Der letzte Weg führt in die Flammen

30.10.2009 | Stand 03.12.2020, 4:32 Uhr

Würdevoller Abschied: Im Krematorium von Mainburg können Angehörige bis ganz zum Schluss bei ihren Verstorbenen sein. - Fotos: Milenz

Ingolstadt / Mainburg (DK) Der große Raum mit den hohen, weiß gestrichenen Wänden und den Glasfronten ist an diesem kalten Herbsttag in warmes Sonnenlicht getaucht. Farbige Gemälde und Blumensträuße schaffen eine wohlige Atmosphäre – und doch wünscht sich kein Mensch den Tag herbei, an dem er diesen Ort betritt. Denn hier heißt es für immer Abschied nehmen.

Würdevolle Ruhe

Mitten im Raum steht Stefan Eichmeier. Der schlanke, dunkelhaarige Mann mit den jungenhaften Zügen ist der Leiter des Krematoriums in Mainburg, und das Zimmer, in dem er sich befindet, ist für Trauerfeiern gedacht. "Wir wollen den Angehörigen die Gelegenheit bieten, ihre Verstorbenen bis zum Ende zu begleiten und sich hier in aller Ruhe von ihnen zu verabschieden", sagt Eichmeier mit ernster Miene.

Etwa 2000 Tote werden in dem Krematorium jedes Jahr eingeäschert. In fünf Prozent der Fälle nehmen die Hinterbliebenen das Angebot wahr, dabei zu sein, wenn der Sarg mit ihrem Verstorbenen in den Ofen geschoben wird. Das sind Momente, die auch dem 29-jährigen Betriebsleiter nahe gehen. Denn die Trauer der Angehörigen, wenn ihre Lieben den Flammen übergeben werden, ist kaum zu ermessen. Es fließen Tränen, und die würdevolle Stille wird von leisem Schluchzen durchbrochen.

Und doch entscheiden sich die Hinterbliebenen ganz bewusst dafür, in diesem letzten, endgültigen Moment, dabei zu sein, denn "dann haben sie Gewissheit und können dadurch ihren Schmerz besser verarbeiten", erzählt Eichmeier, während er durch das Krematorium führt. Überall zeigt sich das selbe Bild: Die hohen, lichtdurchfluteten Räume wirken einladend und freundlich – auf den ersten Blick ist nichts davon zu sehen, dass dies ein Ort des Todes ist. Vielmehr strahlt er eine würdevolle Ruhe aus. Eine Ruhe, die nicht nur von dem Respekt den Toten gegenüber getragen wird, sondern auch von dem Bemühen, das Leben in seiner Schönheit zu genießen.

Respektvoller Umgang

Die eigene Existenz zu schätzen, das ist eine der großen Lehren, die Stefan Eichmeier aus seinem Beruf gezogen hat. "Weil es oft schneller geht, als uns lieb ist", steht auf einem Plakat, das er in seinem Büro aufgehängt hat. Und das Zitat ist für den sympathischen Mann längst zu einem Leitspruch geworden. "Es ist ja nicht so, dass nur alte Menschen sterben", sagt er und lächelt verlegen. Überhaupt ist er ein Mensch, der gerne lacht. Wenn es um seine Person geht, zieht Eichmeier immer wieder vergnügt die Mundwinkel nach oben. Doch sobald es um die Menschen geht, die er auf ihrem letzten Weg begleitet, wird er sofort wieder ernst. "Uns ist sehr daran gelegen, jedem Verstorbenen den gebührenden Respekt zukommen zu lassen."

Daher ist das gesamte Gebäude mit moderner Sicherheitstechnik ausgestattet. Überwachungskameras sollen gewährleisten, dass jeder Verstorbene während des gesamten Einäscherungsprozesses pietätvoll behandelt wird.

"Viele Besucher sind positiv überrascht, wenn sie hier her kommen", erzählt Eichmeier, der auf Anfrage auch Führungen anbietet. Und tatsächlich, schwarz qualmende Schornsteine oder unangenehmen Geruch sucht man hier vergebens. Das 2008 eingeweihte Krematorium ist eines der modernsten Deutschlands und hat mit den sich hartnäckig haltenden Schauergeschichten nichts gemein.

Der blaue Verbrennungsofen aus Schamott erstreckt sich über zwei Stockwerke und funktioniert vollautomatisch. Bei 700 bis 800 Grad werden die Verstorbenen hier knapp zwei Stunden lang verbrannt, bis am Ende nur drei bis vier Kilo Asche übrig bleiben. Diese besteht hauptsächlich aus Kalcium und Magnesium, das heißt aus den Bestandteilen der Knochen. "Der Mensch besteht ja großteils aus Wasser, und das verdampft während des Einäscherungsverfahrens" erklärt Eichmeier geduldig. Um Verwechslungen auszuschließen kommt auch noch ein feuerfester Stein mit in den Ofen. Auf diesem Stein ist eine Nummer vermerkt, die dem Verstorbenen zugeordnet ist. Damit wird sichergestellt, dass auch wirklich die richtige Asche in die richtige Urne kommt.

Es ist Eichmeier wichtig, das zu betonen, denn immer noch haben seiner Ansicht nach zu viele Menschen ein falsches Bild im Kopf, über das, was in einem Krematorium passiert. "Ich werde immer wieder mit Vorstellungen konfrontiert, die mit der Wahrheit überhaupt nichts zu tun haben."

Viele Mythen

Zum Beispiel der Mythos, dass sich die Asche mehrerer Menschen vermischen könnte. "Das ist nicht nur falsch, sondern technisch auch schlichtweg unmöglich", erklärt der ruhige Betriebsleiter. "Der Verbrennungsprozess ist von modernsten Machinen punktgenau gesteuert. Außerdem wird der Vorgang laufend überwacht." Trotz der vielen Vorurteile bleibt Eichmeier immer gelassen und freundlich. Nicht nur, weil es ihm ein Anliegen ist, das negative Bild über seine Branche beiseite zu schieben, sondern auch, weil er weiß, dass jeder Mensch das Recht hat, respektiert zu werden. Sowohl vor seinem Tod als auch danach.