Thalmässing
Ein Kutterläufer für den Seemannschor

Über 400 begeisterte Konzertbesucher lassen Sänger hochleben – Bekannte Shantys und neue Stücke

20.10.2014 | Stand 02.12.2020, 22:06 Uhr

Im Heimathafen: Wind und Wellen tragen die Seebären hinaus aufs Meer, aber auch wieder zurück wie nun zum Geburtstagskonzert in der Thalmässinger Turnhalle - Fotos: Karch

Thalmässing (HK) Die Woge der Begeisterung, die dem Seemannschor aus dem Publikum entgegenkam, hätte die Seebären von ihrem Heimathafen weit in die Ferne hinaustragen können. Weit über 400 Zuhörer drängten sich beim Konzert zum 35. Geburtstag des Chors in der Turnhalle.

Zu ihrem 35. Geburtstag haben sich die Seebären aus Thalmässing und Umgebung Gäste eingeladen und viele sind gekommen. Weit über 400 erwartungsvolle Besucher drängen sich in der Turnhalle, die nicht mehr Zuhörer fassen könnte. „Käpt’n“ Lothar Heymanns Blick von der liebevoll mit Rettungsringen, Segel, Schiffsmodellen und Schiffslaternen geschmückten Bühne auf die übervolle Halle ist denn auch mehr als zufrieden. Von den „Melodien der Meere“ wollen die Sänger sich an diesem Abend in die Ferne tragen lassen, aber auch wieder nach Haus. Das Zuhause sind der Heimathafen Thalmässing und einige andere Orte, aus denen Sänger, die einst die Weltmeere befahren haben, zum Chor gestoßen sind. Gemeinsam träumen sie von vergangenen Zeiten bei der Marine oder der Handelsschifffahrt und natürlich von St. Pauli.

Die Weltmeere befahren hat Altbürgermeister Ernst Schuster nicht. Er ist vor zehn Jahren zum Ehrenmitglied des Chors ernannt worden und führt an diesem Abend mit launigen Worten und vielen Anspielungen durch das abwechslungsreiche Programm. „Er hat zumindest seine Angel schon in jedem Meer ausgeworfen“, begründet Lothar Heymanns, warum Ernst Schuster als Nicht-Seemann trotzdem gut zur Mannschaft passt. Und er war schon auf Helgoland, der einzigen deutschen Hochseeinsel, eine Voraussetzung für die Mitgliedschaft im Chor.

„Die Heimat eines Seemanns ist das Meer, seine Liebe gehört dem Schiff“, behauptet Ernst Schuster vollmundig und die Lieder, die an diesem Abend untermalen diese Aussage. Von dem Wind und den Wellen, die den Seemann aufs Meer hinaustragen, lassen sich die Zuhörer vom ersten Ton an mitnehmen. Viele summen die Melodien leise mit und fangen wie von selbst an, leicht vor sich hin zu schunkeln. „Da, wo das Herz zu Hause ist, ist es immer schön“, singt Georg Schüller in seinem Solo „Auf einer Insel irgendwo“ und sehnt sich dabei nach einer Stadt in Norddeutschland, die alle Seeleute lieben. Er fleht seinen Kapitän an, doch einmal wieder nach Hamburg zu fahren. „Das wär das Schönste für mich.“ Mancher Sänger im Chor denke sich wohl, da warte jemand auf ihn, wirft Moderator Schuster augenzwinkernd ein. Das sei wohl auch der Grund, warum manche Seebären bei ihrem jährlichen Trip nach Hamburg kein Hotelzimmer bräuchten.

Ein buntes Bild malen „die Lieder so schön wie der Norden“, die die Zuhörer in das Land der blühende Heide, zu Dünen und Strand, zu Ebbe und Flut entführen. Vom „Hamborger Veermaster“ erzählt Käpt’n Lothar Heymanns in seinem Solo, ein Shanty, dessen Melodie von einem Kirchenlied und dessen Text von einer englischen Ballade stammt. Vom Schnellsegler, der von Kap Horn zum Sacramento River fuhr, führt der Weg in eine Hafenbar. Eine ganz besondere Stimmung entsteht, wenn dort der „alte Seemann auf der Mundharmonika“ spielt. Deshalb ist es kein Wunder, wenn es heißt: „Ich vergesse nie die Stimmung in der Hafenbar, weil dort der Urlaub am Meer am schönsten war.“ Aber schnell geht es wieder zurück aufs Meer, wenn „die Windjammer kommen“ und eine Hymne auf die Gorch Fock „Weiß ist das Schiff, das wir lieben“, erklingt.

Auf diesen Moment hatten die Zuschauer, darunter viele langjährige Fans des Chors, schon lange gewartet: „Notenwart“ Ernst Schuster teilt „Notenblätter“ an die Sänger aus, die doch ihre Lieder alle auswendig können. Diese ganz besonderen Noten passen zwischen zwei Finger und befeuchten die Kehlen der durstigen Seebären. Das Solo von Käpt’n Lothar Heymanns „Rolling Home“ klingt dann auch gleich viel flüssiger.

Bei den Proben im Vereinslokal in Tiefenbach ist Wirtin Maria Grimm dafür zuständig, dass die Kehlen stets gut geölt sind. Dafür, dass sie die 28 Seebären geduldig und mit Humor erträgt, bekommt sie einen Blumenstrauß. Und auch ihr Ehemann Reinhold Grimm wird geehrt. Er sei vor zehn Jahren ins kalte Wasser geworfen und habe als Chorleiter begonnen. „Er hat sich nicht nur freigeschwommen, sondern ist jetzt Bademeister“, lobt Heymanns mit einem Grinsen. „Reinhold, du bis der Beste, weil du zu uns passt.“ Als Dankeschön der Sänger gibt es für den Chorleiter einen Gutschein für eine „Rotlichtmassage auf der Reeperbahn“, wie Heymanns mit einem fröhlichen Grinsen verkündet. Der Scheck, den Bürgermeister Georg Küttinger dem Chor für den nächsten Besuch einer Hafenbar überreicht, wird wohl für die Zeche nicht reichen. „Mit ern klaner Scheck kummer mia in Hamburg net weit“, ist sich Lothar Heymanns sicher.

Nach der Pause und einem gründlichen Studium der „Notenblätter“ geht es mit voller Fahrt und einem „brennenden Seemannsherz“ weiter mit dem Lied „Santiano“, das der Chor neu einstudiert hat. Alte Bekannte sind dagegen Stücke wie „Einmal die Ferne seh’n“, „Der Junge von St. Pauli“ oder „Einmal nach Bombay“, das Solist Peter Dumser zum Besten gibt. Vom Hit der Beach Boys, dem Shanty Sloop John B, aus dem Jahr 1966, der auf einen karibischen Volkssong zurückgeht, gibt es über 200 Versionen. „Die drei bekanntesten davon singen die Beach Boys, Tom Jones und der Thalmässinger Seemannschor“, behauptet Ernst Schuster. Lothar Heymanns und Peter Dumser stimmen die dritte Strophe der deutschen Version „Wir wollen nach Haus“ an. Das wollen die Zuschauer eigentlich nicht, auch wenn sie bei Liedern wie dem Solo von Georg Schüller „Heimweh nach St. Pauli“ oder „Ich bin bald wieder hier“ schon ahnen, dass das Konzert bald zu Ende geht. Einer der Höhepunkte, der bei keinem Konzert fehlen darf, ist Schüllers Solo „La Paloma“. Ernst Schuster hätte gar nicht um Ruhe bitten müssen, die Zuhörer sind von sich aus mucksmäuschenstill. „Auch wir haben unsern Freddy Quinn“, kündigt er Schüller an. „Einmal muss es vorbei sein“, klingt es melancholisch von der Bühne. Beim Walzerpotpourri, bei dem alle mitschunkeln und von der Reeperbahn nachts um halb eins singen, geht es wieder fröhlich zu in der Turnhalle. „Das hat ja die Fischerchöre übertroffen“, lobt Schuster das Publikum.

Mit „Wir nehmen Abschied und rufen ahoi“ steuern die Seebären auf das Ende des Konzerts zu. „Viel zu schnell lief die Zeit“, singen sie. „Das Schiff legt ab und wir müssen an Bord“ heißt es weiter. Doch ohne Zugaben dürfen sie nicht von der Bühne. Dafür gibt es vom Publikum stehende Ovationen und stilgerecht einen Kutterläufer. Und die Zuhörer hoffen, dass nicht alle Matrosen treulos sind und der Chor sein Versprechen hält: „Wir kommen wieder.“