Ingolstadt
Eine Familie kämpft für Gleichberechtigung

27.06.2017 | Stand 02.12.2020, 17:52 Uhr
Eine Familie kämpft um ihre Rechte: Die Exners sind gehörlos. Immer wieder fühlen sie sich benachteiligt. Auch jetzt wenn es um den Führerschein von Tochter Jeannine und Sohn Elvis geht. Die Führerscheinstelle verlangt ein teures Gutachten, das die Exners selbst bezahlen sollen. −Foto: Hammer

Ingolstadt (DK) Jeannine Exner und ihr Bruder Elvis kämpfen seit ihrer Kindheit um jedes bisschen Gleichberechtigung. Sie sind von Geburt an gehörlos. Auch beim Führerschein haben sie das Gefühl, benachteiligt zu sein. Die Führerscheinstelle verlangt ein teures Gutachten, das die Familie bezahlen soll.

Taubstumm - ein Wort, das Jeannine Exner, ihr Bruder Elvis und viele andere Gehörlose überhaupt nicht mögen. Taubstumm impliziert, dass sich die beiden Ingolstädter nicht verständigen können. Das ist aber nicht der Fall. Sie kommunizieren und drücken sich aus, in Gebärdensprache. Mit dieser verschaffen sich das Geschwisterpaar und die Eltern Alexander und Anett Exner jetzt Luft - zu oft haben sie sich in ihrem Leben benachteiligt gefühlt. Und das nur wegen ihres Handicaps: Die Exners sind gehörlos.

Auch jetzt glaubt die Ingolstädter Familie, dass ihnen wieder einmal wegen ihrer körperlichen Einschränkung Steine in den Weg gelegt werden. Dieses Mal geht es um den Führerschein von Tochter Jeannine (17) und Sohn Elvis (19): Die beiden dürfen nur den Führerschein machen, wenn sie sich vorher fachärztlich untersuchen lassen. Das verlangt die Führerscheinstelle. Dabei wird unter anderem geprüft, "ob alle anderen Sinnesfunktionen intakt sind, insbesondere das Sehvermögen sowie das periphere und zentrale Gleichgewichtsorgan", heißt es in einem Schreiben der Führerscheinstelle, das die Familie Exner im Mai erhielt. Die Behörde beruft sich auf die Fahrerlaubnisverordnung (FeV), die ein solches Gutachten für Gehörlose anordnet.

485 Euro pro Kind kostet die Familie diese ärztliche Bescheinigung. Dazu kommen noch die Gebühren für einen Gebärdensprachdolmetscher. Vater Alexander Exner, Vorsitzender des Gehörlosenvereins Ingolstadt, kann da nur den Kopf schütteln. Er klagt: "In diesem Fall merkt man wieder, dass wir finanziell stärker belastet sind als andere Familien, die nicht gehörlos sind. Wir bleiben auf den Kosten für das Gutachten und den Dolmetscher sitzen. Das ist eine Benachteiligung und mit dem Konzept von Inklusion nicht vereinbar."

Er wundert sich über das Gutachten umso mehr, wenn er an die Zeit zurückdenkt, als er selbst in der Fahrschule saß. Exner machte 1990 seinen Führerschein - und das ohne Probleme, wie er erzählt: "Ich musste zwar auch eine Art Gutachten vorlegen. Das war aber bei Weitem nicht so teuer wie heutzutage." Er erwartet, dass die Führerscheinstelle, die das Gutachten verlangt, doch zumindest für die Dolmetscherkosten aufkommt.

Der Vater steht mit seiner Meinung nicht alleine da. Auch Stadtrat Achim Werner, Kreisvorsitzender des VdK Ingolstadt-Eichstätt, kann die Anordnung des Gutachtens nicht nachvollziehen: "In der Regel ist es doch so, dass bei gehörlosen Menschen die anderen Sinne sogar besser ausgeprägt sind als bei Hörenden. Im Zeitalter der Inklusion gehört die Bestimmung der Fahrerlaubnisverordnung auf den Prüfstand", sagt er. Deshalb will der VdK zusammen mit Alexander Exner jetzt eine Petition in den Deutschen Bundestag einbringen, um die Fahrerlaubnisverordnung in diesem Punkt prüfen zu lassen.

Nicht nur, wenn es um den Führerschein geht, haben es Gehörlose schwer. Auch im Beruf haben Menschen, die nicht hören können, laut Alexander Exner große Nachteile zu erleiden, weil Gebärdensprachdolmetscher fehlen. Überhaupt einen Ausbildungsplatz oder eine Arbeitsstelle zu finden sei eine Herausforderung - "und das, obwohl Gehörlose eigentlich in fast jedem Bereich arbeiten könnten", klagt Exner. Auf Arbeitgeberseite dominieren offensichtlich immer noch Berührungsängste und die Sorge vor unüberwindbaren Kommunikationsproblemen, was dazu führt, dass die Arbeitslosenrate unter Gehörlosen besonders hoch ist.

Michael Klarner von der städtischen Pressestelle betont, dass es sich bei der Anordnung des Gutachtens um einen "normalen Vorgang" handele. "Wer gehörlos oder hochgradig schwerhörig ist, kann den Führerschein machen, aber er braucht eben eine ärztliche Bescheinigung, dass er zum Führen eines Kraftfahrzeugs in der Lage ist. Das ist gesetzlich so geregelt." Indizien dafür, dass die Familie in diesem Fall benachteiligt wird, gebe es seiner Ansicht nach nicht.

Exner und seine Frau möchten trotz der hohen Kosten ihren Kindern den Führerschein ermöglichen - damit sie größere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben.