Ingolstadt
Runter von der Überholspur

18.02.2015 | Stand 02.12.2020, 21:38 Uhr

Schaltzentrale in der Ingolstädter Media-Saturn-Zentrale: Leopold Stiefel trauert seiner Zeit im Büro nicht nach - Foto: DK-Archiv

Ingolstadt (dk) Da sitzt er nun: ganz lässig, sichtlich entspannt in dem kleinen Ledersessel, dunkle Hose, blaues Sakko, den Hemdkragen geöffnet, Krawatte braucht er sowieso nicht mehr. In seinem braun gebrannten Gesicht blitzen wie eh und je zwei hellwache Augen, macht sich ein zufriedenes, spitzbübisches Grinsen breit. „Mir geht es richtig gut“, sagt der Mann, der Jahrzehnte lang meist nur auf der Überholspur gelebt hat. Nun aber ist es gut. „Ich habe mein ganzes Leben sehr zeitintensiv gearbeitet, jetzt hole ich nach, was ich verpasst habe“, sagt Leopold Stiefel, der heute seinen 70. Geburtstag feiert. Der Satz des Mitbegründers von Media-Markt klingt wie ein Ausrufezeichen, das keine Widerworte zulässt.

„Irgendwann muss man auch das letzte Ding aus der Hand geben“, sinniert Stiefel über seinen Rückzug aus dem Berufsleben und etlichen politischen wie sozialen Verpflichtungen. Ein Rückzug in Etappen: 2002 beendet er seine langjährige Tätigkeit als Vorsitzender der Geschäftsführung von Media-Saturn, der größten Elektronikmarktkette Europas, 2013 steigt er dort auch als Gesellschafter aus. Nach zwölf Jahren macht er 2014 Schluss mit seinem politischen Engagement als CSU-Stadtrat in Ingolstadt und gibt unter anderem den Beiratsvorsitz beim Eishockeyklub ERC auf. Nun müssen ihm in diesem Jahr nur noch die Söhne die Immobilienverwaltung und -entwicklung abnehmen, dann ist für Leopold Stiefel die Zeit gekommen, „die Saat der letzten 40 Jahre zu ernten“.

Die Ernte wird darin bestehen, endlich Zeit zu haben. Denn dass in der Vergangenheit bei ihm gerade Frau und Kinder zu kurz gekommen sind, wurmt ihn rückblickend doch. Urlaub mit der Familie gab es früher so gut wie nie. Denn selbst an den Wochenenden war er allzu oft geschäftlich unterwegs, um mögliche Standorte für die Elektronikmärkte auszukundschaften. Und so bekam er – wie so mancher andere Manager auch – kaum mit, wie der Nachwuchs groß wurde. „Da habe ich die Prioritäten nicht richtig gesetzt“, gibt Stiefel unumwunden zu. „Heute würde ich das anders machen.“

Aber die Zeiten waren wohl einfach nicht danach: Der Aufbau von Media-Markt, die Integration von Saturn, die stetige Expansion des Unternehmens erforderten wohl den Mann, der ständig unter Volldampf steht. „Ich liebe Menschen, die Power haben, und ich liebe alles, was Power hat“, bekennt Stiefel und meint damit durchaus auch sich selbst. Legendär sind inzwischen seine Ferrari-Sammlung und die Geschichten, wie er am Nürburgring zwei Audis zerlegte. Das zerbeulte Nummernschild seines demolierten A6 zierte – in Kunststoff gegossen – lange Zeit sein Büro in der Media-Saturn-Zentrale. Auch beim Skifahren „musste ich immer der Schnellste sein“, gibt Stiefel zu.

Woher kommt dieser Biss, dieser Kampfgeist, den er bei so manchen jungen Leuten heute so schmerzhaft vermisst? Es sind vor allem die Erfahrungen als Flüchtlingskind, die Stiefel geprägt haben. „Ich bin halt auch einer mit Migrationshintergrund, wie das heute heißt.“ Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 fliehen seine Eltern aus der Heimat bei Belgrad nach Westen, wo Leopold am 19. Februar in Braunau am Inn zur Welt kommt. Ein Jahr später zieht die Familie weiter nach Unterammergau, dann 1951 nach Ernsgaden bei Ingolstadt, wo der Vater ein kleines Häuschen erwirbt.

„Wir waren sehr arm, wir waren nicht katholisch und gehörten irgendwie nie dazu“, erzählt Stiefel über seine Kindheit. Das Geld, die schließlich sechs Kinder auf das Gymnasium zu schicken, können die Eltern nicht aufbringen, also beginnt der 14-Jährige nach dem Besuch der Volksschule 1959 bei der Ingolstädter Elektrohandelsfirma Dreyer & Schnetzer eine Lehre zum Einzelhandelskaufmann. „Ich habe einfach das Gefühl gehabt, dass ich aus der Armut raus muss, dass ich kämpfen muss“, blickt Stiefel zurück. Etwa zwei Jahre später verlässt er auch das Elternhaus, nimmt sich ein kleines Zimmer in Ingolstadt und kehrt nur noch an den Wochenenden nach Ernsgaden zurück. „Mein Traum war immer, etwas zu erreichen, anständig leben und eine Familie ernähren zu können“, sagt Stiefel. Und: „Ich wollte nie derjenige sein, der die Regale einräumt. Ich wollte den Laden leiten.“ Die Gelegenheit dazu bekommt er ab 1964 beim Elektrohändler Fröschl, wo er als Fachberater und Abteilungsleiter tätig ist. Mit 23 Jahren wechselt Stiefel schließlich zu Erich und Helga Kellerhals, die die kleine Elektrogerätekette FEG Kellerhals betreiben.

Dort wird dann auch die Idee geboren, ein größeres technisches Kaufhaus aufzumachen. Daraus wird zwar zunächst nichts, doch 1979 gehen Kellerhals, Stiefel und der von Karstadt dazugestoßene Walter Gunz in München mit dem ersten Elektrofachmarkt nach dem Muster der gerade aufkommenden Großflächenfachmärkte an den Start. Der Media-Markt ist geboren, das Konzept wird zum Erfolgsmodell – und das einfacher, als von den Gründern zunächst gedacht. Denn der etablierten Konkurrenz wird nicht klar, was da auf sie zurollt.

„Der größte Feind des Erfolges ist der Erfolg“, resümiert Stiefel und hat damit in erster Linie die damaligen Elektrofachhändler im Visier. Aber auch den eigenen Laden, der – viele Jahre später – beinahe den Zug in den boomenden Onlinehandel verpasst. Zunächst aber, von den 1980er Jahren bis in das neue Jahrtausend hinein ist die Ingolstädter Elektronikmarktkette in ihrem Expansionsdrang kaum zu stoppen, zumal nach dem Einstieg von Kaufhof bei der Ingolstädter Unternehmensgruppe 1990 die Saturn-Märkte dazukommen und sechs Jahre später mit dem Düsseldorfer Handelskonzern Metro ein finanzstarker Hauptgesellschafter an Bord geht. Heute ist Media-Saturn die größte Elektronikmarktgruppe in Europa mit rund 65 000 Beschäftigten, einem Jahresumsatz von zuletzt 21 Milliarden Euro und einem operativen Gewinn von 244 Millionen Euro.

So sieht Stiefel seinen größten Erfolg auch darin, gegen ernste Bedenken im eigenen Hause die Zwei-Marken-Strategie für Media-Markt und Saturn durchgesetzt zu haben – frei nach dem Motto: Getrennt marschieren, vereint schlagen. „Nichts motiviert mehr als der Erfolg“, sagt Stiefel. Was auch heißt, „nach den Sternen zu greifen, aber immer die Füße auf dem Boden zu behalten“. Für Stiefels Bodenhaftung sorgt denn auch der eine oder andere Fehlschlag. So verbucht er das Scheitern von Media-Saturn in Frankreich als seine größte geschäftliche Niederlage. Da hätte er eigentlich „viel eher den Schnitt machen müssen“, bekennt Stiefel heute. „Fehler macht man eben immer wieder.“

Er ist darüber hinweg gekommen und sieht es inzwischen mit Gelassenheit. Die Prioritäten sind jetzt sowieso ganz andere: Vor allem will er mehr Zeit mit seiner mittlerweile dritten Ehefrau, den drei Kindern und vier Enkeln verbringen. Dann locken die Anwesen in Spanien und in den bayerischen Bergen, auch die Freundschaften wollen gepflegt werden. Und schließlich steht wohl noch die eine oder andere Tour mit der Harley Davidson an. Denn das Motorrad war und ist eine weitere große Leidenschaft des Leopold Stiefel: die schwere Maschine, die Straße und die Kumpels. Da „gilt dann nicht mehr, wer oder was einer ist“, da „vergisst man das Geschäft und taucht in eine völlig andere Welt ein“, schwärmt Stiefel. „Das ist einfach Kult.“ Und gemütlicher – wie auf dem Golfplatz, wo er künftig ebenfalls öfter anzutreffen sein wird. Denn Laufen und Tennis gehen nicht mehr: die Gelenke.

Auch wenn also manches gemächlicher vonstatten geht, „ist das Alter doch die schönste Zeit im Leben, wenn man in sich ruht und zufrieden ist“, meint Stiefel. Runter von der Überholspur, tun und lassen können, was man will. Und obendrein: „Ich muss niemandem mehr etwas beweisen“, sagt’s und lächelt – ganz entspannt im Hier und Jetzt.