Die Saison 1973
Coup auf dem Eis

Manfred Schuhmann und Ritchie Herbert über die unerwartete Erfolgsgeschichte des ERC

07.06.2013 | Stand 03.12.2020, 0:03 Uhr

 

Die Saison 1973/74 fiel voll ins Wasser: Im Künettegraben, einzige Spielstätte des 1964 gegründeten Eissport- und Rollschuhclubs (ERC), trieben die Einzelteile der selbst gezimmerten Bande wie kleine Flöße. Kein Eis, nirgends. Den ganzen warmen Winter über.

Bescheidene Verhältnisse. Aber die Begeisterung der Schanzer für Eishockey überdauerte alle Durststrecken. Der ERC etablierte sich als Nummer eins des Sports in Ingolstadt und ist es bis heute geblieben. Der Weg führte in die oberste Liga. Ein Erfolg, den selbst glühende Fans lang nicht erwartet haben, etwa Manfred Schuhmann, ERC-Präsident von 1982 bis 2003, oder Ritchie Herbert, ERC-Stürmer von 1991 bis 1995. Im Gespräch mit Christian Silvester erklären beide den Aufstieg des ERC und die Liebe der Schanzer zum Eishockey.

Herr Schuhmann, wissen Sie noch, wie viel ein ERC-Mitglied unter 14 Jahren anno 1964 für das Schlittschuhlaufen im Künettegraben bezahlen musste?

Manfred Schuhmann: Vielleicht ein Fuchzgerl?

 

Ein Zehnerl. Erwachsene 30 Pfennige. Wie haben Sie damals die Zukunft des ERC gesehen?

Schuhmann: Die Zukunft war, Eishockey populär zu machen und vor allem die jungen Leute zu begeistern. Der Traum war, mit dem eigenen Nachwuchs die Mannschaft zu verstärken. Gut, damals hat keiner geahnt, dass der ERC mal in der DEL spielt.

 

Die glorreichen Zeiten begannen 1974 mit der Eröffnung des Stadions an der Jahnstraße.

Schuhmann: Unvergessen ist vor allem das Spiel 1978 gegen Farchant mit 6000 Zuschauern, als die Leute sogar in den Bäumen gehockt sind. Wahnsinn!

 

Wieso ist Eishockey und nicht Fußball die Sportart Nummer eins in Ingolstadt geworden?

Schuhmann: Weil Eishockey eben ein fantastischer Sport ist!

 

Fußball auch.

Schuhmann: Nein, Fußball ist im Prinzip langweilig. Wenn da jemand 2:0 führt, ist in der Regel das Spiel gelaufen. Beim Eishockey kann sich ein Spiel in fünf Minuten komplett drehen. Früher hat es ja noch viel mehr Tore gegeben beim Eishockey, da sind normale Spiele 8:5 oder 11:3 ausgegangen.

Herbert: Für mich war immer die Schnelligkeit des Spiels am interessantesten. Die Faszination des Eishockeys liegt auch am Tagesrhythmus, das heißt: Jeder kann jeden an jedem Tag schlagen. Die Teams sind heute so ausgeglichen, dass man nie vorhersagen kann, wie das Spiel ausgeht. Das macht den großen Reiz aus. Ich habe mal einen bekannten Ingolstädter, der mit dem ERC und dem FC 04 zu tun hat, gefragt, wo er hingeht, wenn beide gleichzeitig spielen. Er hat gesagt: „Zum ERC natürlich, denn Fußball ist langweilig.“

Schuhmann: Die Stimmung ist beim Eishockey besser. Das war sie auch schon in der offenen Halle an der Jahnstraße.

Herbert: Dass Eishockey in Ingolstadt so beliebt ist, liegt auch an der besonderen Beziehung zwischen dem Team und den Fans, wie sie zu meiner Zeit gewesen ist. Die Zuschauer hatten die Gelegenheit, die Spieler nachher zu treffen, ein Bier mit ihnen zu trinken. Ganz locker, auf Augenhöhe. Ingolstadt ist eine Arbeiterstadt, die Leute sind deshalb sehr bodenständig.

 

Liegt die Popularität des ERC vielleicht auch daran, dass die Fußballclubs MTV und ESV nie große Kracher gewesen sind?

Schuhmann: Sicher war es für den Aufschwung des ERC wichtig, dass der Fußball über Jahre darniedergelegen ist. Erst jetzt ist der FC 04 eine ernsthafte Konkurrenz. Eishockey ist auch deshalb so populär geworden, weil es neu war, und weil viele kanadische Spieler wie der Ritchie gekommen sind, die eine lockere Art auch im Umgang mit dem Publikum hatten. Die haben Fußballspieler nicht.

Herbert: Es gibt auch große Unterschiede in der Fankultur. Wir merken das ja gerade beim Fußball an den Ultras. Das ist beim Eishockey anders.

Schuhmann: Die Fankultur ist ganz wichtig! Im Eisstadion an der Jahnstraße haben viele ihren Stammplatz gehabt, das haben alle akzeptiert. Die haben ihre Styroporplatten und Glühweinflaschen dabeigehabt. War das immer eine herzliche Begrüßungszeremonie! Ich erinnere mich etwa an eine Dame, die weit über 80 war, und bei jedem Spiel am selben Platz stand. Mei, diese Verbundenheit!

 

Mit der Professionalisierung des ERC hat sich einiges verändert. Wie viel Business verträgt so eine gemütliche Fankultur?

Herbert: Jede Sportart entwickelt sich und muss sich auch entwickeln. Ich kenne aber viele Fans, die bis heute kein einziges Spiel in der Saturn-Arena (in Betrieb seit 2004, d. Red.) gesehen haben, weil die Fankultur im alten Stadion ihr Traum war. Sie können mit der Profi-Entwicklung nichts anfangen.

 

Dafür spielt der ERC seit Jahren ganz oben mit.

Schuhmann: Das Schöne ist, dass sich auch im gemeinnützigen Verein wieder viel tut, die Nachwuchsarbeit etwa ist professionalisierter. Und wenn wir über Wandel reden: Wer hätte sich vorstellen können, dass mal eine Frau die Eishockeyabteilung leiten wird? Daniela Mack. Tolle Geschichte!

 

Der ERC hat so manchen Wandel erlebt. Ende der 80er wäre er fast in die Pleite geschlittert.

Schuhmann: Da war die Abteilungsleitung nicht professionell genug. Man hat schlicht und einfach von dem Geschäft zu wenig verstanden. Ich hab’ mal einen Kanadier ins Klinikum gefahren, der gegen die Bande geknallt ist. Da sagt der zu mir: „Mr. Schuhmann, Entschuldigung, dass ich so viel verdiene, wollte ich eigentlich nicht.“ Die große Wende kam dann in den 90ern mit dem Engagement von Lutz Dreisbach und Leo Stiefel. Heute ist die Infrastruktur fast optimal. Wir werden auch noch eine dritte Halle bekommen.

Herbert: Ich hatte vor 20 Jahren nie das Gefühl, dass die volle Professionalisierung das Ziel ist. Und auch nicht die DEL.

Schuhmann: Die erste Stufe war, als wir diese bescheidene Holzhütte gebaut haben. Da ist der gesellschaftliche Wandel angegangen, dass Sport zum Event wird. In der VIP-Hütte wollten natürlich viele dazugehören. Die DEL ist sehr spät das Ziel des ERC geworden, eigentlich erst zwei Jahre vor dem Aufstieg.

 

Wer oder was hat letztlich den Unterschied gemacht?

Herbert: Mein alter Kumpel Jimmy Boni (1999 bis 2003 Trainer, heute Sportdirektor, d. Red.). Er war ehrgeizig und hatte ein Ziel. Mit Jimmy ging’s richtig los.