Zell
"Insbesondere für innerlich Kranke"

Kloster Zell wird im Ersten Weltkrieg zum Reserve-Lazarett 150 Betten im Neubau für Soldaten

11.08.2017 | Stand 02.12.2020, 17:39 Uhr

Kurz vor Kriegsende kurierte Franz Harrer (mit Kreuz markiert) die Folgen eines Gasangriffs im Zeller Lazarett aus.

Zell/Kippenwang (HK) Der Erste Weltkrieg war nur wenige Tage alt, als die ersten Toten und Verletzten zu beklagen waren. Ein Teil der Gehörlosenanstalt in Zell wurde im August 1914 zum Lazarett - und blieb es vier Jahre lang. Auch Franz Harrer aus Kippenwang erholte sich nach einem Gasangriff dort.

Auch wenn niemand darauf vorbereitet war, welch schreckliche physischen und psychischen Verletzungen Maschinengewehre, Granaten, Bomben, Flammenwerfer und Giftgas anrichten würden, so ist doch erstaunlich, wie zügig auch Lazarette weit hinter der Front eingerichtet wurden. Was heute wohl weitestgehend in Vergessenheit geraten ist: auch im Kloster Zell.

Dabei handelte es sich nicht um eine zwangsweise Einquartierung durch das Militär, ganz im Gegenteil, wie dem Jahresbericht 1914 des Klosters zu entnehmen ist: "Am 1. August brach der Krieg aus. Sogleich boten wir den geräumigen Neubau unserer Anstalt dem Sanitätsamt des 3. Armeekorps an zur Errichtung eines Lazaretts. Am 9. August wurden die Räume einer Besichtigung unterzogen und als sehr geeignet befunden zur Errichtung eines Reservelazaretts." Im Besichtigungsbericht, der heute im Hauptstaatsarchiv München zu finden ist, steht: "Das Lazarett kann in dem vollständig neuen Flügel der Anstalt untergebracht werden, welcher Raum für 150 Betten in 3 Stockwerken bietet. Die Zimmer sind hell, luftig und sehr geräumig. Für Nebenräume ist gesorgt. Aborte, Waschzimmer, Badegelegenheiten mit 6 Wannen, laufendes Wasser, Küche, Waschräume, Aufbewahrungsraum und große eine Gartenanlage sind vorhanden, ebenso ein Totenraum. Im Haus ist eine Apotheke untergebracht; weitere Arzneien können aus dem 6 km entfernten Hilpoltstein bezogen werden. Das Kochen, Waschen und Flicken würden die Schwestern besorgen, zum großen Teil auch die Pflege der Kranken. Es würde sich die Anstalt wegen ihrer äußerst ruhigen schönen Lage insbesondere für innerlich Kranke im Erholungsstadium eignen."

Das Hilpoltsteiner Wochenblatt berichtete bereits am 10. August: "Wie im ganzen Reiche allerorten rege Tätigkeit in den Rotkreuzvereinen herrscht, so wurden auch hier sofort die Arbeiten in Angriff genommen, und wohl gerüstet sieht man den armen Verwundeten entgegen, um sie mit Gottes Hilfe ihrer Genesung zuzuführen. Die Verwaltung der Taubstummenanstalt Zell hat aus eigenem Antrieb in rühmenswerter Weise ihre Anstalt zur Aufnahme von Verwundeten und ihre Kräfte zu deren Pflege zur Verfügung gestellt."

Unter der Überschrift "Die ersten Verwundeten im Hilfslazarett Zell" berichtete die Zeitung am 5. September 1914 bereits über die Inbetriebnahme: "In den hohen lichten und luftigen Sälen der Taubstummenanstalt Zell eingerichtetem Hilfslazarett trafen gestern mit dem fahrplanmäßigen Zuge Mittag 11 Uhr 108 Verwundete ein. Bei dem kurzen Aufenthalt in Hilpoltstein reichten viele Einwohner den wackeren Vaterlandverteidigern Erfrischungen, Zigarren, was sie sichtlich erfreute. In Zell angekommen wurden sie von der hiesigen, durch viele freiwillige Helfer verstärkten Sanitätskolonne in kürzester Zeit durchwegs ruhig und geschickt ins Lazarett befördert. Ein großer Teil konnte sich zu Fuß ins Lazarett begeben. Etwa 20 weisen schwere Verletzungen auf, die übrigen leichtere, doch scheint bei keinem Gefahr für das Leben vorhanden zu sein. Eine Anzahl hat Verletzungen an der Hand, die die Amputation von Fingern notwendig machte. Das Aussehen der Verwundeten war trotz der langen, 40-stündigen Eisenbahnfahrt ein gutes. Von einer gedrückten Stimmung war nichts zu bemerken. Erst als sie im Lazarett in den Betten lagen, machte sich die Erschöpfung bemerkbar."

Für die Pflege der Verwundeten waren die Zeller Ordensschwestern - entgegen erster Überlegungen - nur selten zuständig. Um die Soldaten kümmerte sich vor allem nach Zell abgeordnetes Militärpersonal, nämlich zwei Ärzte, zwei Sanitäts-Unteroffiziere, drei Sanitäts-Gefreite und sieben Krankenwärter. Die Klosterfrauen waren vor allem fürs Essen und die Wäsche zuständig, womit sie aber vermutlich genug zu tun hatten, denn der Schul- und Heimbetrieb lief weiter wie gewohnt.

Natürlich kam es auch zu Begegnungen zwischen Schülern und Soldaten. Irritierend ist allerdings die nationale, kriegerische Denkweise der damaligen Zeit, die auch vor den Klostermauern nicht haltmachte, wie dem Zeller Jahresbericht 1914 zu entnehmen ist: "Wahre Freudenfeste waren den Kindern die Siegesfeiern anläßlich der großen Erfolge unserer ruhmgekrönten Heerführer und braven Soldaten. Mit herzlichem Interesse und innigen Gebeten begleiteten sie die tapferen Helden durch alle Strapazen und Gefahren zu Wasser und zu Lande. Die ganze Kriegsführung mit ihren Waffen, Schützengräben und Luftschiffen, Panzerschiffen und Unterseebooten vermittelte den Kindern eine bedeutende Erweiterung des Gesichtskreises, das Lazarett in seiner Einrichtung, seinem Betrieb und seinen Bewohnern die verschiedensten Anschauungsmittel. Verwundete Krieger fertigten auch allerlei Modelle von Schiffen, Flugapparaten usw., die dem Unterricht auch für später zugute kommen sollen."

Zur schnelleren Genesung sah die Lazarettleitung auch ausgedehnte Spaziergänge vor, die aber für den einen oder anderen schnell im örtlichen Wirtshaus endeten. Daher wurde wegen zu starken Alkoholkonsums ein Wirtshausverbot ausgesprochen. Dagegen legte die Zeller Wirtin Anna Harrer am 1. Juni 1915 schriftlichen Protest beim Königlich Bayerischen Sanitätsamt in Nürnberg ein: "Dem Sanitätsamt erlaube ich mir hiermit folgendes vorzustellen. Seit etwa vier Wochen ist von dem Leiter des hiesigen Reservelazaretts den Patienten desselben der Besuch meiner Gastwirtschaft verboten worden. Das Verbot erfolgte ohne jeden Grund, wenigstens kam in meiner Wirtschaft nichts vor, was ein Verbot hätte rechtfertigen können. Es ist zwar schon beobachtet worden, dass Patienten von auswärts kommend in betrunkenem Zustande in Zell angelangt sind. Das sind jedoch immer nur Ausnahmen. Sicher aber darf ich mit ruhigem Gewissen behaupten, daß in meiner Wirtschaft die Patienten sich stets pünktlich um 6 Uhr und niemals betrunken entfernt haben, um in das Lazarett zurückzukehren. Wenn ich dem Sanitätsamt weiterhin vorstelle, daß mein Mann als 36-jähriger Landwehrmann in den Kämpfen um Arras am 12. November 1914 den Heldentod starb und mir infolge geschäftlicher Missgriffe ein überschuldetes Anwesen und sechs kleine Kinder zurückließ, so darf ich wohl meiner Empörung darüber Ausdruck geben, dass man gerade die Witwe eines Kriegsopfers in so empfindlicher Weise ungerecht schädigt."

Das Sanitätsamt stimmte jedoch den Verfügungen der Zeller Lazarettleitung zu. Es blieb beim Wirtshausverbot, zumal schließlich im Kloster selbst eine Kantine eingerichtet wurde, in der die Soldaten Bier kaufen konnten - unter Aufsicht.

Als Deutschland im April 1915 erstmals Giftgas eingesetzt hatte, und von da an dieses Kampfmittel von beiden Seiten zunehmend verwendet wurde, suchte das Militär nach Erholungsorten für die Opfer des Gaskrieges. Aufgrund der ruhigen Lage, von Wäldern umgeben, wurde Zell zunehmend zum "Luftkurort" für gaskranke Soldaten.

Auch Franz Harrer aus dem Weiler Kippenwang genoss nach einem Gasangriff die Erholung in Zell. Er schrieb in seinem Kriegstagebuch: "Am 7. Oktober (1918) lagen wir in der Nähe des Gefechtsstandes des Bataillons in Schützenlöchern an einem Abhang. Im Laufe des Vormittags schoss der Gegner in diesen Geländestreifen Gas, und wie es schien, Gas von der übelsten Sorte, denn trotz Gasmasken erkrankten an die 20 Mann meiner Kompanie. Auch ich hatte Gas bekommen. Die Augen begannen zu triefen. Mit dem 8. Oktober brach mein letzter Tag an der Front an. In der Nacht hatte ich, auf dem blanken Boden liegend und in mein Zelt gewickelt, ein schreckliches Brennen in den Augen gespürt. Als dann der Bataillonsarzt vorüber kam, konnte ich ihm meine Augen zeigen, die ganz verschwollen waren und ich kaum mehr aus den Augenliedern zu sehen vermochte. Die Parole hieß: Sofort ins Lazarett, und man band mir den roten Zettel ins Knopfloch." Nach der Erstversorgung in einem frontnahen Lazarett kam Harrer schließlich nach Zell: "So fuhr ich mit dem nächsten Zug nach Zell in meine nächste Heimat. Der Empfang im Kloster war sehr herzlich. Ich wusste, hier konnte der kriegsmüde Körper völlige Genesung finden. Alles war vergessen, die Strapazen der letzten Monate, die Entbehrungen, die seelischen Aufregungen. Tag um Tag verging - es war meine schönste Zeit während meines vierjährigen Kriegslebens."

Nach vier Jahren Krieg schwand auch bei den Zeller Ordensfrauen der Idealismus für Volk und Vaterland. Das Kloster bat in einem Brief vom 5. Juni 1918 um die Schließung des Reservelazaretts, was jedoch in einem Schreiben am 27. Juli abgelehnt wurde: "Das Kriegsministerium erkennt die patriotische Gesinnung des Klosters hoch an. In Würdigung dieser Umstände würde das Kriegsministerium nicht anstehen, dem Wunsch entsprechend die Auflösung oder Verlegung des Reserve-Lazaretts anzuordnen, wenn nicht gerade die derzeitigen Verhältnisse es der Heeresverwaltung zur unbedingten Pflicht machen würden, die Zahl der Krankenlagerstellen nicht nur nicht zu verringern, sondern tunlichst zu erhöhen. Denn die gegenwärtigen Großkampfhandlungen bedingen die ausgiebigste Vorsorge für die Unterkunft von Verwundeten und Kranken. Unter diesen Umständen kann das dortige Reserve-Lazarett jetzt unmöglich entbehrt werden."

Tatsächlich musste wegen der vielen Verwundeten in Thalmässing ein zusätzliches Lazarett eingerichtet werden, wie einem weiteren Schreiben zu entnehmen ist: "Im Distriktkrankenhaus Thalmässing wird mit Wirkung vom 16.10.18 ab eine Reservelazarettabteilung mit 40 Lagerstätten errichtet. "

Nach dem Waffenstillstand vom 11. November 1918 endeten endlich die Kampfhandlungen des Ersten Weltkrieges. Das Reservelazarett Zell wurde im Januar 1919 aufgelöst. Erleichterung kann man deshalb auch aus den Zeilen des klösterlichen Jahresberichtes von 1919 heraushören: "Von großer Bedeutung war auch für die Gesundheit aller Anstaltsbewohner, daß sie seit Anfang 1919 wieder die hellen und luftigen Säle des Neubaues beziehen und benützen konnten, in welchen vom 28. August 1914 bis 1. Januar 1919 das Reservelazarett untergebracht war. - 52 Monate hindurch haben wir insgesamt 1773 verwundete und kranke Soldaten beherbergt. Wir hoffen zuversichtlich, daß den treuen Vaterlandsverteidigern unser stilles Heim nicht nur eine wohlverdiente Rast, sondern auch wohltuende Erholung und gesunde Heilstätte geboten hat: nur vier Soldaten starben in unserem Lazarett."