Ingolstadt
Die Genossen geben alles

Delegierte der Ingolstädter SPD wählen Christian Scharpf einstimmig zum OB-Kandidaten

25.06.2019 | Stand 23.09.2023, 7:32 Uhr
Konfettiregen für den Nominierten: Christian Scharpf (7.v.r.) wurde gestern mit 100 Prozent zum OB-Kandidaten der SPD gewählt. −Foto: Hauser

Ingolstadt (DK) Am Ende lassen es die Sozialdemokraten so richtig krachen: Konfettigranaten detonieren, Flitterstreifen umflattern den frisch gekürten OB-Kandidaten der Ingolstädter SPD.

Die Delegierten jubeln Seite an Seite mit den Gästen im Stehen, und ein Genosse haut - vielleicht im Überschwang - gleich mal ein volles Tablett mit rotem Sekt der Marke "Scharpf" um; das viele Glas geht scheppernd nieder. "Scherben bringen Glück! ", ruft Ingolstadts SPD-Chef Christian De Lapuente ins sozialdemokratische Siegesgetümmel. Und glücklich scheinen sie ganz offensichtlich zu sein mit dem Mann, der am 15. März 2020 CSU-Oberbürgermeister Christian Lösel herausfordern wird. Die 45 Delegierten haben alle für Christian Scharpf gestimmt. 100 Prozent! So wie einst SPD-Legende Martin Schulz bei seiner Wahl zum Bundesvorsitzenden 2017. Aber das ist eine andere Geschichte. Die will bei dieser heißen, überschwänglichen Nominierungssitzung im Foyer des Stadttheaters gewiss keiner hören.

Zu Beginn bierzeltelt es ganz gewaltig. Geradezu zünftig. Die Musiker des Musikvereins Harmonie aus Neubiberg (auch keine SPD-Hochburg; dort hat die Partei vier der 24 Gemeinderatsmandate) spielen schmissig auf. In der ersten Reihe taktsicher an der Klarinette: Christian Scharpf, ganz Mann aus dem Volk. Zumindest trägt er weder Gamsbart noch Hirschlederne so wie die Herren im Ensemble um ihn herum. Stattdessen weißes Hemd, rote Krawatte - und voller Einsatz. Man muss es ja nicht gleich übertreiben mit der bairischen Volkstümlichkeit.

Mehr zur Vita von Christian Scharpf lesen Sie hier.

Es gehöre zu den großen Charakterstärken Scharpfs, "dass er sich nicht in den Vordergrund drängelt, sondern durch Qualität und Fachwissen überzeugt", bemerkt der SPD-Fraktionsvorsitzende Achim Werner in seiner gleichwohl zimmerfeuerwerkmäßigen Begrüßungsrede für den Kandidaten. "Der weiß jetzt schon mehr als ich! " Dabei hat Scharpf, ein Schanzer, seit 2004 in leitenden Funktionen im Münchner Rathaus beschäftigt (siehe die Biografie im Kasten) erst vor zehn Monaten zugesagt, gegen Lösel ins Rennen zu gehen; Werner, ein Münchner, betreibt seit bald 40 Jahren Lokalpolitik in Ingolstadt.

Scharpf spricht mit dem Feuer eines Verwaltungsexperten. Der er ist. Der Jurist hat über kommunale Unternehmen promoviert. Im Münchner Rathaus habe er "als persönlicher Mitarbeiter von Christian Ude und jetzt unter Dieter Reiter das Handwerkszeug als Oberbürgermeister gelernt", flicht er dezent in seine Bewerbungsrede ein. Er wollte schon immer in einer Stadtverwaltung arbeiten, "denn nirgendwo ist man näher dran an den Belangen der Menschen", an Schulen, Kindergärten, Krankenhäusern, Theater oder der Feuerwehr. Seit 15 Jahren sei er "an vorderster Front der Kommunalpolitik".

In München. Sollte er nach der Wahl 2020 in Ingolstadt im Felde stehen, werde er sich mit aller Kraft für eine neue politische Kultur einsetzen. "Ingolstadt braucht einen politischen Neuanfang! " Ein Beispiel: "Man muss den Stadtrat mitnehmen und vor der Entscheidung einbinden. Die Stadtspitze macht es leider allzu oft umgekehrt. " Stichwort Misere des Heilig-Geist-Spitals (dem Scharpf seit seiner Zivildienst-Zeit dort sehr verbunden ist). Die Information der Stadträte mit einer 83-seitigen Vorlage einen Tag vor einer wichtigen Entscheidung sei "schlechter politischer Stil - so geht man mit einem Stadtrat nicht um! " Das will er ändern.

Scharpf pflügt zielstrebig über die Minenfelder der Kommunalpolitik, stets auf der Suche nach weiteren Krachern. Etwa: "Gemeinwesen statt Bürgerkonzern: Eine Stadt darf sich nicht nur daran orientieren, ob sich etwas wirtschaftlich rentiert! " Der geht Richtung Lösel. Wirtschaft: "Ich will, dass es Audi gut geht! " Aber man müsse "das Möglichste versuchen, damit wir in Ingolstadt von der wirtschaftlichen Monostruktur hin zu mehr unternehmerischer Vielfalt neben der Automobilwirtschaft kommen. "

Den ersten lauten Zwischenapplaus bekommt der Redner bei seinem Aufruf zum Schutz des zweiten Grünrings. Er fordert eine Verkehrswende "ohne Schildbürgerstreiche" wie die Glacisbrücke in der Vergangenheit und "Schnapsideen" wie die CSU-Vision eines "Tunnels unter einer bestehenden Brücke" oder eine Donauquerung im Auwald, die über eine halbe Milliarde Euro kosten würde und nicht nur deshalb von Gutachtern abgelehnt werde.

Scharpf legt eine "Vision von Ingolstadt in elf Punkten" dar. Und setzt noch eins drauf: "Ich gehöre nicht zum politischen Establishment der Stadt. Ich bin neu, unverbraucht und habe keine offenen Rechnungen mit politischen Protagonisten. "

Danach wie gesagt: Konfetti.
 

Christian Silvester