Dass
Die klassische Stärke ausspielen

Der etablierte Einzelhandel muss der wachsenden Onlinekonkurrenz nicht ängstlich und hilflos gegenüberstehen

04.08.2016 | Stand 02.12.2020, 19:27 Uhr

Foto: DK

Ingolstadt (DK) Ist der Onlinehandel der Tod des klassischen Ladengeschäfts? Wohl kaum - wenn sich etablierte Geschäftsluete technisch auf neue Kundenansprüche einstellen und dabei ihre alte Stärke nicht vernachlässigen: die kompetente Beratung. Schlaglichter in den Ingolstädter Einzelhandel zeugen von einem längst begonnenen Wandel.

Dass ein Kaufmann seine Warenbestände mit einem elektronischen Datensystem kontrolliert, ist längst Standard. Wer hier noch auf Zettelwirtschaft vertraut, muss schon ein sehr exklusives Spartengeschäft betreiben oder nicht mehr die Absicht haben, seinen Laden noch etwas länger über die Runden zu bringen. Mit anderen Worten: Wer diesen Zug verpasst hat, ist eigentlich schon weg vom Fenster oder in der Regel zumindest auf dem besten Weg, sich aus dem Geschäftsleben zu verabschieden.

Mittlerweile sind im Handel allerdings noch ganz andere Züge unterwegs. Kunden finden fast alles, was sie sich als Neuanschaffung vorgenommen haben, im Internet - inklusive Preisvergleich über entsprechende Portale. Wer nicht gleich im Netz bestellt, weiß sich dort aber zumindest gut zu informieren und den Einzelhändler am Ort womöglich beim nächsten Besuch mit seinen (Preis-)Vorstellungen unter Druck zu setzen. Oder, für den etablierten Handel noch schlimmer: Der vorgebliche Käufer lässt sich im Laden bis ins Detail informieren, sammelt hier womöglich auch noch haptische Erfahrungen am Produkt - und bestellt dann daheim am Rechner irgendwo in der Welt.

 

VIELE SIND VERUNSICHERT

 

Muss also jeder, der einen klassischen Laden in der Stadt betreibt, ab sofort oder besser noch ab gestern selber mit seinem Sortiment im Internet präsent sein, was sicher neue Kosten verursacht, aber noch keine Garantie für bessere Geschäfte darstellt? Diese und ähnliche Fragen treiben im Cyberzeitalter viele Geschäftsleute um, wie man bei den Dachorganisationen des Handels schon länger verspürt.

Auch die Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern kann nur bestätigen, dass gerade im Kreis der vielen kleineren Händler Handlungsbedarf erkannt, vor allem aber Informationsbedarf verspürt wird: "Es ist ein Thema, aber wir merken, dass viele erst einmal distanziert sind, weil sie nicht wissen, wie sie an die Sache herangehen sollen", erklärt Markus Pillmayer, bei der Münchner IHK Referent für Touristik, Wirtschaft und E-Commerce.

Der Fachmann, der für Interessierte auch längst einiges Infomaterial bereithält, hat festgestellt, dass etliche Händler sich für ihr neues Geschäftsmodell zu großen Ballast aufladen: "Die glauben, dass sie ein digitales Schaufenster und einen Onlineshop benötigen und dass sie zudem bei den großen Handelsplattformen im Internet und auch noch in den sozialen Medien präsent sein müssen - und dann noch nebenher das eigentliche Ladengeschäft führen können. Das ist dann oft ein bisschen zu viel."

Tatsächlich, sagt Pillmayer, seien die Anforderungen an den Einstieg ins Onlinegeschäft je nach Branche durchaus verschieden. Unverzichtbar seien bei einer Entscheidung in diese Richtung eigentlich nur zwei Dinge: "Digitalisierung muss Chefsache sein, und der Laden muss digital gefunden werden können." Ansonsten, so der IHK-Experte, solle stets nur das angestoßen werden, "was Sinn macht". Dazu sei es vor allem hilfreich, die Kaufgewohnheiten seiner Kundschaft zu kennen. Pillmayer: "Das können die meisten Händler, die sich ernsthaft damit beschäftigen, eigentlich sehr gut."

Jemand, der sich seit etlichen Jahren mit dieser Thematik befasst und der für sein Geschäft bereits einen deutlichen Zugewinn aus seinem digitalen Engagement gesichert hat, ist der Ingolstädter Juwelier Ralf Berg. Auch er hält es für unverzichtbar, dass sich Geschäftsinhaber persönlich und gründlich mit dem Schritt zum digitalen Unternehmensauftritt befassen, er warnt aber davor, sich mit zu vielen Grundsatzentscheidungen technischer Art zu verzetteln. Niemand, so der Schmuckexperte, müsse hier das Rad völlig neu erfinden. Vielmehr reiche es aus, sich für die Grundlagen einen erfahrenen und verlässlichen Geschäftspartner zu suchen und dessen Strukturen zu nutzen, dafür aber umso mehr Energie in die branchenspezifischen Beratungsmöglichkeiten zu stecken.

 

KOMBINIERTER AUFTRITT

 

Berg hat bereits vor Jahren die Lizenz einer auf den Vertrieb von Eheringen spezialisierten Onlineplattform für die Region erworben und dieses Geschäftsmodell inzwischen auf andere Segmente ausgedehnt. Inzwischen betreibt er auch die Beratung für den Verkauf von Verlobungsringen, die sich die (in der Regel männliche) Kundschaft ja auch gerne etwas kosten lässt, mithilfe eines internetbasierten Konfigurators: Der Kunde sieht am Bildschirm über der Verkaufstheke, wie Basismaterial und Brillantbestückung des Rings ganz seinen Vorstellungen (und finanziellen Möglichkeiten) entsprechend in einem dreidimensionalen, drehbaren Modell zu einem ganz individuellen Schmuckstück zusammengefügt werden. Der Verkäufer kann dabei seine Beratungskompetenz voll ausspielen und jede Variation zeigen, obwohl er im Laden nur gewisse Grundmuster vorrätig hat. Schließlich wird der Ring online bestellt.

Ralf Berg sieht den Onlineauftritt seines Geschäfts lediglich als eine Schaubühne, die den Kunden in einen seiner beiden Läden bringen soll. Dort kann dann das volle Spektrum digitaler Präsentation im persönlichen Beratungsgespräch ausgebreitet werden. Der Juwelier glaubt, dass im Ladengeschäft der Zukunft in aller Regel nur eine Mixtur von Komponenten Verkaufserfolge garantieren wird: "Die Kombination aus einem Onlineauftritt und einer qualifizierten Beratung im Geschäft ist das Erfolgsrezept für die Zukunft. Der Auftritt muss hochprofessionell sein, das Angebot muss vielseitig und die Einpreisung muss im Wettbewerb zu anderen möglichst günstiger sein - und die Qualität muss natürlich stimmen. Wenn man diese Faktoren berücksichtigt, hat man eigentlich nur Erfolg."

Ohne den Blick auf die digitale Welt, so die Einschätzung des Juweliers, werden sich im inhabergeführten Einzelhandel mittel- bis langfristig nur noch jene Kollegen halten können, die ein hochspezielles Angebot ohne wirklichen Konkurrenzdruck vorhalten.

 

TAGESBEDARF AUS DER BOX

 

Bei teuren Anschaffungen checken Kunden wohl am ehesten alle Fakten ab und erwarten breite Infomöglichkeiten - ob im Netz oder im Laden. Doch wie sieht es bei den Produkten des täglichen Bedarfs aus? So wie es sich heute schon kaum ein Straßencafé mehr leisten kann, keinen Kaffee "to go" anzubieten, weil vor allem jungen Leuten Flexibilität und Mobilität über alles gehen, so muss sich auch der klassische Lebensmitteleinzelhandel darauf einstellen, dass nicht mehr alle Käufer ihren Einkaufswagen durch die Supermarktgänge schieben wollen. Trotz beständig ausgeweiteter Öffnungszeiten der SB-Läden wird es immer mehr Leute geben, die ihre Margarine oder ihr Tragl Bier ausgerechnet dann holen wollen, wenn der Markt nicht geöffnet hat.

Bei der Edeka Südbayern läuft seit dem Frühjahr ein Zukunftsexperiment: An seinem neuen Markt beim Lana-Grossa-Kreisel an der Gaimersheimer Gemeindegrenze zu Ingolstadt hat der Handelskonzern eine Abholstation ("Edeka-Box") für Onlinekunden eingerichtet. Was der Käufer daheim am Bildschirm bestellt (und bezahlt), wird vom Personal im gekühlten Abholfach bereitgestellt, das der Kunde zu vorgewählter Zeit ansteuern und mit einem Zugangscode öffnen kann - auch nachts und sonntags. Sogar eine eigene Parkzone wurde dafür ausgewiesen.

 

NOCH GANZ AM ANFANG

 

Wer sich in der Unternehmenszentrale nach dem Erfolg des neuen Angebots erkundigt, bekommt allerdings derzeit noch sehr vorsichtige Auskünfte. Die Laufzeit sei einfach noch zu kurz, um schon eine fundierte Analyse des Nutzerverhaltens vorweisen zu können, hieß es auf Anfrage. Auch dazu, ob und wann dieser Service Standard an größeren Märkten werden könnte und ob der Onlinekunde wegen des Aufwands beim Händler langfristig mit Mehrkosten rechnen muss (bei Kleineinkäufen gibt es schon jetzt eine Kostenpauschale von drei Euro), möchte man sich bei Edeka heute noch keinesfalls festlegen.

Fest steht nur, dass sich das Unternehmen (wie auch Konkurrenten) schon länger mit den Möglichkeiten des digitalen Zeitalters beschäftigt - und den Zeitpunkt für konkrete Schritte nun gekommen sieht. Schnellschüsse in diese Richtung wurden von kleinen Spartenanbietern bereits vor Jahren abgefeuert - ohne Wirkung. Jetzt, da sich die großen Lebensmittelketten mit der Sache beschäftigen, könnte sie auch Fahrt aufnehmen.

Es geht aber auch anders. Vereinzelt drängen Geschäftsleute, die im Internet gestartet sind, bereits zurück in die klassische Ladensituation, um dem Kunden die Ware in allen Details direkt vor Augen führen zu können. Das umso mehr, wenn besondere Produkte angeboten werden, über die sich der Interessent nicht an jeder Ecke erkundigen kann.

 

EINE VERTRAUENSSACHE

 

Der Ägypter Walid El Sedawy, der seit gut einem Jahr an der Sauerstraße einen Laden für Kunstgewerbeprodukte aus seiner Heimat betreibt, ist dafür ein gutes Beispiel. Vor acht Jahren war der studierte Betriebswirt darauf gekommen, handgearbeitete Dekorationsstücke mit orientalischem Flair im deutschsprachigen Raum zu vertreiben. Zwei zum Lager umfunktionierte Räume in seiner Ingolstädter Wohnung und eine Homepage reichten aus, einen bald wachsenden Kundenkreis zu bedienen. Im vergangenen Jahr erst hat El Sedawy dann den geschäftlichen Sprung in die reale Welt gewagt und sein Ladenlokal in der Altstadt eröffnet.

Der Onlinehandel läuft nach wie vor und macht auch den größeren Umsatzanteil aus, aber im Geschäft entwickeln sich tiefere Kundenbeziehungen. Gerade bei solcher Importware wollen Menschen, die dafür ja auch ein paar Euro hinlegen, sicher sein, nicht billigste Imitate aus Fernost zu erstehen. Das Gespräch und die direkte Inspektion der Ware im Laden werden als vertrauensbildende Maßnahme auch vom einen oder anderen Onlinejünger längst wieder geschätzt. Da ist der Einzelhändler um die Ecke immer noch unschlagbar. Wahrscheinlich bleibt er es auch auf lange Sicht.