Thalmässing
"Goethe schützt vor Goebbels nicht"

Christian Nürnberger liest im Gedenken an den Jahrestag der Bücherverbrennung 1933 in Thalmässing

11.05.2014 | Stand 02.12.2020, 22:43 Uhr

Gedenken dem Jahrestag der Bücherverbrennung: Ursula Klobe, die Büchereileiterin Waltraud Vogel, der Schriftsteller Christian Nürnberger und VHS-Chef Arne Zielinski (von links) - Fotos: Leykamm

Thalmässing (HK) Zum dritten Mal hat man nun in Thalmässing am Jahrestag der Bücherverbrennung mit einer Lesung jenes Vergehens am menschlichen Geist gedacht, das 1933 in vielen Städten Deutschlands die Werke kluger Köpfe in Flammen aufgehen ließ. Diesmal war Christian Nürnberger zu Gast.

Es war ein beherzter Vortrag des Publizisten und SPD-Politikers Christian Nürnberger. Er machte in der Bücherei im Gemeindezentrum St. Marien deutlich, warum die Erinnerung an die Bücherverbrennung vor mehr als 80 Jahren auch in der heutigen Zeit noch so wichtig ist.

Die Bedeutung solchen Erinnerns erschließe sich aber nicht von selbst, ließ der in Schönberg bei Lauf geborene Mann des Wortes durchblicken. Man könne sich ja auch fragen, was es bringe, „an Bücherverbrennungen zu erinnern, wenn eh kaum noch jemand liest“, sagte der heute in Mainz lebende Publizist fast resigniert.

Seine einstige Heimat hat er sich in den vergangenen Jahren wieder verstärkt in Erinnerung gerufen. 2012 wurde er nämlich zum Bundestagskandidaten der Sozialdemokraten für den hiesigen Wahlkreis Roth/Nürnberger Land nominiert. Vergangenes Jahr hielt er eine Lesung in Hilpoltstein. Darüber, dass es gelungen war, ihn nun nach Thalmässing zu lotsen, zeigten sich dort die stellvertretende Bürgermeisterin Ursula Klobe, Büchereileitung Waltraud Vogel und Arne Zielinski, der neue Leiter der Volkshochschule (VHS) der Gemeinden im Landkreis Roth – sie trat als Veranstalter auf – gleichermaßen erfreut.

Nürnberger nahm die Besucher mit in die eigene Vergangenheit. In der Grundschule sei er „an einen Nazi geraten“, erinnerte er sich im Gemeindezentrum. So zumindest habe der damalige Rathauschef den damaligen Direktor der Schule des jungen Christian bezeichnet. Und zwar im Rahmen eines Gesprächs, in dem Nürnbergers Eltern sich seinerzeit – das sogenannte Tausendjährige Reich war längst Geschichte – beim Bürgermeister über die rüden Methoden des Schulleiters beschwerten. Damals habe er sich mit dem Wort „Nazi“ erstmals bewusst auseinandergesetzt, so der Schriftsteller heute.

Nur widerwillig hätten Vater und Mutter ihm erklärt, was es damit auf sich habe. Das sei symptomatisch für die damalige Zeit gewesen. Man habe die Vergangenheit vergessen und Deutschland wirtschaftlich voranbringen wollen. Doch für Nürnberger selbst begann erst die bis heute andauernde Auseinandersetzung mit dem unseligsten Kapitel deutscher Geschichte.

Auch Filme hierüber hätten ihn tief geprägt. Szenen, in denen Handlanger des Hitlerregimes der Mutter das Kind entrissen, um beide in getrennten Zügen in die sichere Vernichtung fahren zu lassen. Oder in denen ein jüdischer Geschäftsmann vertrauensvoll einen Polizisten um Hilfe vor Steinewerfern bittet und erfahren muss, dass sich in Deutschland der Wind gedreht und nun finsterster, verblendeter Hass regiert. Doch diese dunkle Zeit sei eben auch von „der Generation meiner Eltern und Großeltern, meiner Lehrer und Pfarrer“ bevölkert worden, so Nürnberger.

Sein eigener Vater sei als Wachmann schon zwölf Meter neben Hitler gestanden – es wäre wohl nicht schwer gewesen, den Diktator zu erschießen. Nürnberger senior tat es nicht. Denn er sei damals wie so viele Menschen im ganzen Reich von Hitler fasziniert gewesen. Dabei war der Vater ursprünglich Sozialdemokrat, nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte er auch wieder reumütig in den Schoß der SPD zurück.

Was den Autor umtreibt, ist die Tatsache, dass den Nazis auch Menschen mit hoher Bildung zujubelten. Andere, die Hitler durchschauten – hierzu zählt Nürnberger auch seine Großeltern –, hätten indessen geschwiegen. Und so kam es zur Katastrophe einer Kulturnation, die in Weimar Goethe verehrte und ein paar Kilometer weiter in Buchenwald eine Mordmaschinerie installierte, die beispiellos war. Auch viele von Hitlers hochrangigen Helfern hätten christlich-humanistische Bildung genossen. Nürnbergers bittere Erkenntnis daraus: „Goethe schützt vor Goebbels nicht.“

Historiker erklärten heutzutage den Erfolg Hitlers mit dem autoritären Charakter des Naziregimes. Ein Jahrhundert lang seien die Herzen und Hirne in Deutschland vergiftet worden. Die Angst vor Autoritäten sei den Kindern schon in jungen Jahren eingebläut, der Hass etwa auf den „Todfeind Frankreich“ geschürt worden. Nürnberger erinnerte an „Gedichte“, in denen es unter anderem heißt: „Sauft Euch satt am Blut“ der Franzosen. Eine furchtbare Saat, die im Dritten Reich aufgegangen sei.

Er selbst könne nicht sagen, wie er sich damals verhalten hätte, wäre er doch wie andere mit falscher Ideologie verseucht gewesen. Seine Schlussfolgerung: Es sei nicht egal, was an Inhalten in die Köpfe der jungen Menschen gelange. „Jede Zeit hat ihre eigenen Hirngifte“, gab der Autor in Thalmässing zu bedenken. Das, was am 10. Mai 1933 dem Feuer zum Opfer fiel, „waren gute Gedanken“, so Nürnberger. Sie hätten das Gegengift zu einer menschenverachtenden Ideologie sein können, „die Nazis wussten, was ihnen gefährlich werden konnte“.

Damals habe Widerstand großen Mut erfordert. Im Gegensatz zu heute. Wenn Kinder und Jugendliche sich etwa für Mobbingopfer einsetzten, koste das vielleicht Sympathie. Auch dem Lehrer und dem Chef zu widersprechen, sei „relativ gefahrlos“. Gefährlich werde es nur dann, wenn der Widerspruch zu lange ausbleibt, wenn zu lange geschwiegen werde. Politisch gelte es ebenso, wachsam zu sein: „Wo Hetze auf kritische Demokraten trifft, zerschellt sie“, ermutigte Nürnberger. Wenn sie aber auf Schweigen treffe und die Hetzer sich dann daran machten, mit Gewalt andere einzuschüchtern, wie dies in einigen Teilen Deutschlands bereits zu beobachten sei – dann werde es gefährlich. Und dann brauche es in der Tat Mut zum Widerspruch.

Man solle hierzulande stolz sein, wenn Flüchtlinge zu uns wollten. Denn das bedeute, „dass wir nicht mehr als gefährliche Nazis wahrgenommen werden, sondern als Land, dem man vertrauen kann“. Auch gelte es, die „Friedenszone Europa“ zu erhalten. Der Ansatz, den Staatenbund „von oben um eine Bank herum aufzubauen“, sei allerdings gescheitert. Man könne Europa aber auch „von unten um eine Idee herum aufbauen“, forderte Nürnberger auf. Einer Idee der Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit etwa. Am Ende gab er den jungen Besuchern – an denen es allerdings etwas mangelte – noch einen ganz praktischen Tipp mit auf den Heimweg und rief zu binationalen Ehen auf: „Vermischt Euch!“