Bayerische Brotzeit im Rotlichtmilieu

20.08.2008 | Stand 03.12.2020, 5:40 Uhr

Ein ungleiches Paar: Der bayerische Imbiss liegt direkt im Rotlichtmilieu. Zum Nachtclub auf der rechten Seite kommt links noch ein Swingerclub dazu. Er wird gerade gebaut.

Ingolstadt (DK) „24 Stunden Ingolstadt“ lautet der Titel der Sommerserie im DK. In zwei Dutzend Geschichten wird jeweils eine Stunde des Tages an einem anderen Ort in Ingolstadt erzählt, um den ganz normalen Alltag zu schildern. Heute: Von 20 bis 21 Uhr im Imbiss direkt beim Nachtclub.

Vor 15 Jahren, als Sigrid Dombeck ihre hölzerne Imbissbude eröffnete, war sie allein auf weiter Flur. Zumindest, was die spezielle Nachbarschaft anbelangt. Inzwischen ist rechts von ihrer Hütte ein Nachtclub, links entsteht gerade ein Swingerclub. "Allein der Pool kostet bestimmt 30 000 Euro", schwärmt Udt. Er muss es wissen. Schließlich ist die Trockenbaufirma, für die er arbeitet, derzeit in dem künftigen Edel-Etablissement zu Gange. Den Staub eines langen Arbeitstages hat der Mann noch auf der Hose.

Handwerker und Bauarbeiter sind bei "Sigis Imbiss" anzutreffen. "Früher waren auch viele Lkw-Fahrer da", erzählt die 58-Jährige. Weil die Brummis in der Steinheilstraße nicht mehr parken dürfen, bleiben sie jetzt jedoch aus. Überhaupt sind es fast immer dieselben Leute, die morgens auf einen Kaffee zur Sigi schaun, sich mittags Fleischpflanzl mit Buttergemüse und Kartoffelbrei für 3,80 Euro oder ein anderes bayerisches Gericht schmecken lassen oder abends mit der Wirtin noch eine Runde watten wollen. Hie und da ist auch die eine oder andere Dame von nebenan anzutreffen, um sich mal eben mit einer Wurstsemmel zu stärken.

"Wir sind wie eine große Familie", sagt Sigrid Dombeck. An der Wand hängen hunderte von vergilbten Fotos. "Alles Leute, die schon mal hier waren." Fast alle: Der Ottfried Fischer und der Hackl Schorsch waren natürlich noch keine Gäste in "Sigis Imbiss". Die hat irgendjemand dazugehängt. "Aber der Felix Faschingsbauer, der kommt regelmäßig." Der Jodler und Sänger aus Gerolfing hat es zumindest schon ins Fernsehen zu Karl Moik geschafft. Fernseherfahren ist auch ein anderer, dessen Foto irgendwo in Sigis Stammgastgalerie hängt. Für Pfundskerl Ralf Kopischke hat sie sogar eine Bierbank verstärken lassen. Seit Kopischke, der im Imbiss nur als "Balu" bekannt ist, am Abnehmen ist, kommt er nur noch ab und zu auf einen Kaffee vorbei.

An diesem Abend ist es in "Sigis Imbiss" ziemlich leer. Normalerweise ist um 20 Uhr auch schon geschlossen. "Aber manchmal sind wir länger da."

Wie es sich fürs Rotlichtmilieu gehört, hat der Imbiss einen Türsteher: Peggy, eine neunjährige Englische Bulldogge. Die 40 Kilo schwere, behäbige Hundedame mit dem angeborenen mürrischen Geschau nimmt alle Gäste erst mal mit einem gelangweilten Blick ins Visier. Albert Eibl (60), Filialleiter eines benachbarten Reifengeschäftes, kommt seit fünf Jahren fast jeden Tag her. Er trinkt sein Bier aus, flirtet kurz mit der weiblichen Kundschaft und wird dann von Bertl Ullinger, dem Lebensgefährten der Wirtin, nach Hause chauffiert. Bis Dörndorf. Einen solchen Service genießen freilich nur ganz wenige Stammgäste.

Im benachbarten Nachtclub mit diversen Nebenzimmern ist es noch ruhig. Um 20.15 Uhr rührt sich zum ersten Mal was. Ein Mann in schwarzer Jeans und rostfarbenem Hemd klingelt an der Clubtüre. Er wird eingelassen. Fünf Minuten später kommt er wieder raus. "Das war aber eine schnelle Nummer", wird im Imbiss gescherzt. Oder hat der Mann nur was abgegeben

Mit der Dämmerung, gegen 20.30 Uhr, wird nebenan das Rotlicht eingeschaltet. Wenig später fährt ein Taxi vor. Ein südländisch wirkender Mann steigt aus und taucht ein ins Ingolstädter Rotlichtmilieu.

"Früher waren die Mädchen fast jeden Tag bei mir im Imbiss", erzählt Sigi. Damals hätten die Mädchen noch im Club gewohnt. "Jetzt", sagt sie, "kommen sie nur noch zur Arbeit". Gegessen wird meistens zu Hause.

Diskretion ist Ehrensache

Mit dem Chef des Nachtclubs versteht sich Sigrid Dombeck gut. Diskretion ist auch für die Imbissbudenbetreiberin Ehrensache. Eine Jalousie trennt allzu neugierige Blicke ihrer Gäste von der Eingangstür ins Reich der Männerwünsche. Richtig los geht das Geschäft in dem in rotes und blaues Licht gehüllten Etablissement ohnehin erst, wenn "Sigis Imbiss" längst geschlossen hat. Oder? Punkt 21 Uhr fährt ein Opel Astra vor. Der Fahrer parkt im Innenhof und schleicht sich vor zur Eingangstüre. "Hoffentlich sieht mich niemand", scheint er zu denken. Vielleicht ist er auf dem Weg zu "Madame Butterfly", einer Domina. Wenig später klingelt ein weiterer Mann. Auch er wird eingelassen. Mittlerweile ist es fast dunkel. Im Club wird langsam die Nacht zum Tag.

Ein paar Straßen weiter im Ingolstädter Rotlichtviertel machen sich zu diesem Zeitpunkt andere Damen bereit: In der Bruhnstraße parkt ein Wagen. Im Innern des mit rosafarbenem Plüsch ausgestatteten Autos wartet eine stark geschminkte Blondine. "Sigis Imbiss" hat die Türe inzwischen längst geschlossen. Zumindest hier ist jetzt Feierabend.