Thalmässing
Ein Hauch von Oscar in Thalmässing

Kurzfilmtage am 6. und 7. Mai zeigen Auswahl von 25 sehenswerten Streifen Wichtiges Publikum

29.04.2016 | Stand 02.12.2020, 19:53 Uhr

Foto: DK

Thalmässing (HK) Das drittälteste Kurzfilmfestival Bayerns steht wieder vor der Tür. Für nicht Eingeweihte: Wider Erwarten findet es nicht in München oder Nürnberg statt, sondern im kleinen Thalmässing. "Wir sind klein", sagt sogar der Initiator Hans Seidl. Aber sehr fein.

"Wir sind klein, nicht perfekt und trotzdem nicht unprofessionell", sagt Hans Seidl, der das Festival 1995 gemeinsam mit Peter Hauke aus der Taufe gehoben hat. Vor allem die Atmosphäre, die alljährlich an den beiden Kurzfilmtagen im Bunker bei Filmfans aus der ganzen Region entsteht, hat es in sich: Wo sonst kann man sich bei Brot, Bier und Kuchen mal ganz ungezwungen mit Filmemachern über ihre Arbeit unterhalten? Denn die Regisseure statten dem Festival gerne einen Besuch ab. "Für die Zuschauer ist es schöner, wenn sie ein Gesicht mit dem Film verbinden können", sagt Seidl. Überdies stehen die Macher des Festivals hinter ihrer ländlichen Herkunft. "Wer Schampus oder Prosecco braucht, muss ihn selber mitbringen", frotzeln sie.

25 Filme zwischen 56 Sekunden und gut 15 Minuten hat das Festivalteam - neben Peter Hauke und Hans Seidl zählen dazu seit einigen Jahren auch dessen Sohn Benedikt Seidl und Stefanie Singer sowie viele Helfer, zumeist ehemalige Schüler Seidls am Hilpoltsteiner Gymnasium - ausgewählt. "Wir zeigen nur ein Sechzehntel der Filme, die uns geschickt wurden" sagt Hauke angesichts der Zahl von mehr als 400 Filmen aus ganz Deutschland und darüber hinaus, die den Thalmässingern angeboten werden. "Wir hoffen mal, dass es das beste Sechzehntel ist."

Das ist durchaus schwierig: Man habe beispielsweise von der Hamburg Media School nicht weniger als acht Filme bekommen, erzählt Seidl. "Eigentlich kann man von denen gar keinen rausschmeißen, sagt er. "Die sind so gut." Andererseits wollen die Kurzfilmtage in Thalmässing vielfältig sein, weshalb eben doch einige Streifen dran glauben mussten. Auch hätten viele Filmemacher sich heuer an der politischen Großwetterlage orientiert - so habe die Flüchtlingsproblematik einen Schwerpunkt der Zusendungen gebildet. Nicht aber beim Festival, lediglich "Mitfahrer" schaffte es ins Programm.

In dem Film will ein junges Pärchen von Österreich nach Deutschland fahren, ein Mann aus Afrika möchte sich ihnen anschließen. Sie will dem Flüchtling helfen, stellt den humanitären Aspekt in den Vordergrund. Er hat Angst, sich strafbar zu machen, ein Schleuser zu sein. "Man wird richtig reingezogen in den Konflikt", sagt Hans Seidl. Ein anderer Film zu diesem Thema hat es nicht geschafft. Der Beitrag, in dem eine junge Frau, die als blinde Passagierin an Bord eines Schiffes ins Land kommt, hat es ihm angetan. Sie wird abgeschoben, das Baby, das sie während der Fahrt bekommen hat, wird gerettet. Und die Mutter sorgt am Ende stumm dafür, dass der Retter es ihr nicht zurückgibt, es soll eine Chance haben. Seidl gefiel der Film, jedoch: "Ich konnte mich nicht durchsetzen." Ein Beleg, dass der Teamgedanke zählt.

"Die große Hauptrolle in all den Filmen spielt das Leben", findet Stefanie Singer, "dass so viele unterschiedliche und komplexe Geschichten in kurze Filme passen, begeistert mich immer wieder." So geht es in der Dokumentation "Nadja M." zum Beispiel um eine Frau, die in Berlin auf der Straße lebt. Materiell wie körperlich geht es ihr schlecht, in einem vermüllten Zimmer hortet sie das, was sie als ihre "Schätze" bezeichnet. Eine Frau am Rand der Gesellschaft - und doch scheint sie richtig glücklich zu sein. Ihre positive Grundhaltung steckt ihre Umwelt an.

Das Programm verspricht große und kleine, tragische und komische Lebensgeschichten. Etwa den jungen Christopher, der in "Mut zum Leben" von seiner schweren Behinderung erzählt und trotz all der Schwierigkeiten sein Leben nicht aufgibt. Er ist zusammengeschlagen worden, lag im Koma. "Danach hat er sich millimeterweise hochgerappelt", sagt Seidl. Er besucht Prominente, geht zum Besuch in den Knast - und strahlt bei allen Gelegenheiten. "Nach den ersten zwei Minuten war klar: Wir brauchen nicht weiterzuschauen." Der Beitrag gehört ins Programm der Kurzfilmtage.

Fast so viel Humor wie Christopher braucht der Zuschauer beim Film "Es war feucht, dunkel und roch nach Holz": Zu absurd sind die letzten Minuten der Helden des Trojanischen Krieges im Inneren des hölzernen Pferdes. Einer zählt die Sekunden, 15 113 - also gut vier Stunden - sind die Krieger der Hellenen schon im Holzpferd. Von Begeisterung keine Spur. "Warum wir im Krieg sind, weiß doch auch keiner mehr so richtig", motzt einer Odysseus an. Dessen flammende Kriegsrede erntet den Kommentar, sie sei schlechter Stil. Und als es endlich nach draußen gehen soll, den Trojanern den Garaus zu machen, fragt der listige Held, wo denn die Ausstiegsklappe sei. Beim Bau des Pferdes ist aber offenbar ein Fehler passiert, denn Odysseus erhält die überraschte Gegenfrage: "Welche Klappe"

Einigermaßen kriegerisch geht es auch bei den beiden "Bombenbastler-Filmen" zu, wie Hans Seidl "Bob" und "Herman the German" nennt. Dabei bastelt eigentlich nur der Hauptdarsteller von "Bob", einem absurden Streifen in Dokumanier, tatsächlich Bomben, die er via Internet an Hassprediger und Nazis gleichermaßen verkauft. Natürlich inklusive einer Versicherung gegen vorzeitige Explosion. In "Herman the German" geht es dagegen um einen Bombenentschärfer, der die Fähigkeit verloren hat, Angst zu haben. Die Ärztin, gespielt von Anke Engelke, gibt ihm die Aufgabe, seine Zentralangst zu finden, um das Furchtzentrum in seinem Kopf zu reaktivieren. Dadurch ist Herman gezwungen, jede Phobie der Welt auszutesten, um wieder normal zu werden.

Gar mit einer Oscar-Nominierung in der Kategorie "Bester animierter Kurzfilm" kann die russische Animation "We can't live without cosmos" aufwarten, die allerdings erst am Samstag zu sehen sein wird: Zwei Freunde teilen seit frühester Kindheit den Traum, ins All zu fliegen. Sie sind die Besten des Ausbildungstrainings für Kosmonauten - doch nur einer darf in die Rakete. Der andere bleibt auf der Erde. Und muss mit ansehen, wie die Rakete explodiert.

Gespannt sind auch die Juroren der Veranstalter, welche Filme beim Publikum punkten können. Die Zuschauer entscheiden am Freitag über den ersten und zweiten Preis. "Niemand anderes als der Zuschauer kann dir so ehrlich vermitteln, ob der Film gut war oder nicht", findet Hans Seidl. Die meisten Kurzfilmfestivals hätten andere Kriterien im Blick, ließen deshalb Jurys aus Fachleuten die Gewinner ermitteln. In Thalmässing habe man sich bewusst für einen anderen Weg entschieden: "Man sollte den Zuschauern etwas zutrauen."