Einmischung ausdrücklich erwünscht

29.10.2009 | Stand 03.12.2020, 4:32 Uhr

Politisches Quintett: Das Podium im Altstadttheater war hochkarätig mit OB Alfred Lehmann (3.v.l.) und den Chefs der Stadtratsfraktionen besetzt (v.l.): Petra Kleine (Grüne), Achim Werner (SPD), Joachim Genosko (CSU) und Peter Gietl (FW). Den Einsatz gab DK-Chefredakteur Michael Schmatloch (neben dem OB). - Foto: Herbert

Ingolstadt (DK) Das Kreuz auf dem Stimmzettel, Leserbriefe im DK, Bürgerbegehren, Infostände, Petitionen, Sprechstunden von Abgeordneten – die Bürger haben verschiedenste Möglichkeiten, sich in die Politik einzumischen. Seit Mittwoch gibt es ein weiteres Forum: die Quartalsabrechnung im Altstadttheater.

Die politischen Akteure direkt mit den betroffenen Bürgern zu konfrontieren – das gelang gleich am ersten Abend. Zu der von Intendant Johannes Langer und DK-Chefredakteur Michael Schmatloch moderierten Veranstaltung waren etwa 60 interessierte Ingolstädterinnen und Ingolstädter gekommen. Die Politik war nicht nur auf dem Podium mit allen vier Fraktionsvorsitzenden stark vertreten, sondern auch mit vielen Stadträten im Publikum.

"Beide Seiten müssen Verständnis füreinander entwickeln." Dieser Appell von CSU-Fraktionschef Joachim Genosko, gleichermaßen gültig beim Thema Altstadtlärm wie bei der umstrittenen Nachverdichtung in Wohnvierteln, verhallt im Alltag meist ungehört, wie sich in der Diskussion zeigte.

"Das ist Terror"

Denn eine ungestörte Nachtruhe in der Innenstadt verträgt sich eben häufig nicht mit den Aktivitäten mancher Kneipenbesucher, die lärmend durchs Zentrum ziehen. "Seit fünf, sechs Jahren ist das Terror", schimpfte Hermine Siering, die in der Mauthstraße wohnt und dort ein Geschäft betreibt, "da stimmt was nicht mehr in der Stadt. Ich kann’s nicht mehr ertragen." Spontane Reaktion von OB Alfred Lehmann: "Sie übertreiben’s ein bisschen. Ich wohne 30 Meter entfernt und schlafe hervorragend."


Doch die flapsige Bemerkung des Rathauschefs war der Auftakt für eine durchaus ernsthafte Auseinandersetzung um den richtigen Weg für die Altstadt. Sobald sich die Streifzüge der Nachtschwärmer aus dem "Umfeld der Gaststätten" entfernten, gab Peter Gietl (FW) zu bedenken, "sind die Möglichkeiten sehr beschränkt".

Nach Einschätzung von Achim Werner (SPD) ist die Stadt an einem Punkt angelangt, an dem sie Prioritäten setzen muss. "Da ist mir dann die Wohnbevölkerung in der Altstadt wichtiger." Petra Kleine (Grüne) ist selbst seit langem Altstadtbewohnerin. "Ich möchte auf jeden Fall eine lebendige Innenstadt, auch nach Geschäftsschluss." Diskotheken dürften nicht ausschließlich in Gewerbegebiete abwandern, forderte die Stadträtin.

"Da geht’s rund"

"Marodierende Gruppen werden nachts von der Polizei nicht aufgehalten", beklagte ein Bürger aus dem Publikum, was ein Polizeibeamter nicht unwidersprochen stehen lassen wollte: "Die fahren von einem Einsatz zum anderen, da geht’s die ganze Nacht rund."

Die wachsende Brutalität und Rücksichtslosigkeit von Randalierern ist auch ein gesellschaftliches Problem, da waren sich alle einig. Aber was tun dagegen? "Das ist doch unsere Stadt", sagte der OB beschwörend und etwas ratlos, "die vollgepinkelt wird, die vollgekotzt wird, die verschandelt wird!" Jedenfalls werde die Stadt die "Kontrollintensität" bei bestimmten Lokalen verstärken und sich für mehr Polizeipräsenz im Zentrum einsetzen. "Aber die allgemeinen Verhaltensweisen werden wir nicht in den Griff kriegen."


Auch beim zweiten Schwerpunkt des Abends, der massiven Verdichtung von Wohnvierteln, lautete der Rat Genoskos: "Ich halte viel von Verhandlungslösungen." Doch darauf wollen Sabine und Manfred Brandhofer nicht vertrauen. "Wir sind von der Stadt total im Stich gelassen worden", warf der Ehemann dem OB vor, "das ist absolut frustrierend."

Die Brandhofers wohnen in einem Viertel mit Einfamilienhäusern an der Spitalhofstraße und bekommen jetzt neue Nachbarn, und was für welche. Auf dem Grundstück nebenan habe die Stadt ein Sechs- und ein Dreifamilienhaus genehmigt, Wandhöhe elf Meter. Dies sei "massivste Verdichtung", eine "absolute Mauer".

OB Lehmann warb um Verständnis für das Vorgehen seiner Verwaltung. Auch der Nachbar auf dem freien Grundstück habe Rechte, sofern sich sein Vorhaben in die Umgebung einfüge. Und die genehmigte Geschossflächenzahl (GFZ 0,5) bleibe völlig im üblichen Rahmen. "Die Tendenz ist: je innenstadtnäher, desto intensivere Bebauung."

Während Gietl für das Instrument des einfachen Bebauungsplans plädierte, warnte Genosko davor, sich große Hoffnungen zu machen. "Bebauungspläne führen dazu, dass plötzlich alle Ausnahmegenehmigungen haben wollen." Der CSU-Fraktionsvorsitzende sieht hier einen Trend zur "zunehmenden Individualisierung des Bauens".

Für Achim Werner steht eine "geordnete Entwicklung" in Wohngebieten im Vordergrund. "Das war einmal", widersprach ihm Grünen-Stadträtin Kleine. Seit der Baurechtsreform hätten die Bauherren einfach mehr Freiheiten. "Ich wüsste nicht, wie ich Ihnen helfen soll", wandte sich Kleine an die Brandhofers, die sich schlecht behandelt fühlten und weiter eifrig mitdiskutierten. Da blieb in der Auftaktveranstaltung gar keine Zeit mehr für das dritte Thema, das Fahrradfahren in Ingolstadt.