Thalmässing
Mittelschüler als Friedhofspfleger

15 Kinder und Jugendliche kümmern sich ehrenamtlich um jüdische Gräber in Thalmässing

28.07.2016 | Stand 02.12.2020, 19:29 Uhr

Behutsamkeit ist gefragt: Kevin entfernt mit einer kleinen Bürste vorsichtig das Moos von den Grabsteinen. Gemeinsam mit Schulleiter Ottmar Misoph überlegen die beiden Zwölfjährigen außerdem, wie sie dem Eingangstürchen neuen Glanz verpassen können (unten rechts).

Thalmässing (DK) Thalmässinger Mittelschüler pflegen seit dem Frühjahr den jüdischen Friedhof, der in der Nähe ihrer Schule liegt. Sie engagieren sich damit nicht nur ehrenamtlich, sondern lernen nebenbei so einiges über die fremde Kultur.

"Herr Misoph, Mütze aufsetzen!", fordert Kevin seinen Schulleiter auf, als sie das kleine weiße Türchen, in dessen Gitter ein Davidstern eingelassen ist, erreichen. Ottmar Misoph holt aus einem Eimer grüne Kappen heraus und verteilt sie an Kevin und Tim, die sich für den heutigen Arbeitseinsatz freiwillig gemeldet haben. "Männer dürfen den Friedhof nur mit einer Kopfbedeckung betreten", erklärt der Leiter der Thalmässinger Mittelschule und sperrt das Tor für seine Schüler auf. "Das mussten wir erst einmal lernen."

Die Schule hat die ehrenamtliche Pflege des Gräberfelds im Frühjahr übernommen, als der Vorgänger aus Altersgründen aufhören musste. "Dass der Friedhof gleich in unserer Nachbarbarschaft ist, ist praktisch", stellt Misoph fest. Etwa 15 Kinder und Jugendliche unterstützen ihn, die Gräber hinter einer kleinen, unscheinbaren Mauer unweit der Sporthalle tadellos rein zu halten. Sie haben Misoph zufolge bereits das hohe Gras heruntergeschnitten, altes Laub weggeschafft, Hecken gestutzt und die Grabsteine von Moos gesäubert. Hier war allerdings Vorsicht geboten: "An den Steinen darf nichts verändert werden, deshalb waren wir mit den Wurzelbürsten da ganz behutsam", sagt Misoph.

Der jüdische Friedhof in Thalmässing hat eine bewegte Geschichte. "Die Steine stehen nicht auf ihrem Originalplatz, sie sind im Dritten Reich von den Nazis entfernt worden", weiß der Schulleiter. Nach 1945 hätten die Amerikaner sie wieder aufgestellt - in willkürlicher Reihenfolge, da sie natürlich nicht gewusst hätten, wo welcher Tote begraben liegt. "Sie haben die alten Steine einbetoniert, deshalb können sie nicht umfallen, und so dürfen unsere Schüler auch hierher."

Diese brauchen gar keine große Anleitung. Während Kevin die heruntergefallenen Äste aufsammelt, schmeißt Tim schon einmal den Rasenmäher an und dreht Runde um Runde. "Kevin ist vor Kurzem hier vorbeigeradelt und hat erzählt, dass das Gras schon wieder so hoch ist", sagt Misoph. Er freut sich, dass seine Schüler Eigeninitiative zeigen - und auch Interesse an der fremden Kultur. "Das Judentum ist immer wieder Thema im Religionsunterricht", verdeutlicht der Schulleiter.

Er könne sich deshalb vorstellen, einmal eine Schulstunde an der Gräberstätte abzuhalten. "Der Friedhof hat etwas Meditatives, alle Steine sind relativ gleich, und keiner versucht, den anderen zu übertreffen", bemerkt Misoph mit Blick auf die schlichten Grabstellen mit den hebräischen Inschriften. Gerade in dieser unruhigen Zeit schade es nicht, die Schüler für die Geschichte der Juden zu sensibilisieren, "ihnen aber auch zu zeigen, dass es das Judentum immer noch gibt und es zudem immer noch lebendig ist".

Um dies auch Spaziergängern, die ab und an auf dem Wanderweg entlang des Friedhofs vorbeikommen, zu verdeutlichen, plant Misoph, mit seinen Schülern eine Informationstafel zu gestalten. "Um das religiöse Brauchtum und die jüdischen Beerdigungsrituale zu erklären", ergänzt der Schulleiter. Er behaupte von sich selbst, viel über das Judentum zu wissen, habe aber noch einiges dazugelernt. "Am Sabbat und an jüdischen Feiertagen darf der Friedhof zum Beispiel nicht betreten werden, das ist bei uns eigentlich ganz anders", erläutert Misoph. In seinem Büro hänge deshalb nun ein Kalender mit den jüdischen Feiertagen, um keinen Fehler zu begehen.

Die großen Bäume auf dem Friedhof werfen lange Schatten auf die etwa 80 Grabsteine. "47 Sekunden 38", ruft Tim seinem Mitschüler zu, der diese Zeit für eine Runde mit dem Rasenmäher unterbieten will. Sie wissen, dass sie sich hier benehmen müssen. "Auf einem christlichen Friedhof würden sie auch nicht rumrennen und Fußball spielen", beteuert Misoph. "Schimpfwörter darf man hier auch nicht sagen", wirft Tim ein. Er beteiligt sich gerne beim Rasenmähen. "Das ist befreiend", sagt der Zwölfjährige geradezu philosophisch. Auch Kevin hat sich freiwillig gemeldet. "Weil ich bei allem helfen will, was draußen ist", sagt der Zwölfjährige und wirft den Rasenmäher wieder an.