Ingolstadt
Die Obergrenze des freien Marktes

In vier von zehn Schanzer Wohnungen leben die Eigentümer selbst, für viele Mieter wird es finanziell eng

17.04.2019 | Stand 02.12.2020, 14:10 Uhr
Wohnkontraste: Was Anfang des 20. Jahrhunderts entstand (Foto oben links), wird heute in Form von Hochhäusern wie dem IN-Tower am Nordbahnhof fortgesetzt. Das Eigenheim im Grünen war über Jahrzehnte eine bevorzugte, noch finanzierbare Wohnform. −Foto: Eberl, Hauserxxx

Ingolstadt (DK) Wer in Deutschland das Wort Enteignung in den Mund nimmt, der setzt sich sofort dem Verdacht aus, er plane einen Umsturz nach bolschewistischem Vorbild. Dabei zeigt das derzeit vieldiskutierte Berliner Volksbegehren ("Deutsche Wohnen enteignen") doch nur, dass sich der Kostendruck für viele Mieter Jahr für Jahr verschärft und Normalverdiener in Existenznot treiben kann - und zwar nicht nur in der Hauptstadt Berlin.

Peter Karmann, der Chef der Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft in Ingolstadt (GWG), ist fern davon, einer Enteignung im Immobilienmarkt das Wort zu reden. "Das ist mit Sicherheit nicht der richtige Weg, dadurch entsteht keine einzige neue Wohnung." Doch auch er bekennt: "Eine gewisse Sorge ist da, dass schon die Mittelschicht spürt, wie die Mietpreise ein Ausmaß erreicht haben, das Einschnitte im Lebensstandard verursacht."

Was Ingolstadt betrifft, ist der GWG-Geschäftsführer einigermaßen zuversichtlich. Nach jahrelang andauerndem Preisanstieg sei nun eine Grenze erreicht, "die tatsächlich die Obergrenze ist". Einen weiteren Spielraum sieht er nicht mehr. "Wer soll das noch bezahlen?"

Die überwiegend städtische GWG als größte Wohnungseigentümerin Ingolstadts zählt gewiss zu den Akteuren, die eher zu einer Entspannung auf dem Immobilienmarkt beitragen. "Wir benötigen auch Gewinn, aber nur mit der Intention, das Geld in der Firma zu lassen. Wir nutzen unser Kapital, um weiteren Wohnraum zu schaffen." Denn "dieser Markt", davon ist Karmann überzeugt, "wird sich nie ganz von selber regeln". Die Sozialwohnungsquote soll in Ingolstadt von derzeit 8,6 auf 11 Prozent erhöht werden, der Freistaat Bayern hat seine Fördermittel aufgestockt und die Einkommensgrenzen stark erweitert.

Mit Abstand größter Investor bei den Sozialwohnungen ist die GWG, die gerade zwei ehrgeizige Neubauprogramme umsetzt. Von den laut städtischer Statistik rund 5700 Ingolstädter Sozialwohnungen gehören ihr allein über 4000, zweitgrößter Anbieter ist bei den öffentlich geförderten Wohnungen das Gundekarwerk der Kirche mit rund 1100 Wohnungen am Standort Ingolstadt.

Wer auf dem freien Markt eine Mietwohnung sucht, bewegt sich in Ingolstadt auf einem überdurchschnittlich teuren Pflaster. Aber wie teuer genau? Das SDG-Portal zur Nachhaltigkeit (Sustainable Development Goals), das unter anderem vom Städtetag und der Bertelsmann-Stiftung betrieben wird, nennt für Ingolstadt folgende Steigerung der durchschnittlichen Nettokaltmiete pro Quadratmeter: von 8 bis 9 Euro im Jahr 2012 auf 11 bis 12 Euro im Jahr 2016. Aktuellere Werte liegen diesem Portal nicht vor. Bis ins erste Quartal 2018 reichen dagegen die Preisangaben der Makler im Immobilienverband Deutschland (IVD). Ein Vergleich zwischen dem ersten Quartal 2014 und dem ersten Quartal 2018 fällt hier so aus: Ältere Wohnungen (Baujahr vor 1950) stiegen bei gutem Wohnwert von 9,50 auf 10,90 Euro, Erstbezugswohnungen von 11,50 auf 13,60 Euro pro Quadratmeter. Bei neuen Reihenmittelhäusern mit gutem Wohnwert wird der Anstieg im gleichen Zeitraum so beziffert: von 1180 auf 1360 Euro.

Bei den IVD-Zahlen macht Karmann allerdings eine gewisse Einschränkung: "Es wird nicht die ganze Bandbreite dargestellt." Die Angaben würden nur Mietwohnungen erfassen, die auf Plattformen und in Anzeigen erscheinen, nicht jedoch die "preisgünstigeren Bestandsmieten". Der Anteil öffentlich geförderter Wohnungen komme nicht zum Tragen.

Die große Frage ist ja überhaupt, wie viele Ingolstädter auf eine Mietwohnung angewiesen sind, und wer in der glücklicheren Lage ist, in den eigenen vier Wänden zu leben. Helmut Schels, Statistikexperte der Stadt, bezieht sich auf den bislang letzten umfassenden Zensus des Landesamtes für Statistik. Der stammt zwar aus dem Jahr 2011, dürfte aber im Wesentlichen heute die gleichen Ergebnisse liefern.

Demnach waren 38,9 Prozent aller Wohnungen in der Stadt von den Eigentümern selbst bewohnt, 58,5 Prozent vermietet, 2,4 Prozent standen leer, 0,2 Prozent galten als Ferien- oder Freizeitwohnungen. Nach Einschätzung von Schels ist die Schanzer Eigentumsquote relativ hoch. "Wir haben viele eingemeindete Ortschaften. Anders als in vergleichbaren Städten ist die gemischte städtisch-ländliche Struktur ganz typisch für Ingolstadt." Die auf das Jahr 2015 hochgerechneten Zensuswerte ergeben eine Wohneigentumsquote von 40 Prozent. Die eigentliche Ursache für die in Ballungsräumen wie München geradezu explodierenden Immobilienpreise ist der knappe Grund und Boden, genauer: die unkontrollierte Spekulation mit diesem wertvollen Gut. Darauf versucht seit Jahren der mittlerweile hochbetagte Münchner Alt-OB und Ex-Bundesminister Hans-Jochen Vogel aufmerksam zu machen. Doch sein Appell an die Politik, endlich die Bayerische Verfassung ernst zu nehmen, bleibt bisher ohne Konsequenzen. In Artikel 161 heißt es dort eindeutig: "Steigerungen des Bodenwertes, die ohne besonderen Arbeits- und Kapitalaufwand des Eigentümers entstehen, sind für die Allgemeinheit nutzbar zu machen."