Roth
Ganz tief im Süden

JJ Grey, Mofro und Marc Broussard schenken den Bluestagen ein herausragendes Konzerterlebnis

26.03.2015 | Stand 02.12.2020, 21:30 Uhr

Großartige Musik aus dem Süden der Vereinigten Staaten bringen JJ Grey und Mofro in die Rother Kulturfabrik - Fotos: Tschapka

Roth (HK) Mittwoch ist Halbzeit bei den Bluestagen gewesen. Der ideale Zeitpunkt für eine kleine Zwischenbilanz. Und die fällt sehr, sehr gut aus, wobei ein gewisser JJ Grey aus Florida keinen geringen Anteil hat. Sein Konzert in der Kulturfabrik war schlichtweg großartig.

Gute Konzerte leben nicht zuletzt von der Spannung, vom Unerwarteten, vom Neuen und von der Begeisterung. Wenn dann noch Könner auf der Bühne agieren, steht einem Höhepunkt nichts mehr im Weg. Am Mittwochabend ist da am Anfang ein rothaariger Zauselbartträger namens Marc Broussard. Der erzählt, dass er aus Louisiana kommt, vier Kinder hat und wie alle Cajuns die Sümpfe liebt. Zur Gitarre weint er sich die Seele aus dem Leib, und man denkt, diesen Lappen mit seinem Gejammer kann man doch keine Dreiviertelstunde ertragen. Doch plötzlich gewinnen die Lieder an Kontur, Broussard erzählt von seiner Heimat, seine Augen beginnen zu leuchten, die Stimme wird immer gewaltiger. Das Rother Publikum horcht auf.

Ein Keyboarder namens Anthony gesellt sich dazu, die Refrains sind jetzt zweistimmig, ein gefühlvolles Piano unterstützt die Gitarre. Dabei erzählt Broussard ganz nebenbei, dass er schon Hits für Joe Cocker und George Benson geschrieben hat. Fazit: Der Mann aus den Sümpfen ist ein typischer – guter – Singer/Songwriter. Ein voreiliges Urteil, denn nun erscheinen drei etwas abgerissene Figuren auf der Bühne: Ein bebrillter ungelenker Texaner mit Hut hängt sich die Gitarre um, ein baumlanger Drummer platziert sich hinter ein Minischlagzeug und ein kleiner, ewig Grinsender mit strähnigen Haaren schnappt sich den Bass. Plötzlich zündet ein unglaubliches Southern-Rock-Feuerwerk. Als wäre das noch nicht genug, liefert sich Broussard am Ende seines Sets ein gigantisches Gesangsduell mit JJ Grey. Zum Glück gibt es eine halbe Stunde Pause, denn der Redebedarf ist groß.

Was man schon vermutet hat, bestätigt sich nach der Pause, die vier schrägen Typen sind Mofro: am Bass Todd Smallie, an der Gitarre Andrew Trube, am Schlagzeug Anthony Cole und Anthony Farrell an den Keyboards. Dazu gesellen sich noch Trompeter Dennis Marion und Saxofonist Art Edmaiston sowie Grey selbst, der auch weiß, wo der Gitarrenhammer hängt. Getoppt wird das Broussard’sche Feuerwerk in den folgenden zwei Stunden zwar nicht mehr, aber das ist auch kaum noch möglich.

Greys Basis ist klassischer Rhythm ’n’ Blues, von da aus geht es in Richtung Blues, Southern Rock, Swamp Funk und sogar ein wenig Jazz und Westcoast Rock blitzen auf. Ein von kantigen Riffs getriebener, geschmeidiger Mix, wie ihn nur der schwülwarme Süden der Vereinigten Staaten hervorbringt. Dazu sind die Jungs von Mofro Könner, das zeigen sie bei ihren umjubelten Soloeinlagen ebenso wie beim Zusammenspiel. Jeder einzelne nimmt sich zurück und trotzdem entsteht ein üppiges Ganzes. Darüber legt JJ Grey seine großartige Stimme: voluminös, rau, deutlich, aber auch einfühlsam und ruhig, wenn es sein muss, immer von ganz tief drinnen kommend. Ungefähr so, als würde Bruce Springsteen nicht aus dem vergleichsweise kalten New Jersey, sondern aus dem warmen Süden kommen und ein wenig mehr Timbre haben.

Wie es sich für einen Südstaatler gehört, ist Grey ein Geschichtenerzähler. Dabei ist immer wieder seine Heimat im Mittelpunkt, Lieblingsplätze an denen man die „Notreality“ – die Welt mit all ihren Problemen, Auseinandersetzungen und Kriegen – gegen ein eigene „Reality“ tauscht. Wo man der Sonne beim Auf- und Untergehn zusieht, und es beim Fischen völlig egal ist, ob man etwas fängt. Aber auch in der richtigen Welt steht Grey mit beiden Füßen, da geht es emotionsgeladen und lustbetont zu, da sind Menschen und ihre Schicksale – nicht zuletzt sein eigenes. In „Every Minute“ heißt es da: „I tried so hard to be the person everybody thought I was.“ Herausragend ist auch die intensive Ballade „Light A Candle“ aus dem neuen Album „Ol' Glory“.

Den Titelsong gibt es erst bei den Zugaben. Da ist auch Marc Broussard wieder dabei und die beiden stacheln sich noch einmal zu Höchstleistungen an. Es scheint, als wäre Broussard ein Teil der Band, nicht einfach ein Opener, sondern der erste einer zweiteiligen Show. Der Beifall am Ende des Abends ist groß und lang. Es mag sich klischeehaft anhören, aber es ist diese Art von handgemachter Musik, die den Unterschied ausmacht. Wenn sich Publikum und Musiker gegenseitig mit ihrer Begeisterung anstecken und aus einem Konzert ein Erlebnis machen. Wenn JJ Grey das nächste Mal nach Roth kommt, dann darf die Kulturfabrik nicht mehr gut voll sein, sie muss aus allen Nähten platzen. Er hat es verdient.