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Integration damals

KU-Forschungsprojekt beleuchtet Situation der Heimatvertriebenen in der Diözese nach Kriegsende

16.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:12 Uhr

Zeitzeugen-Interview: Wie sich das religiöse Leben nach dem Zweiten Weltkrieg in Eichstätt entwickelt hat, das hat eine Forschungsgruppe der KU untersucht. Die Ergebnisse stellen wir in fünf Folgen vor. - Foto: Hoth

Von Martina Besler, Katharina Zöpfl, Beate Laurenti, Magnus Pöschl, Christiane Hoth und Florian Bock

Eichstätt (EK) Flüchtlingsproblematik - das Wort scheint aktuell. Doch auch nach dem Zweiten Weltkrieg war es großes Thema. Eine Forschungsgruppe der Katholischen Universität hat Quellen studiert und Zeitzeugen interviewt. So wird die Geschichte der Diözese Eichstätt nach 1945 wieder lebendig.

Eichstätt, 1946: Der Krieg ist zwar vorbei, doch die Folgen sind noch lange nicht überwunden, als sich Bischof Michael Rackl mit folgenden Worten an die Eichstätter Bevölkerung wendet: "Im Vertrauen auf diese nie vergehende Liebe des Christenmenschen bitte ich nun heute die Einwohnerschaft der Stadt Eichstätt um eine besondere Gabe für die Brüder und Schwestern, die als Flüchtlinge zu uns gekommen sind, arm, buchstäblich bettelarm. [ ...] Wir können nichts tun, als einander helfen und das Kreuz starkmütig und gottergeben zu tragen."

Bis Dezember 1946 sind in Eichstätt bereits 1517 überwiegend katholische Vertriebene angekommen. Nahrung, Kleidung und Unterkünfte sind knapp: Auf polizeiliche Anordnung müssen viele Eichstätter Flüchtlinge in ihren Wohnungen aufnehmen, ob sie wollen oder nicht. Die "Flüchtlingsproblematik" ist auch Thema der Pastoralkonferenz von 1946. Eine wichtige Rolle spielt dabei unter anderem die Frage, welche Folgen die Entwurzelung und die Einsamkeit der Flüchtlinge nach sich ziehen könnten. Schließlich bestehe die Gefahr, dass neben den Zweifeln an Gott auch Neid, Hass und Missgunst gegenüber den Einheimischen aufkommen könnten. Noch im selben Jahr beschließen Vertreter der Dekanate, dass für die Flüchtlingsseelsorge in der Diözese ein neues Amt geschaffen werden muss. Domkapitular Georg Zischek (1892-1979) übernimmt nach der Vertreibung aus seiner Heimatdiözese Leitmeritz das Amt des Diözesanflüchtlingsseelsorgers der Diözese Eichstätt. In den darauffolgenden Jahren kommen auf seine Initiative hin viele heimatvertriebene Priester in die Diözese. Sie sollen zur Entlastung in der Seelsorgearbeit beitragen.

Doch trotz des gemeinsamen Glaubens wachsen die Spannungen zwischen Einheimischen und Vertriebenen. Oftmals wird den Flüchtlingen eine mangelnde Beteiligung am religiösen Leben vorgeworfen. "Sie waren offener und lockerer in liturgischen Fragen. Sie standen oder saßen, wenn andere knieten", so der Tenor. Auf der Tagung der heimatlosen Priester in Eichstätt werden die Sudetendeutschen sogar als "religiös unwissend" bezeichnet. Andererseits: Neben dem Vorwurf der religiösen Unwissenheit werden ihnen auch "Lichtseiten der religiösen Haltung" zugeschrieben. Sie bestünden insbesondere in der tiefen Marienverehrung. Die Pfarrer sind daher angewiesen, die Frömmigkeitsformen der Vertriebenen kennenzulernen und in den Gottesdienst zu integrieren. Sowohl Schlesier als auch Sudetendeutsche bringen neue Lieder in die Diözese. Vertriebene und Geflüchtete sollen in Wallfahrten oder Maiandachten mit Gleichgesinnten, die ein ähnliches Schicksal hinter sich haben, zusammenkommen. "Vielleicht ist gerade jetzt der Moment, gewünschte Neugestaltungen, deren Durchführung bis jetzt an der Schwerfälligkeit der Überlieferung scheiterte, neu einzuführen", so eine damalige Stimme. Heute sind die Heimatvertriebenen und ihre Nachkommen ein fester Bestandteil der bayerischen Bevölkerung. Nach über 70 Jahren kann man mit Recht von gelungener Integration sprechen.