Roth
"Eine hochspannende Zeit"

Als junger Verwaltungsbeamter hilft Werner Rupp nach der Wende im sächsischen Reichenbach beim Aufbau der kommunalen Verwaltung

01.10.2015 | Stand 02.12.2020, 20:44 Uhr

Für den Landkreis Roth und als Dozent der Verwaltungsschule war Werner Rupp Anfang der 1990er in Sachsen. - Foto: Messingschlager

Roth (HK) Es war die Chance, an etwas ganz Besonderem teilzuhaben und Geschichte hautnah zu erleben – und es war eine Herausforderung für den damals 33-jährigen Beamten beim Landratsamt Roth.

„Ich habe das Angebot gerne angenommen“, sagt der Rother Klinikchef Werner Rupp heute, wenn er auf die Zeit nach der Wende zurückblickt. Mit seinem Vorgänger als Klinikchef, Karl-Heinz Schreiner, sowie Wolfgang Frieser und Karl Thein ist Rupp in den damaligen Landkreis Reichenbach im Vogtland gegangen. Aufgabe war es gewesen, dem sächsischen Landkreis zu helfen, eine Verwaltungsstruktur nach bayerischem Vorbild aufzubauen.

Seinen Ursprung hatte das Coaching für die Sachsen im Bayerischen Landkreistag. Relativ bald nach der Wende habe dieser angeregt, Patenschaften für sächsische Landkreise zu übernehmen, erinnert sich Rupp. Da die Verbindung zu Reichenbach bereits bestand, lag es nahe, dass die Rother eben dort Hilfestellung leisteten.

Was man im Osten antreffen wird, davon hatte die Rother Gruppe zunächst nur vage Vorstellungen. Jetzt schauen wir uns zunächst die Struktur des Landkreises Roth genau an – Aufgaben, Stellenpläne, Einnahmen – und übertragen dies dann auf den Reichenbach, das sei der Ansatz gewesen, so Rupp. „Aber es war leider ganz anders.“ So hat man beispielsweise eine Poststelle mit einem großen Buch angetroffen. Dort wurde jeder Brief vermerkt: Eingegangen von Frau Müller, weitergereicht von Soundso ans Sozialamt. Dort folgte die gleiche Prozedur. Brief von Frau Müller von Poststelle eingegangen, weitergereicht an Sachbearbeiter und so weiter und auch wieder zurück. „,Das ist doch alles Selbstbeschäftigung’ haben wir gesagt“, so Rupp. Und ob es nicht wichtiger wäre, dass der Brief beantwortet werde? Schon, aber entscheidend sei der Nachweis, immer genau zu wissen, wo der Brief sei. Falls Nachfragen kämen. „Der eine hat den anderen kontrolliert“, sagt Rupp.

Derart massive Arbeitsbeschaffung gepaart mit dem Recht auf Arbeit führte in den Verwaltungen unweigerlich zu einem aufgeblähten Personalapparat – auch noch ein, zwei Jahre nach der Wende. „Unser Blick auf das Organigramm des Landratsamts war dagegen relativ nüchtern“, erzählt Rupp. Als man dann dem Landrat vorrechnete, dass so und so viele gehen müssten, „herrschte erst einmal totales Befremden“. Ansonsten sei dieser aber dankbar für die Hilfe gewesen. Stand er doch vor einem Dilemma: Zum einen war er völlig unerfahren in der kommunalen Verwaltung, andererseits wollte er nur bedingt auf die alte Garde setzen. „Für die es auch das böse Wort Seilschaft gab.“

Aber der Freistaat Bayern leistete dem Freistaat Sachsen nicht nur strukturelle Hilfe, er half auch bei der Schulung der Leute. Denn für die Verwaltungsrichtlinien und Gesetze standen die bayerischen Fachleute Pate. Da Rupp nicht nur Sachgebietsleiter für EDV und Organisation beim Landratsamt war, sondern auch Dozent für sein Steckenpferd Finanzen an der bayerischen Verwaltungsschule, lehrte er zudem an der Verwaltungsschule Freiberg.

In dem großen Verwaltungsgebäude hat Rupp damals auch übernachtet. Gegen 4 Uhr morgens weckte ihn gleich am ersten Tag ein undefinierbares Geräusch, auf das er sich zunächst keinen Reim machen konnte. Beim Unterricht fiel ihm dann auf, dass – obwohl Mai – die Räume extrem aufgeheizt wurden. Da Regulieren nicht möglich war, fragte er, ob man die Heizung nicht abschalten könne. Nein, das sei nicht möglich, erfuhr er, denn im Norden des Gebäudetrakts gebe es einen Kindergarten, der geheizt werden müsse. Um das zu gewährleisten, würden eben alle anderen Gebäude und Zimmer mitgeheizt. Geschürt wurde natürlich Kohle, was vielen Orten die charakteristische tiefschwarze Fassade verlieh. Und das Geräusch? Das war der Heizer, der morgens um Vier die Kohlen nachschippte.

Dass damals den Sachsen praktisch das bayerische Recht übergestülpt wurde, sei nicht infrage gestellt worden, so Rupp. „Das wurde klaglos akzeptiert und auch schnell angenommen.“ Obwohl man denen, die in (Noch-DDR-)Ausbildung waren, gesagt habe, was ihr gelernt habt – von Russisch über Sozialismus bis Staatskunde –, „könnt ihr vergessen. Wenn ihr aber einen einjährigen Lehrgang macht, dann übernehmen wir euch“. Und die, die bereits da waren, die habe man zur Fortbildung geschickt. Schon nach wenigen Jahren funktionierte die kommunale Selbstverwaltung im Osten und der Austausch wurde eingestellt. „Man muss sagen, dass damals auch der Westen sehr schnell und flexibel reagiert hat“, sagt Rupp.

Für ihn sei es jedenfalls eine hochspannende Zeit gewesen, sagt Rupp. Am wichtigsten seien dabei die Begegnungen mit den Menschen gewesen. „Die haben sich auch rührend um uns gekümmert.“ Man habe viel zusammengesessen und über das Leben hüben wie drüben berichtet. „Wir haben nicht nur etwas weitergegeben, sondern auch Neues erfahren.“ So habe eine kleine Stadt wie Freiberg ein eigenes Schauspielhaus samt Ensemble gehabt und der Landkreis Reichenbach ein eigenes Orchester. „Das war für uns total neu.“