"Menschliches Leben gelingt nur durch Annahme des Kreuzes"

Osterpredigt im Liebfrauenmünster

19.04.2019 | Stand 02.12.2020, 14:10 Uhr

Ingolstadt (DK) Frater Ralph Heiligtag vom Vor-Oratorium St. Josef in Ingolstadt hat am Karfreitag-Nachmittag im Liebfrauenmünster in freier Rede die katholische Osterpredigt gehalten.

Warum machen die Christen das?

Nun sitzen Sie wieder hier. Wie letztes Jahr. Die Passionserzählung ist verklungen. Im Radio machen die das auch unterhaltsamer. Und das Ende der Liturgie ist noch lange nicht erreicht. Dabei ist heute so ein schöner Tag. Ein arbeitsfreier Tag. Was man da alles unternehmen könnte! Bei solch einem Wetter. Aber Sie sitzen lieber hier in der kalten Kirche.

Warum machen die Christen das?

Die einfachste Antwort wäre: Weil das immer schon so war. Genauso wie der Kreuzweg in der Fastenzeit. Da geht man eben im Gebet die Stationen des Leidens- und Sterbens Jesu Christi nach. 30 Minuten lang. Oder eben die drei Tage, das Triduum der österlichen Geheimnisse, vom letzten Abendmahl am Gründonnerstag bis hin zur Auferstehung am Ostermorgen. Warum machen die Christen das? Weil es immer schon so war.

Warum machen die Christen das?

Die Antwort der Theologie ist klar: Christus hat die Menschheit durch sein Leiden und Sterben von Sünde und Tod befreit und mit Gott versöhnt. Können Sie diese Antwort geben? Kennen Sie Christen, die das voll verinnerlicht haben und daraus leben? Warum machen die Christen das? Lassen Sie mich eine andere Antwort versuchen.

Meine Antwort beginnt mit dem Leben eines jeden Menschen. Alle streben nach Glück und Erfolg. Klar, wer nicht. Und dennoch gehört die Schattenseite zum Leben dazu. Schon die Geburt bedeutet Schmerz. Kein Kind kann ohne Krankheiten aufwachsen. Wie sollte sich sonst das Immunsystem entwickeln? Und früher oder später tritt der Tod in jedes Leben ein: Bei fernen, bei nahen Menschen, schließlich bei mir selbst. Schmerz und Leid sind eine Realität jedes menschlichen Lebens. Das kann ich verdrängen. Davor kann ich davonlaufen.

Jesus läuft nicht davon. Er nimmt sein Kreuz auf sich. Er zeigt den dritten Weg: Das Annehmen des Unausweichlichen. Ich kann es verdrängen; dann macht es mich früher oder später krank. Ich kann davor weglaufen; dann brauche ich alle meine Lebensenergie zum Weglaufen. Oder ich stelle mich mit Jesus dem Kreuz. Meinem Kreuz. Dann passiert das große Wunder des Glaubens: Im Annehmen des Schweren mit Jesus wird das Schwere tragbar. Er trägt mein Kreuz mit mir und für mich, genauso wie damals auf Kalvaria. Für das Heil der Welt und für mein Heil.

Warum machen die Christen das? Die Antwort lautet: Weil sie die wichtigste Lektion ihres Lebens einüben: Menschliches Leben gelingt nicht durch Verdrängen, es gelingt nicht durch Weglaufen. Es gelingt nur durch die Annahme des Kreuzes. Dafür braucht es Zeit. Und Übung. Mindestens alljährlich drei Tage, vom letzten Abendmahl bis zur Auferstehung. Weil das ein langer Weg ist, kennt die Liturgie dieser Tage auch keinen Anfang und kein Ende. Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass der Gottesdienst ohne Kreuzzeichen begonnen hat. Und er wird auch nicht durch einen Segen beendet werden, wie schon gestern Abend. Denn das Einüben dieses Weges braucht seine Zeit.

Wenn die Liturgie nach den großen Fürbitten zur Kreuzverehrung kommt, können Sie die Frage beantworten: Warum machen die Christen das? Entweder wählen Sie die theologische Antwort: Weil Jesus mich von Sünde und Tod erlöst hat. Oder Sie wählen den kleineren Weg: „Ich verehre Dein Kreuz, damit ich begreife, dass Du auch immer mein Kreuz mitträgst.“ Das versteht doch keiner, könnten Sie einwenden. Richtig. Das versteht keiner. Muss er auch nicht. Denn es ist ein Geheimnis des Glaubens. Es zeigt sich dem, der sich darauf einlässt. Ganz bestimmt. Probieren Sie es aus! Amen.