Ingolstadt
Auf und Ab

Tag 10 im Bestechungsprozess gegen Lehmann: Etwas Entlastung

18.04.2019 | Stand 23.09.2023, 6:42 Uhr
Angeklagt: Der Ingolstädter Altoberbürgermeister Alfred Lehmann. −Foto: Richter

Ingolstadt (DK) "Erst wenn der letzte Punkt gespielt ist, ist das Match vorbei." Dieser Satz aus dem Tennis trifft zunehmend auch auf den Bestechungsprozess gegen den Ingolstädter Altoberbürgermeister Alfred Lehmann zu. Der 10. Verhandlungstag vor der Großen Strafkammer des Landgerichts Ingolstadt an Gründonnerstag verlief für Lehmann und den ebenfalls angeklagten Bauträger aus dem Kreis Pfaffenhofen günstiger als der Prozesstag zuvor. Es ist ein Auf und Ab.

Nicht alle haben Respekt vor der hohen Justiz: Unmittelbar vor Beginn der Verhandlung unter Vorsitz von Landgerichtsvizepräsident Jochen Bösl im Großen Sitzungssaal war vom Fenster aus ein großer, schwarzer Hund zu sehen, der auf der bei Vierbeinern offenbar beliebten Wiese hinter dem Landgerichtsgebäude frei herumlief, dann plötzlich einen Buckel machte und in Seelenruhe unter eine Kastanie einen Haufen setzte - keine zehn Meter vom Gerichtsgebäude entfernt. Die Große Strafkammer um Vorsitzenden Jochen Bösl, zwei weitere Richterinnen, drei Schöffen und eine Protokollführerin, die sich an insgesamt 16 Verhandlungstagen mit dem Fall Lehmann auseinandersetzen, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Raum. Zu einer Festnahme wegen Missachtung des Gerichts hätte die Tat ohnehin nicht führen können, war doch das Tier genauso schnell verschwunden, wie es gekommen war.

Auf der Anklagebank dürfte man von dieser kleinen Anekdote nichts mitbekommen haben. Alfred Lehmann steckte der Prozesstag zuvor, an dem er unter anderen durch eine Zeugenaussage des verstorbenen ehemaligen Klinikum-Geschäftsführers Heribert Fastenmeier schwer belastet wurde, noch in den Knochen. Er wirkte am Donnerstag niedergeschlagen und gab sich deutlich weniger optimistisch als sonst. Begleitet wurde Lehmann wie bislang an jedem Prozesstag von seiner Frau. Ansonsten hält sich die Zahl der Besucher in den Zuschauerreihen mit Ausnahme einiger offizieller Prozessbeobachter sehr in Grenzen. Was nicht zuletzt am hochkomplexen Inhalt und der doch zumeist recht trockenen Materie liegen dürfte.

Fünf Zeugen waren am Donnerstag geladen. Eigentlich sechs, aber einer hatte die Ladung nicht zugestellt bekommen und fehlte, wie der Vorsitzende Richter nach einigen Telefonaten erklärte. Alle Zeugen waren aus der Baubranche, hatten mit dem Neubaukomplex auf dem Gelände des ehemaligen städtischen Krankenhauses zu tun, in dem Lehmann im zweiten Obergeschoss eine gut 160 Quadratmeter große, zum teil recht luxuriös ausgestattete Wohnung gekauft hatte. Die Anklage wirft ihm vor, sich bei der Vergabe des Baufeldes für den Bauträger eingesetzt und dabei eine Submission manipuliert zu haben. Ferner soll Lehmann dem Unternehmer eine aufgrund einer Erhöhung der Geschossflächenzahl nötig werdende Nachzahlung erspart haben, indem der Kaufvertrag nachträglich geändert wurde. Im Gegenzug soll er eine Wohnung zum Schein im Rohbauvertrag gekauft haben, die aber vom Bauträger auf dessen Kosten ausgebaut worden sei - was Lehmann bestreitet und aufgrund einiger im Verfahren vorgelegter Abrechnungen zumindest zum Teil widerlegt zu sein scheint.

Ein Bauingenieur aus München, ein Elektromeister, der Projektleiter einer Firma, die mit den Trockenbauarbeiten beauftragt war, ein selbstständiger Estrichleger und die Chefin der Firma, die in dem Bauvorhaben die Fliesenarbeiten getätigt hat, waren im Zeugenstand. Richter Bösl fragte sie insbesondere nach "Wohnung C09", der Wohnung Lehmanns: Gab es beim Bau dort irgendwelche Besonderheiten? Was wussten die Zeugen von den Vertragsverhältnissen? Wussten Sie von einem Rohbauvertrag? Wurde die Wohnung komplett ausgebaut? Mit wem haben sie abgerechnet?

Fakt ist: Alle 77 Wohnungen in dem Komplex wurden ausgebaut, die Standardausstattung mit dem Bauträger abgerechnet. Diverse Sonderausstattungen wurden von den jeweiligen Käufern veranlasst und bezahlt. So hatte man es in dem Neubaukomplex bei allen Wohnungen gehandhabt. Die Frage ist, ob es bei der Wohnung Lehmanns Ausnahmen gab. Die meisten der am Donnerstag befragten Zeugen hatten von einem Rohbauvertrag in besagter Wohnung zumindest gehört. Der Elektromeister hatte vor einigen Wochen in seiner polizeilichen Vernehmung ausgesagt, vom Seniorchef des Bauträgers erfahren zu haben, dass Lehmann einen Rohbau gekauft habe, die Wohnung aber von dem Bauträger ausgebaut und bezahlt werde. An dieser konkreten Aussage äußerte er im nachhinein Zweifel. Dass er sich "nicht ganz sicher" sei, habe er aber auch bei der Vernehmung gesagt.

Auch der für den Trockenbau zuständige Projektleiter überraschte den Vorsitzenden mit "etwas komplett Neuem", wie Bösl sagte: In einer Baubesprechung seien sie angehalten worden, die Arbeiten für die Wohnung Lehmanns noch zurückzustellen. Irgendwann später sei die Freigabe gekommen. "Davon findet sich kein Wort in der Vernehmung", wunderte sich Bösl. Der Bauträger hatte die Firma gebeten, die Leistungen für Lehmanns Wohnung kenntlich zu machen. Den Schriftverkehr, der dies belegt, fand Bösl in einem der zahlreichen Beweismittelordnern.

Nachdem sein Geschäftspartner, der für den Neubaukomplex hauptsächlich zuständig war, gestorben war, hatte der Bauträger offenbar beteiligte Firmen angeschrieben und um eine vorläufige Zusammenstellung aller Kosten gebeten. Mehrere bisher dem Gericht nicht bekannte Mails sollen bestätigen, dass eine Aufstellung der für Lehmann beim Ausbau angefallenen Kosten angefordert worden sei. Einer der Rechtsanwälte des Bauträgers beantragte deshalb am Ende des 10. Verhandlungstages, diese Mails in das Verfahren aufzunehmen.

Der Prozess wird am Dienstag fortgesetzt.
 

Ruth Stückle