Schwabach
"Der vierte Stamm des Freistaats"

Staatssekretär Johannes Hintersberger würdigt bei Gedenkveranstaltung die Leistung der Sudeten

27.04.2016 | Stand 02.12.2020, 19:54 Uhr

An einem Luftbild aus dem Jahr 1957 zeigt Dieter Heller, Vorsitzender der Sudetendeutschen im Kreis Roth-Schwabach (oben rechts), dem Staatssekretär Johannes Hintersberger die Lage des einstigen Aufnahmelagers für Heimatvertriebene im Schwabacher Vogelherd. Über die damalige Zeit sprechen auch die Zeitzeugen Wally Bauer aus Nürnberg, Georg Rahnhöfer aus Haag, Herbert Müller aus Weißenburg (unten, von links) mit dem Pressesprecher des Landesverbands der Sudeten, Frank Altrichter (2.v.l.). - Foto: Schmitt

Schwabach/Hilpoltstein (HK) Mit einer großen Gedenkveranstaltung hat die Sudetendeutsche Landsmannschaft im Kreis Roth-Schwabach an das vor 70 Jahren ins Leben gerufene Aufnahmelager für Heimatvertriebene im Schwabacher Vogelherd erinnert.

Die damals errichteten Holzbaracken waren Durchgangsstation für über 50 000 Menschen, die per Zug aus Tschechien, Ungarn und Ostpreußen nach Bayern kamen. In Schwabach wurden sie registriert und nach wenigen Tagen innerhalb Bayerns weiterverteilt.

Höhepunkt der Veranstaltung mit zahlreichen Gästen, die noch selbst ihre ersten Tage nach der Vertreibung im Vogelherd-Lager verbracht hatten, war ein Interview mit drei Zeitzeugen. Wally Bauer aus Nürnberg und Herbert Müller aus Weißenburg waren als Kinder aus dem Sudetenland nach Schwabach gekommen. Georg Rahnhöfer aus dem Kammersteiner Ortsteil Haag war damals Zimmererlehrling in Schwabach, hat sich als 16-Jähriger in ein Sudeten-Mädchen aus Mies verliebt und sie im Mai 1950 geheiratet. 1946 hat er sich mit drei Familien aus dem Lager angefreundet. "Für das Weihnachtsfest habe ich für sie im Heidenberg Weihnachtsbäume gestohlen", erzählte er.

Für Wally Bauer waren die Tage in Schwabach geprägt von Sorge und Ungewissheit. "Ich wusste nicht, wo mein Vater und mein Bruder sind", erinnerte sie sich. Auf die Frage, ob sie denn im Lauf der Zeit ihre erste Heimat vergessen habe, antwortete sie mit einem klaren "Nein". Sofort nach der Wende sei sie mit ihren vier Töchtern nach Langgrün gefahren. Seither habe sie ihr Heimatdorf und Karlsbad regelmäßig besucht.

Herbert Müller war vor seiner Abschiebung nach Bayern in einem tschechischen Internierungslager gewesen. "Die Freiheit hier war für mich eine große Sache", erklärte er. "Wir wurden hier als Menschen angesehen", so Müller, der seinen Worten zufolge damals nie an Integration gedacht hat. "Wir waren sicher, dass wir wieder heimkommen, denn ein derartiges Unrecht konnte doch keinen Bestand haben." Integration sei für ihn erst "viel, viel später aktuell geworden".

CSU-Politiker Johannes Hintersberger, Staatssekretär im bayerischen Sozialministerium, verwies auf die "beeindruckende Leistung der Sudetendeutschen". Gemeinsam mit den Bayern, Schwaben und Franken hätten sie den Freistaat zu dem gemacht, was er heute ist. "Sie sind als vierter Stamm Leistungsträger unseres Gemeinwesens", rief er den Sudetendeutschen verschiedener Generationen zu, "und haben eine wunderbare Integrationsleistung erbracht".

Hintersberger hob auch die Leistung der Schwabacher nach dem Krieg in einem zerstörten Land hervor. "Sie haben die Heimatvertriebenen so gut es ging aufgenommen, dafür gilt ihnen noch heute unser Dank", so Hintersberger, der insbesondere die Integration der Vertriebenen in den Arbeitsmarkt als Schlüssel zum Erfolg sah. Das war für den CSU-Politiker die entscheidende Parallele zu den Flüchtlingen, die heute nach Deutschland kommen. "Die, die in echter Not sind, bekommen bei uns Aufnahme und Schutz", versicherte er, sah aber in der Bewältigung der weltweiten Flüchtlingsströme die größte Herausforderung für Deutschland seit der Zeit nach dem Krieg.

Darüber hinaus unterstrich Hintersberger das mittlerweile vom Dialog bestimmte Verhältnis zur Tschechischen Republik. "Er ist geprägt worden von der Sudetendeutschen Landsmannschaft, die im engen Schulterschluss mit dem bayerischen Ministerpräsidenten und der tschechischen Staatsführung einen guten Schritt auf dem Weg zu mehr Verständigung in Europa getan hat", so Hintersberger.

Steffen Hörtler, Landesobmann der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Bayern, machte auf die Aufarbeitung der Vertreibung in der Tschechischen Republik aufmerksam und sah darin ein Zeichen für große Fortschritte in Sachen Versöhnung.

Das schlechte Wetter machte dem weiteren Verlauf der Veranstaltung einen Strich durch die Rechnung. Eigentlich hatte die Stadt Schwabach geplant, exakt an dem Ort im Vogelherd einen Empfang zu geben, an dem eine der Holzbaracken platziert gewesen war. Dort warteten ein Büffet und das Goldmobil, von dem herab Oberbürgermeister Matthias Thürauf ein Grußwort sprechen sollte. Außerdem war geplant, dass Dekan Klaus Stiegler und Domkapitular Alois Ehrl Dankgebet und Totengedenken leiten sollten. Beides musste wegen des Dauerregens ins Gemeinschaftshaus verlegt werden. Die Feier am Büffet war nur mit Schirm möglich.

Dieter Heller, Vorsitzender der Sudetendeutschen im Kreis Roth-Schwabach, und sein Stellvertreter Wilhelm Rubick hoben die Bedeutung des Gedenkens für ihren Verband hervor. Ähnliche Feiern fanden am Samstag auch an den ehemaligen Grenzdurchgangsstationen in Furth im Wald und in Wiesau statt.