Ingolstadt
Mit knapp drei Jahren Haft noch "gut gefahren"

Schwurgericht sieht in Manchinger Bluttat letztlich "nur" eine gefährliche Körperverletzung - Urteil ist bereits rechtskräftig

18.06.2019 | Stand 23.09.2023, 7:27 Uhr

Ingolstadt/Manching (DK) Zwei Jahre und neun Monate Haft wegen gefährlicher Körperverletzung - das ist die vom Ingolstädter Landgericht ausgestellte Quittung für einen blutigen Messerangriff in der Manchinger Donaufeldsiedlung im vergangenen August. Der fast 24-jährige Türke, der am Dienstag vor dem Schwurgericht zu dieser (schon rechtskräftigen) Strafe verurteilt worden ist, hat bereits zehn Monate Untersuchungshaft hinter sich. Sollte er sich in der Strafhaft gut führen, könnte er nach einer Zwei-Drittel-Verbüßung womöglich Mitte nächsten Jahres wieder in Freiheit sein.

Wie bereits berichtet, hatte sich schon am ersten Prozesstag am Montag abgezeichnet, dass es nicht zu einer Verurteilung wegen des angeklagten versuchten Totschlags kommen würde. Das Gericht ist in seiner Urteilsfindung davon ausgegangen, dass der Angeklagte bei der Auseinandersetzung mit einem 29-jährigen Deutschen ein Messer geführt und damit seinen Kontrahenten durchaus ernster verletzt hat. Die Kammer hält es angesichts der Umstände auch für erwiesen, dass der Täter eine mögliche tödliche Verletzung seines Opfers zunächst billigend in Kauf nahm, dann aber vom Tatvorsatz zurückgetreten ist. Auch Staatsanwältin Verena März hatte das in ihrem Plädoyer so gesehen. Die Anklagevertreterin hatte dreieinhalb Jahre Haft gefordert.

Bei der Konfrontation am Abend des 22. August vorigen Jahres hatte es sich offenbar zunächst um einen Einschüchterungsversuch des jüngeren Mannes gegenüber dem 29-Jährigen gehandelt. Der Türke war wohl der Ansicht gewesen, dass sein Kontrahent einige Jugendliche aus der Siedlung - darunter auch sein 14-jähriger Bruder - belästigt, womöglich sogar Drogen an sie verkauft habe. Er hatte sich zum Beschützer der Schüler berufen gesehen (Nebenklagevertreter Jörg Gragert: "Sheriff is in town") und dem älteren Deutschen dann bei Eskalation der Situation eine sieben Zentimeter lange und bis zu zwei Zentimeter tiefe Schnittwunde an der linken Halsseite zugefügt.

Die Kammer geht davon aus, dass das (bis heute verschwundene) Messer an den Hals des Opfers gesetzt und der Schnitt dann durch eine Bewegung des älteren Mannes verursacht wurde. Den Schilderungen des Geschädigten möchten die Richter nicht ganz folgen. Da passe einiges nicht zusammen, so Vorsitzender Jochen Bösl, entscheidend sei letztlich aber die Analyse der Rechtsmedizin. Dieser Expertise zufolge war die Verletzung zum Glück nicht lebensgefährlich ausgefallen, es hätten allerdings nur wenige Zentimeter, vielleicht sogar nur Millimeter gereicht, und es wäre eine größere Halsvene oder gar die Halsschlagader geöffnet worden. Dann hätte womöglich nicht einmal mehr ein Notarzt helfen können . . .

Von Bedeutung war für die Einschätzung der Tatumstände auch die (mögliche) Alkoholisierung des Angeklagten zum Tatzeitpunkt. Anderntags, nach seiner Festnahme, ließ sich laut Blutprobe kein Alkohol mehr nachweisen, wohl aber gab es Abbausubstanzen, die auf einen höheren Alkoholkonsum am Vortag schließen ließen. Selber hatte der junge Mann behauptet, vor dem blutigen Zwischenfall eine halbe Flasche Wodka und einige Alkopops konsumiert zu haben. Eine medizinische Rückrechnung vor Gericht ergab laut Gutachter eine mögliche Alkoholkonzentration zum Tatzeitpunkt von maximal 1,3 Promille, eher aber wohl etwas weniger. Für eine vermindere oder gar aufgehobene Schuldfähigkeit reicht dies nach Auffassung von Gutachtern und Gericht nicht aus. Wohl aber hielt man dem jungen Mann eine gewisse Enthemmung zugute.

Positiv bewertete die Kammer auch einen im Gerichtssaal zustande gekommenen Täter-Opfer-Ausgleich. Der Angeklagte verpflichtete sich, an den Geschädigten sofort 1000 und nach der Haft nochmals 1500 Euro als Schmerzensgeld zu zahlen. An sechs kleineren Vorstrafen konnten die Richter andererseits aber auch nichts ganz vorbei sehen, auch wenn es nur zwei einschlägige Vorahndungen aus dem Jugendstrafrecht gibt. In Haft war der junge Türke bislang noch nie.

Die Verteidiger Andrea Kremer und Klaus Knauf (München) betonten, dass ihr Mandant ganz gewiss nicht den Tod seines Kontrahenten in Kauf genommen habe. Knauf erinnerte daran, dass der junge Mann in seiner Familie mit zwei jüngeren Brüdern (die Mutter ist bereits gestorben) "dringend gebraucht" werde. Die Rechtsanwälte appellierten an das Gericht, es bei einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren mit Auflagen zu belassen. Dem wollte die Kammer aber nicht nachkommen. Dazu, so Vorsitzender Bösl, sei die Tat zu gravierend gewesen. Mit der verhängten Strafe sei der Angeklagte insgesamt "gut gefahren".

Bernd Heimerl