Elfmal
Lebenslang nach Todesschüssen

Oberlandesgericht verurteilt "Reichsbürger" wegen Mordes an einem SEK-Beamten

29.12.2017 | Stand 02.12.2020, 17:01 Uhr

"Regierungsbezirk Wolfgang" mit Reichsbürger-Flagge: Ein Großaufgebot der Polizei nimmt den Hobbyschützen am Tatort in Georgensgmünd nach den Schüssen auf Beamte des Sondereinsatzkommandos fest. Diese wollten eine Razzia durchführen. - Foto: Richter

Elfmal drückt Wolfgang P. ab, schießt gezielt durch die teilverglaste Tür seiner Wohnung in Georgensgmünd. Sieben Kugeln treffen, ein Projektil dringt in die Lunge des Polizisten Daniel E. (32) ein. Der Beamte stirbt. Zwei weitere Mitglieder eines Sondereinsatzkommandos (SEK) Nordbayern werden durch Schüsse verletzt. Diese Tat, geschehen im Oktober 2016, hat nicht nur bundesweit für Schlagzeilen gesorgt, sie findet im Jahr darauf ihren juristischen Abschluss: Der sogenannte Reichbürger von Georgensgmünd von Georgensgmünd wird zu lebenslanger Haftstrafe verurteilt. Es war Mord, stellt das Oberlandesgericht Nürnberg-Fürth nach knapp zweimonatiger Verhandlung fest - ein Urteil mit Signalwirkung, weit über Mittelfranken hinaus.

Im Prozessverlauf gewinnen die Beobachter Einblick in die teils krude Gedankenwelt des 50-jährigen Angeklagten. Sein Anwesen hat er mit einer gelben Linie markiert, man befindet sich im "Regierungsbezirk Wolfgang". Zudem hat er bereits Monate vor der Tat ohne Angabe von Gründen seinen Personalausweis im Rathaus abgegeben. Unter seinem Briefkasten sind die Worte zu lesen: "Mein Wort ist hier Gesetz." Er ist fähig, dieses "Gesetz" mit Waffengewalt zu verteidigen; weil der als unzuverlässig eingestufte Jäger seine 31 Kurz- und Langwaffen trotz Aufforderung durch das Landratsamt nicht abgegeben hat, wird das SEK aktiv. Das Drama nimmt seinen Lauf.

"Sieben von elf", sagt die Vorsitzende Richterin Barbara Richter-Zeininger, "eine gute Trefferquote". Übersetzt bedeutet das: Wolfgang P. hat nicht in Panik blindlings losgeschossen, wie seine Verteidiger bekräftigen. Sondern auf die Beamten gezielt. Heimtückischer Mord, und zweimal versuchter Mord, wie die Staatsanwaltschaft befindet. Letztlich folgt das Gericht dieser Einschätzung. Eine besondere Schwere der Schuld sieht die Kammer nicht. Damit kann P. vorzeitig aus der Haft entlassen werden.

Vor der Urteilsverkündung nimmt Richter-Zeininger Tathergang und Vorgeschichte auseinander. "Der Angeklagte hat sich ein System geschaffen, in dem er so handeln darf, wie er es sich vorstellt." Nach einem schweren Unfall 2001 ist der ehemalige Vermögensberater erwerbsunfähig. Als die Behörden die Meinung vertreten, P. könne wieder zeitweise arbeiten, beginnt er, sich vom Staat abzuwenden. Der "freie Mensch Wolfgang", wie er sich nennt, fühlt sich an andere Regeln und Gesetze gebunden: "Wirtschaftlich, politisch und militärisch" haben sich "Haus P." und "Haus U." in Schönschrift Unterstützung zugesagt. Das Haus des ehemaligen Mister Germany Adrian U. hatten Polizisten schon im August 2016 räumen wollen, auch hier kam es zu einer Schießerei. "Bündnispartner P." war dabei.

Die Botschaft des Urteils an die "Reichsbürger"-Szene ist deutlich: Niemand kann seine Ideen über die geltenden Gesetze stellen. Was P. vom Prozess vor einem Gericht, das er nicht anerkennt, denkt, zeigt er bei der Urteilsverkündung: Bei Erscheinen von Richterin und Schöffen erheben sich alle im Saal. P. bleibt als Einziger sitzen.