Ingolstadt
Ein Summen im Untergrund

Wildbienen-Kolonie hat sich am Ufer des Stausees eingenistet - Sorge wegen Insektensterbens weiter groß

23.04.2018 | Stand 23.09.2023, 3:00 Uhr
Blüten am Feldrand sieht man mittlerweile viel zu selten, bedauert Bienenexperte Günter Koch. Auch in vielen Gärten werde der Löwenzahn als Unkraut bekämpft, obwohl doch viele nützlichen Insekten auf Blüten angewiesen seien. −Foto: Hauser

Ingolstadt (DK) Das aktuelle Insektensterben alarmiert Experten. Ingolstädter Naturfreunde freuen sich deswegen besonders, dass zuletzt eine Kolonie seltener Bienen das Ufer des Stausees besiedelt hat.

Spaziergänger fühlten sich in den vergangenen Wochen an der Staustufe unvermittelt stark umschwärmt. Am Nordufer des Stausees zwischen Kraftwerk und Donaupavillon summte und brummte es vernehmlich. Allerdings nicht in den blühenden Bäumen, sondern im Gras darunter und selbst unter der Erde. "Es ging zu, als hätte jemand einen Bienenschwarm vergraben", berichtet Günter Koch, der als Naturschutzwächter in Ingolstadt für Wespen, Bienen und Hummeln zuständig ist. Bereits am Karfreitag sei ihm die Kolonie aufgefallen, am Montag darauf summten hier so viele Bienen, dass das Umweltamt entschied, das Areal zu schützen. Warnschilder wiesen auf die Seidenbienen-Kolonie hin.

"Das ist durchaus etwas Besonderes", sagt Koch. Die Bestände vieler Wildbienenarten seien zuletzt dramatisch geschrumpft. Einige stehen kurz vor dem Aussterben. Auch wenn das Bewusstsein für das Insektensterben zuletzt gewachsen sei, wüssten viele noch immer zu wenig über das Ausmaß und die möglichen Folgen, bedauert Koch. "Ich hoffe nur, Albert Einstein hatte nicht recht", sagt er. Dem berühmten Physiker wird das Zitat zugesprochen: "Wenn die Biene einmal von der Erde verschwindet, hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben." Tatsächlich hat der Naturwissenschaftler diesen Spruch nie getätigt, aber er lenkt zumindest die Aufmerksamkeit auf die Dramatik der Situation.

Koch freut sich, dass die Hinweisschilder des Umweltamtes nicht nur die Bienen schützten, sondern die Menschen offenbar auch neugierig gemacht haben. "Viele Leute haben nachgefragt." Tatsächlich ist das Verhalten der Seidenbienen durchaus spannend, wenn man sich einmal damit beschäftigt oder es sogar in in natura beobachten kann: Die allermeisten Wildbienen leben solitär. Anders als etwa Honigbienen bilden sie keine Schwärme, sondern jedes Tier lebt im Wesentlichen für sich. Allerdings schließen sich etwa die Frühlings- oder Weiden-Seidenbienen für die Brut - wie jetzt am Stausee - zu Kolonien zusammen. Jede Biene gräbt einen verästelten Gang in den sandigen Grund, an dessen Ende zwei Eier gelegt werden. Dazu kommt Pollen als Nahrung für den Nachwuchs. Aus dem ersten Ei schlüpft ein Männchen. Einige Tage schwirren die Drohnen über der Kolonie, bis die Weibchen schlüpfen. Kaum hat sich eine Biene aus der Erdhöhle befreit, stürzen sich mehrere Drohnen auf sie. Koch berichtet, dass sich Knäule von liebestollen Bienen gebildet haben. Ein eindrückliches Schauspiel für jeden, der in dieser Zeit an der Staustufe vorbeigekommen ist.

Mittlerweile ist wieder Ruhe eingekehrt. Nur noch einzelne Seidenbienen summen über dem durchlöcherten Boden. Die Warnschilder wurden am Wochenende wieder eingepackt.

Der Naturschutzwächter hofft, dass das Bewusstsein für das Bienen- und Insektensterben weiter wächst. "Das geschieht natürlich am besten, indem man die Bevölkerung für die Zusammenhänge in der Natur interessiert", ist er überzeugt. Wie dramatisch die Situation ist, könne man derzeit etwa bei einer Fahrt über die Autobahn erleben. Noch vor einigen Jahren, war an einem schönen Sommertag die Windschutzscheibe übersät von Insekten. Heute ist es viel seltener nötig, das Glas zu reinigen. "Experten schätzen, dass in den vergangenen Jahren die Hälfte aller Insekten verschwunden ist", so Koch. Er selbst hat einen weiter Hinweis darauf, wie angespannt die Situation bereits ist, auch wenn es auf den ersten Blick paradox erscheint: "Im vergangenen Jahr wurde ich 20-mal gerufen, um Wespen oder Hornissennester im Stadtgebiet umzusiedeln." Gewöhnlich sei das nur rund fünf Mal im Jahr der Fall. "Die Wespen kommen aus dem Land in die Stadt", glaubt Koch. Die Tiere sind für die Aufzucht ihrer Jungen darauf angewiesen, andere Insekten zu jagen. Nur gebe es die in den Fluren immer weniger, so der Experte. Wie Vögel weichen auch Insekten deswegen zunehmend in die Stadt aus, wo nicht flächendeckend Pestizide ausgebracht werden und auch noch mehr Blüten zu finden sind, als auf den industriell genutzten Agrarflächen. Mag sein, dass es in der Stadt bald mehr summt als in den Feldern drum herum.

Johannes Hauser