. Es gibt aber auch Philosophen, die das völlig anders sehen. Auf philosophischer Ebene wird das immer weiterdiskutiert, aber auf gesetzgeberischer Ebene muss das geklärt werden.

 

Man hört oft den Begriff "Ethik des Heilens": Er bezieht sich auf Verheißungen der Medizin dank neuer Entdeckungen und Entwicklungen, die Kranken Hoffnung spenden. Wie ordnen Sie das ein?

Rothhaar: Auch das hängt wieder von der Schlüsselfrage ab: Betrachten wir menschliche Embryonen als Träger von Menschenwürde und Menschenrechten? Wenn das der Fall ist, dann zieht - juristisch gesagt - der "Vorrang von Abwehrrechten gegenüber Anspruchsrechten". Dafür gibt es ein berühmtes Beispiel: Sie sind Arzt. Sie haben fünf Patienten. Jeder Patient braucht ein anderes Organ oder er stirbt in kürzester Zeit. Und jetzt kommt ein gesunder junger Mann mit Schnupfen in die Praxis, der die fünf Organe bereitstellen könnte. Aber man darf ihn natürlich nicht umbringen, um mit seinen Organen die fünf Patienten zu retten. So viel zur Ethik des Heilens. Das steht aber wie gesagt unter der Voraussetzung, dass man davon ausgeht, dass Föten und Embryonen Träger von Menschenwürde und Menschenrechten sind.

 

Mary Shelleys vor 200 Jahren erschienener Roman heißt "Frankenstein oder Der moderne Prometheus". Der Titan Prometheus aus der griechischen Mythologie stahl den Göttern das Feuer und brachte es zu den Menschen. Er begründete damit deren Zivilisation, wofür er vom Göttervater Zeus hart bestraft wurde. Wie beurteilen Sie als Philosoph den Fall Prometheus?

Rothhaar: Der Prometheus-Mythos ist in der Geschichte und der Literatur immer unterschiedlich betrachtet worden. Auf der einen Seite hat man Prometheus als Kulturheroen, der die Menschen in gewisser Weise unabhängig macht von den Göttern, weil sie jetzt mit der Kraft des Feuers ihr eigenes Leben gestalten können. Auf der anderen Seite wird im Prometheus-Mythos das große Thema der Hybris behandelt, der Versuch des Menschen, sich an die Stelle Gottes oder der Götter zu setzen und sein eigener Schöpfer zu werden. Es gibt in den aktuellen bioethischen Debatten eine breite Strömung, die genau das propagiert, nämlich der Trans-Humanismus. Dessen Vertreter sagen: Der Mensch muss sich von der Natur abkoppeln. Er muss zum Schöpfer seiner eigenen biologischen Ausstattung werden. Das geht schon Richtung Cyborg, also ein Mischwesen aus Mensch und Maschine. Das geht Richtung Nanotechnologie mit Medikamenten oder mit Doping - und das macht man unter Umständen auch mit der Veränderung des menschlichen Genoms, was in den vergangenen Jahren auf eine neue Stufe getreten ist.

 

Prometheus ist also eine hochaktuelle Figur.

Rothhaar: Ja. Hochaktuell. Im Grunde sind die Trans-Humanisten auch Leute, die der Auffassung sind, man müsse Prometheus wiederbeleben, damit der Mensch zum Schöpfer seiner eigenen Natur wird.

 

Das Motiv der menschlichen Hybris, das Gott-spielen-Wollen, zieht sich wie ein roter Faden durch die Mythologie und Literatur. Wir haben Ikarus, der fliegen will wie ein Vogel. Prometheus führt zu Pandora, eine vom Gott des Feuers aus Lehm geschaffene Frau. Ihre berühmte Büchse birgt alles Böse dieser Welt. Im Mittelalter finden wir im Dunstkreis der Alchimisten die Vorstellung vom Homunculus, einem künstlichen Menschen. Dann der Gelehrte Faust, der einen Pakt mit dem Teufel schließt. 1932 erschien Aldous Huxleys düsterer Roman "Schöne Neue Welt", in dem es um grausame Eingriffe in das menschliche Leben vor und nach der Geburt geht. Warum bewegt das Motiv der Hybris die Menschen seit Jahrtausenden?

Rothhaar: Die Hybris ist sicher ein typisches Thema des westlichen Denkens. Im chinesischen Denken findet man das nicht so in der Form. Das hat damit zu tun, dass der Mensch an irgendeinem bestimmten Punkt begreift, dass er durch Technik große Macht über die Natur gewinnt - und damit auch große Macht über sich selbst. Gleichzeitig gibt es den Gedanken aus Religionen, dass es Gott ist, der das Privileg hat, die Natur zu schaffen. Das ist vermutlich auch der Grund, warum es in vielen fernöstlichen Kulturen den Hybrisgedanken nicht gibt, weil dort die Vorstellung von einem Schöpfergott fehlt. Aber wenn der Mensch vom schöpfenden Gott ausgeht und seine technischen Fähigkeiten dahingehend immer mehr erweitert, bis er Phänomene, von denen er bisher dachte, sie lägen allein in der Macht Gottes, plötzlich selbst beherrscht, tut sich ein Zwiespalt auf. Daraus entsteht so etwas wie ein schlechtes Gewissen, das sich in solchen Hybris-Mythen ausdrückt. Die enden fast immer damit, dass derjenige, der versucht, sich auf eine Stufe mit den Göttern zu stellen, dafür bestraft wird.

 

Sie haben ausgeführt, dass ethische Grenzen verhandelt werden müssen. Machen wir jetzt noch mal den Sprung zurück zu dem geklonten Affen: Glauben Sie, dass es irgendwem mal gelingen wird, Menschen zu klonen - also in gewisser Weise das zu vollziehen, was Victor Frankenstein vollzogen hat?

Rothhaar: Auf der einen Seite ist das eine naturwissenschaftlich-technische Frage. Ohne ein wirklicher Experte auf diesem Gebiet zu sein, würde ich sagen: Wenn das Klonen bei Primaten funktioniert, wird es irgendwann auch bei Menschen machbar sein. Ich fürchte auch ein bisschen, dass es irgendwo auf der Welt einen geben wird, der es wirklich macht, wenn die Technik dazu entwickelt ist. Dafür kennen wir unsere Wissenschaftler dann doch gut genug! Ob das in dem Land, in dem er es wagt, dann legal sein wird, ist eine andere Frage. Es gibt eine UN-Deklaration, deren Unterzeichner sich zumindest in dem Punkt einig sind, dass das reproduktive Klonen weltweit verboten sein sollte. Da gibt es einen sehr breiten Konsens. Ich bin aber auch ziemlich sicher, dass es kein Land geben wird, dass das Klonen von Menschen in naher Zukunft legalisieren wird. Wenn es jemand versuchen wird, was wohl nicht zu vermeiden, aber natürlich zu verurteilen ist, wird das in der Illegalität geschehen.

 

Das heißt, ein Victor Frankenstein würde für sein Werk eines künstlichen Menschen heute keinen Nobelpreis bekommen?

Rothhaar: Vermutlich eher nicht. Wieder kein Nobelpreis für die Universität Ingolstadt!

 

Das Gespräch führten Johannes Hauser und Christian Silvester.