Untermässing
"Ich bete für die Seelen aller Verstorbenen"

Pfarrer von Untermässing Krzysztof Duzynski über den Volkstrauertag

17.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:12 Uhr
Die Namen der Gefallenen der Weltkriege am Friedhof in Untermässing sind für Pfarrer Krzysztof Duzynski Mahnung in zweierlei Hinsicht: Krieg kann niemals ein Mittel sein. Und die Würde der Toten muss respektiert werden. −Foto: Luff

Untermässing (HK) Die Frage stellt sich für ihn gar nicht, sagt Krzysztof Duzynski, seit 2013 Pfarrer von Untermässing, Obermässing und Großhöbing.

Selbstverständlich bete er, ein polnischer Geistlicher, auch für deutsche Soldaten, die im Zweiten Weltkrieg gefallen sind. "Vielleicht für Soldaten, die in meiner Heimat gekämpft haben", sagt er und zuckt mit den Schultern. "Ich habe damit kein Problem." Er bete für die Seelen aller Verstorbenen.

 

Duzynski ist heute 38 Jahre alt; geboren und aufgewachsen ist er in Zamosc nahe der Grenze zur Ukraine. Auf polnischem Boden haben die Deutschen seinerzeit den Zweiten Weltkrieg begonnen, Polen war das erste Land, dass die Wehrmacht auf ihrem Eroberungsfeldzug für Lebensraum im Osten überrannt hat. Rund 5,7 Millionen Opfer hat der Krieg hier gefordert, zumindest gilt dies heute als Stand der Forschung. Der Blick auf die Historie ist beim östlichen Nachbarn selbstverständlich eine andere als in Deutschland. Aber beim Umgang mit den Toten sollte das keine Rolle spielen, sagt Pfarrer Duzynski: "Für Tote betet man, egal, was sie im Leben getan haben."

Er räumt ein, dass diese Sichtweise auch mit seinem Beruf zu tun haben könnte, die Vergebung spielt schließlich eine zentrale Rolle im christlichen Glauben. "Damit es im Leben vorwärtsgehen kann, muss man Versöhnung finden", formuliert der Geistliche seine Überzeugung, "das Miteinander." Doch nicht nur er als Pfarrer denke heute so, auch die Menschen in seiner Heimat. Das Verhältnis der Menschen beider Länder abseits der großen Politik beschreibt Duzynski als "gut bis sehr gut". Und macht dies nicht nur daran fest, dass er in Deutschland viele Freunde gefunden habe. Sondern an seinen Erfahrungen. Er bekomme so viele Messintentionen, erzählt der Pfarrer, dass er einige an Kolegen in Polen weiterschicke. Angesichts der typisch deutschen Namen darin habe ein Pfarrer in Polen seine Gemeinde einmal darauf hingewiesen, dass sie für Deutsche beteten. "Die Leute sagten einfach: ,Kein Problem. Wir beten für die Verstorbenen.'"

Der Erste Weltkrieg, der aus deutscher Sicht als europäische Katastrophe begriffen wird, die letztlich das Naziregime erst möglich machte - und auf den der Volkstrauertag zurückgeht -, spielt in der Heimat Duzynskis keine große Rolle, wie er sagt. Mit dem Begriff "Krieg" sei immer der Zweite Weltkrieg gemeint. Wohl aber wird der 11. November gefeiert. An diesem Tag im Jahr 1918 unterzeichnete Deutschland den Waffenstillstandsvertrag - und Polen erlangte nach 123 Jahren der Teilung durch Preußen, Österreich-Ungarn und Russland seinen Staat zurück. Der Fokus liege in seiner Heimat auf der Staatsgründung, erzählt Duzynski. An diesem Unabhängigkeitstag, einem staatlichen Feiertag, bete man aber auch für die Toten - also ähnlich Allerseelen, dem Totensonntag oder dem Volkstrauertag, die allesamt im November angesiedelt sind. Die Hauptgedenktage seien im katholischen Polen aber Allerheiligen und Allerseelen, nicht unbedingt der 11. November.

Duzynski weiß natürlich sehr genau, welche Wunden der Zweite Weltkrieg seiner Heimat zugefügt hat. Persönlich betroffen sei seine Familie aber nicht gewesen, seine - damals noch sehr jungen - Großeltern seien gut durch den Krieg gekommen; seine Großväter waren zu jung für den Soldatendienst. Anders sieht es oft bei Menschen aus, die er in Deutschland als Seelsorger kennengelernt hat. "Da muss man Mitleid haben", gibt er einen kleinen Einblick in deren Geschichten. Manch einer habe bis zum eigenen Tod die Kriegserlebnisse nicht verarbeitet. "Schießen oder erschossen werden", das war die simple Frage, die Gläubige oft noch Jahrzehnte später beschäftigt habe. Andere seien sicherlich verblendet gewesen, so Duzynski. "Man sieht die Wahrheit nicht." Weshalb es nach so langer Zeit für ihn nur eine Sichtweise gibt: "Das alles ist ein großes Drama des Menschen."

So hält er den Volkstrauertag in Deutschland für eine gute Einrichtung, die an Bedeutung nicht verliere: "Auch der nächsten Generation muss man zeigen, dass Krieg falsch ist, dass es andere Wege gibt, Konflikte zu lösen." Die Toten seien stete Mahnung. "Es ist wichtig, so etwas jedes Jahr zu machen." Selbst die Uniformen, in denen die Krieger- und Reservistenvereine an diesem Tag zum Kriegerdenkmal in den Orten marschieren, stören ihn, den Polen in Deutschland, nicht. "Das gehört dazu."

Viel wichtiger hält Duzynski, dass allen Generationen an diesem Tag vor Augen geführt werde, dass der Toten respektvoll gedacht werde. Wie es auch anders geht, sei ihm bei einem Aufenthalt in der Schweiz deutlich geworden, wo er einst einem Kollegen half und eine Beerdigung hielt. Die Asche der Oma sei in einer Leihurne aufbewahrt gewesen, bevor man sie in ein Loch am Boden schüttete. "Wie kann da die nächste Generation an die Oma denken", fragt der Pfarrer, "wo für sie beten?" Ihn schüttelt es noch heute förmlich bei der Erinnerung. Hier dagegen habe er einmal mitbekommen, wie Kinder eine tote Maus fanden und bestatteten - eines von ihnen spielte den Pfarrer. "Die Maus hat ein würdigeres Begräbnis bekommen als die Oma."

Schon den Kindern in der Schule bringe er bei, dass der Friedhof etwas Besonderes sei. Er muss es wissen: Schließlich wohnt Pfarrer Duzynski "auf dem Friedhof", wie er augenzwinkernd sagt. Tatsächlich tritt er aus seiner Tür im Untermässinger Pfarrhaus und hat die Gräber vor Augen. Das gefällt ihm, es erinnert ihn auch an seine Heimat. "Ich sehe, wenn die Leute ans Grab gehen und Kerzen anzünden", erzählt er. Die Menschen seien im Glauben verwurzelt, ähnlich wie in Ostpolen. "Wir denken an unsere Toten", sagt Duzynski - und meint damit alle Gläubigen, gleich welcher Nationalität.

Das Kriegerdenkmal in Untermässing steht ebenfalls am Friedhof. Es ist ein Denkmal, wie es der polnische Pfarrer aus seiner Heimat nicht kennt, "das gibt es dort nicht". Allerdings seien hier wie dort die Gefallenen mit der Kirche eng verbunden. In Polen seien Bilder der Gefallenen eines Ortes in der Kirche angebracht.

So ist sich der Geistliche auch durchaus der Verantwortung bewusst, wenn er am Volkstrauertag den Gedenkfeiern beiwohnt und gestaltet. "Für mich muss es sportlich gehen", sagt er. Um 8 Uhr beginnt der Tag für ihn in Obermässing, wo auch die Blaskapelle spielt. Ebenso in Untermässing, wo er spätestens um 9.15 Uhr sein wird. Um 10.30 Uhr beginnt der Volkstrauertag in Großhöbing. Auch hier müsse er pünktlich beginnen, sagt Duzynski. "Das ist machbar", sagt er. Nicht ohne seinen eigenen Anspruch zu formulieren. "Es ist auch machbar, das würdig und respektvoll zu machen, nicht 08/15."

VOLKSTRAUERTAG

Der Volkstrauertag ist in Deutschland ein staatlicher Gedenktag und gehört zu den sogenannten stillen Tagen, in Bayern gilt dann beispielsweise auch ein Tanzverbot. Er wird seit 1952 zwei Sonntage vor dem ersten Adventssonntag begangen und erinnert an die Kriegstoten und Opfer der Gewaltherrschaft.

Wieder eingeführt wurde der Volkstrauertag in der Bundesrepublik 1952 auf Anregung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Der Volksbund war 1919 von heimkehrenden Soldaten des Ersten Weltkriegs gegründet worden. Mit Hilfe dieser Bürgerinitiative konnten sie sich um die Gräber ihrer gefallenen Kameraden im Ausland kümmern - eine Aufgabe, die die Weimarer Republik wirtschaftlich nicht stemmen konnte. Heute ist die Organisation im Auftrag der Bundesregierung aktiv. Die Ursprünge des Volkstrauertags reichen bis in das Jahr 1922, als im Reichstag der Weimarer Republik die erste offizielle Feierstunde stattfand. Damals veranstaltete der Volksbund eine Feier, um das Gedenken an die Millionen Kriegstoten des Ersten Weltkrieges zu wahren. Die Nationalsozialisten wandelten den Volkstrauertag jedoch nach der Machtübernahme 1933 in einen "Heldengedenktag" um, der bis 1945 jährlich im März stattfand.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt die Tradition des Volkstrauertags in den westlichen Besatzungszonen ihre ursprüngliche Form zurück. Parallel dazu wurde in der DDR der "Internationale Gedenktag für die Opfer des faschistischen Terrors und Kampftag gegen Faschismus und imperialistischen Krieg" eingeführt und mit der Wiedervereinigung wieder abgeschafft. Um den Volkstrauertag deutlich vom Heldengedenktag abzugrenzen, wurde er auf das Ende des Jahres verschoben, welches - theologisch gesehen - mit den Themen Zeit, Tod und Ewigkeit in enger Verbindung steht. Die Evangelische Kirche in Deutschland beispielsweise feiert eine Woche später den Totensonntag, ihr Äquivalent zu Allerseelen. Auch an diesen Tagen wird der Verstorbenen gedacht. | luf