Thalmässing
"Wir haben deutsche Familie"

Unterstützerkreis Thalmässing hilft Flüchtlingen bei der Bewältigung des Alltags

27.11.2015 | Stand 02.12.2020, 20:30 Uhr

Sie verstehen sich gut: Die Mitglieder des Unterstützerkreises helfen den Flüchtlingen, die Probleme des Alltags zu bewältigen - Foto: A. Karch

Thalmässing (HK) Das Engagement des Unterstützerkreises Thalmässing für die Flüchtlinge hat in den vergangenen zwei Jahren nicht nachgelassen, die Zahl der Helfer ist sogar noch gewachsen. Aufgaben gibt es für sie viele, dafür ernten sie aber auch viel Dankbarkeit von den Asylbewerbern.

„Wenn man sich vorstellt, das wären die eigenen Kinder, die ihr Leben wieder von Grund auf aufbauen müssen.“ Elfriede Sinke blickt nachdenklich auf die jungen Frauen und Männer, die sich an diesem Nachmittag um den großen Tisch im Aufenthaltsraum der Flüchtlingsunterkunft gruppiert haben. Bei allen kennt sie die Gründe, warum sie ihre Heimat in Aserbaidschan, der Ukraine, Syrien, Irak oder Albanien verlassen haben. Und sie weiß auch, wie schwer dieser Weg oft gewesen ist. Für Sinke gibt es deshalb keinerlei Zweifel, dass diesen Flüchtlingen geholfen werden muss.

So wie sie denken die fast 30 anderen Helfer, die sich im Unterstützerkreis Thalmässing engagieren. In den zwei Jahren, in denen sie den Asylbewerbern zur Seite stehen, hat das Engagement nicht nachgelassen. „Im Gegenteil, die Unterstützer werden immer mehr“, stellt Lothar Michael erfreut fest. Bei dem Diakon laufen die Fäden zusammen, und von denen gibt es viele. Fahrdienste zu Ärzten müssen koordiniert, Veranstaltungen organisiert und Unterricht muss in die Wege geleitet werden. Die Helfer verstehen sich auch als Türöffner zu Schulen, Kindergärten, Vereinen, Kirchen und Ärzten und sie unterstützen die Menschen bei der Arbeits- und Wohnungssuche. Sie fordern auch Krankenscheine an, lesen die Post und bearbeiten Gerichts- und Anwaltstermine. Regelmäßige Treffen des Unterstützerkreises sind deshalb unabdingbar, um die Fülle an selbst gestellten Aufgaben zu bewältigen.

Rund 40 Flüchtlinge sind derzeit in der Großgemeinde Thalmässing untergebracht, alleine im ehemaligen Gasthaus Zum Pyraser wohnen 28. Viele von ihnen sind an diesem Nachmittag in den Aufenthaltsraum gekommen, um sich mit den Helfern zu treffen und davon zu erzählen, wie gut sie sich in Thalmässing aufgenommen fühlen. Im Minutentakt treffen sie ein, holen neue Stühle und schütteln den Helfern die Hände oder umarmen sie.

Ob die Asylbewerber nun aus Osteuropa oder dem Nahen Osten stammen – für Diakon Lothar Michael gibt es dabei keinen Unterschied zwischen politisch Verfolgten und denen, die wegen der schlechten Verhältnisse in ihrem Land geflüchtet sind. „Für mich sind das keine Wirtschafts-, sondern Armutsflüchtlinge.“ Der Staat sieht das aber anders. So wurde erst vor wenigen Tagen eine Familie aus Serbien mit fünf Kindern, die in einem Anwesen auf dem Marktplatz gewohnt hat, in ihr Heimatland zurückgeschickt. „Sie sind freiwillig ausgereist“, erklärt Svjetlana Princz, aber sie sieht traurig aus. Der Abschied ist ihr schwergefallen, denn für die Helfer ist ihr Gegenüber nicht nur ein Flüchtling, sondern in erster Linie ein Mensch. Und zu dem bauen die Unterstützer schnell eine Beziehung auf, lernen Schicksale kennen und versuchen alles, um den Menschen das Ankommen und Fuß fassen in Deutschland zu erleichtern.

Dass die Mühlen des Staates dabei oft so langsam mahlen, sorgt bei den Helfern immer wieder für Kopfschütteln. Bynjam zum Beispiel ist schon seit zwei Jahren und acht Monaten Asyl suchend – ein Verfahren gibt es bisher nicht. Semir, einer der Äthiopier, der unter den ersten Flüchtlingen war, die in Thalmässing untergebracht worden sind, ist nur geduldet. Seine Aufenthaltserlaubnis wird immer nur um ein Jahr verlängert. Semir fungiert inzwischen als Hausmeister in der Flüchtlingsunterkunft.

Arbeiten wollen alle Flüchtlinge, schon allein, um dem Tag Struktur zu geben. Bynjam hat eine Stelle im Sindersdorfer Gewerbegebiet, zu der er jeden Tag mit dem Fahrrad gefahren ist. Der Förderverein zur Unterstützung des bürgerschaftlichen Engagements im Landkreis Roth (FUBE) hat ihm jetzt das Geld für ein Mofa vorgestreckt, denn wegziehen von Thalmässing wollte er trotz eines Wohnungsangebots nicht. Zu gut gefällt es ihm in der Unterkunft. Einen Führerschein darf er nicht machen, weil er keine Geburtsurkunde hat. Und die ist in Bayern Voraussetzung für die Führerscheinprüfung. Ramazan hilft bei einem Thalmässinger Metzger, bei dem seine Frau Besnike auch putzt, ein anderer junger Mann macht eine Lehre als Koch im Gredinger Altenheim St. Magdalena.

Oft scheitert die Arbeitsaufnahme aber einfach an der Verbindung. „Der Nahverkehr ist eine Katastrophe.“ Darin sind sich die Helfer einig. Die wenigen Busse fahren zu so ungünstigen Zweiten, dass die Flüchtlinge nicht zu ihrer Arbeitsstelle außerhalb von Thalmässing kommen. „Fahrten, die mit den Bussen möglich sind, werden damit abgedeckt“, erklärt Michael. Wenn kein Bus zur richtigen Zeit fährt, spielen die Helfer Taxi bei Fahrten zu Behörden oder in Kliniken und zum Gericht. „Die Ärzte sind eigentlich immer bereit, die Termine an Buszeiten anzupassen“, berichtet Svjetlana Princz von positiven Erfahrungen. Zwar gibt es die Möglichkeit, den Rufbus anzufordern. „Aber da werden am Telefon in kurzer Zeit so schnell hintereinander Fragen gestellt, das können unsere Leute nicht verstehen“, erklärt Elfriede Sinke. Deshalb müssten oft die Helfer diese Anrufe übernehmen. „Wenn die Flüchtlinge selbst anrufen, kommt der Bus nicht.“ Mehr Buslinien würden deshalb die Arbeit der Helfer sehr erleichtern.

Sobald die Flüchtlinge drei Monate in Deutschland sind, dürfen sie in 450-Euro-Jobs arbeiten – wenn sie Deutschkenntnisse haben. „Jeder Arbeitgeber fragt danach“, erklärt Lothar Michael. Der Helferkreis hat deshalb den Deutschunterricht ganz oben auf seine Prioritätenliste gesetzt und bietet nicht nur Erwachsenen die Möglichkeit, die neue Sprache zu lernen. Auch die Kinder werden in extra Kursen gefördert, ihre Hausaufgaben werden betreut. Derzeit überlegen die Helfer, ob sie die Kinder, die die Übergangsklasse in Hilpoltstein besuchen, nachmittags noch unterstützen sollen. Fit gemacht für diese Arbeit werden die Helfer in extra Fortbildungskursen. „Die Thalmässinger waren beim letzten Kurs mit den meisten Teilnehmern vertreten“, berichtet Svjetlana Princz stolz.

Das Interesse der Flüchtlinge am Sprachunterricht ist „riesig“, sagt Christine Gänßbauer, die zu den Helfern gehört, die Deutsch unterrichten. „Da kommen alle außer denen, die Arbeit haben.“ Auf die Frage, was sich der Unterstützerkreis denn wünsche, kommt ihre Antwort wie aus der Pistole geschossen: „Eine ganz große Tafel.“ Denn die alte Tafel, die für den Unterricht zur Verfügung steht, ist auf Kindergröße zugeschnitten. „Da lacht immer jeder, wenn ich mich runterbücken muss, um etwas zu schreiben“, sagt Gänßbauer mit einem Schmunzeln. Und prompt fangen ihre Schüler zu lachen an.

Auch wenn die Bedingungen vielleicht nicht die besten sind, so sind die Flüchtlinge doch äußerst lernbegierig. Gänßbauer wechselt beim Unterricht übergangslos vom Deutschen ins Englische, ins Serbische, Italienische oder auch Französische. Und ihre Schüler füllen Seite um Seite in ihren Heften mit Sätzen, die aus dem Alltag gegriffen sind. So will ein junger Asylbewerber, der von einem Unwetter in Albanien gehört hat, den Begriff für Hagelkörner wissen. Daran schließen sich gleich Übungen zum Wetter an, wird erklärt, was Schneeflocken sind und dass Vorhersagen wie „Es wird schneien“ eine Zukunftsform sind. Da die Helfer auch mit Schülern Hausaufgaben machen oder Deutsch lernen, würden sie sich auch über Kinderbücher freuen. Spenden sind willkommen, nicht für die Asylbewerber selbst, sondern für die Arbeit des Unterstützerkreises, beispielsweise für Anschaffungen.

In einem sind sich die Helfer einig: Die Unterstützung durch die Gemeinde und das Landratsamt sei gut. Aber auch Kindergärten, Krippe, Hort, Grund- und Mittelschule werden von allen gelobt. „Im Kindergarten haben sich schon herzliche Freundschaften entwickelt“, registriert Lothar Michel erfreut. Natürlich gebe es in der Schule auch einmal Probleme, doch könne man die lösen.

Auch bei den Vereinen wie dem TV 06 Thalmässing, bei dem sie Fußball spielen können, oder auch der Freiwilligen Feuerwehr fühlen sich die Flüchtlinge gut aufgenommen. Karim, der erst zwei Monate in Deutschland ist, kann sich schon sehr gut in der fremden Sprache verständigen. Er spricht auch mit seinem Bruder Ali deutsch. „Wir haben deutsche Familie“, sagt er und strahlt Christine Gänßbauer an. Sie und ihr Mann haben eine Art Patenschaft für die jungen Äthiopier übernommen. Und auch Ramazan bekräftigt: „Ich und meine Frau keine Probleme. Thalmässing sehr gut.“