Roth
Die Lerche war’s – ganz bestimmt

Alles Theater zeigt Ephraim Kishons Was-wäre-wenn-Version von "Romeo und Julia" in der Kulturfabrik

27.11.2014 | Stand 02.12.2020, 21:56 Uhr

Romeo und Julia sind nicht gestorben und seit 30 Jahren verheiratet. Statt Liebe gibt es nur noch Zank. - Foto: Klier

Roth (HK) War es nun die Lerche oder war’s die Nachtigall? Das ist die Frage, seitdem William Shakespeare im Jahre 1597 seine Tragödie „Romeo und Julia“ veröffentlicht hat.

Die Schauspielgruppe Alles Theater wusste in der Rother Kulturfabrik darauf die Antwort: „Es war die Lerche.“ Bei Shakespeare sind Romeo und Julia unsterblich ineinander verliebt. Ihre Familien sind verfeindet und so lassen sich die beiden Liebenden von Pater Lorenzo heimlich trauen. Als Romeo im Streit ein Mitglied aus Julias Verwandtschaft tötet, muss er aus Verona fliehen. Es ist die letzte gemeinsame Nacht. Beim Aufwachen hören sie einen Vogel und Julia sagt: „Willst du schon gehen? Der Tag ist ja noch fern. Es war die Nachtigall und nicht die Lerche.“ Doch Romeo antwortet: „Die Lerche war’s, die Tagverkünderin. Nur Eile rettet mich, Verzug ist Tod.“ Julia soll jetzt auf die Schnelle mit einem anderen verheiratet werden. Pater Lorenzo weiß jedoch Abhilfe. Ein Schlaftrunk versetzt Julia in einen todähnlichen Schlaf. Ein Freund findet Julia in der Gruft und informiert Romeo. Dieser eilt herbei, nimmt Gift und stirbt an ihrer Seite. Im gleichen Augenblick erwacht Julia, ergreift einen Dolch und tötet sich aus Verzweiflung ebenfalls. Soweit Shakespeare.

Der aus Israel stammende Schriftsteller Ephraim Kishon hat sich darüber Gedanken gemacht, was denn aus dem berühmtesten Liebespaar der Welt geworden wäre, wenn sie nicht gestorben wären. Sein „heiteres Trauerspiel“ wurde 1973 in Tel Aviv uraufgeführt.

In der Kulturfabrik wachen Romeo und Julia zu den Klängen von Edvard Griegs „Morgenstimmung“ im Bett auf. Seit fast 30 Jahren sind die beiden nunmehr verheiratet. Der Hahn kräht, Romeo fällt aus dem Bett und sucht seine Socken. Die aufmüpfige 14-jährige Tochter Lucretia, eine Herumtreiberin, ist erst gegen Morgen nach Hause gekommen. Die Stimmung ist gereizt.

Szenenwechsel. Der altersdebile Pater Lorenzo soll Julia die Beichte abnehmen. „Ich liebe meinen Mann nicht mehr“, gesteht ihm Julia, „er ist impotent und schläft mit Lisa. Lisa ist seine Wärmflasche!“ „Ist das alles“, wundert sich Lorenzo. „Du hast ein Sexproblem!“, konstatiert er. „Geh‘ ins Kloster, da gibt es junge Mönche!“

„Du Vollidiot! Du Schlampe!“, ein handfester Krach ist zwischen Romeo und Julia entbrannt. Da tritt ein Gast auf: „Ich bitt‘ euch, endet diesen Streit!“ Es ist der durch das Gezeter in seinem Grab aufgeschreckte William Shakespeare. Die beiden geben ihm die Schuld an ihren Problemen: „Immer müssen sich die Personen in Ihren Stücken verlieben und dann sterben. Sie sind ein Massenmörder!“ Da ist Lucretia ganz anderer Meinung. Sie findet William sehr sexy, obwohl er feststellt: „Ich hatte die Tochter im Stück gar nicht vorgesehen.“ „Retten Sie mich, William!“, fleht die Tochter. Romeo wirft William hinaus.

Obwohl diese heitere Tragödie für sechs Rollen angelegt ist, kommt „Alles Theater“ mit drei Darstellern aus. Denn diese verkörpern perfekt mehrere Charaktere. Jürgen Schütte spielt sowohl den bisweilen polternden Romeo als auch den debilen Pater Lorenzo. Elke Pusl verkörpert überzeugend die launische Julia, ihre heftig pubertierende und kesse Tochter Lucretia und die alte, bucklige Amme. Den auferstandenen William Shakespeare spielt Klaus Lumpp, der zugleich die Regie führt.

„Ich werde mit Willi ausgehen und mit ihm schlafen!“, ruft die missratene Tochter ihren Eltern zu. „Du Nutte, du Miststück!“, ist Romeos Antwort. Doch da erinnern sich Romeo und Julia an ihre eigene Jugendzeit – gegenseitige Versöhnung ist angesagt.

Wieder wachen die beiden im Bett auf, wieder kräht der Hahn und wieder gibt es Streit. Romeo will seine Freiheiten, Julia sich scheiden lassen. Sie redet Pater Lorenzo gegenüber von Gift. Da taucht Shakespeare wieder auf: „Es ist der Dichter, der die Stücke schreibt und dem das Ende überlassen bleibt.“ Man hätte William nicht ins Haus lassen sollen, er mache aus allem eine Tragödie, sind sich Romeo und Julia einig. Julia hat ein Giftgetränk zubereitet, Romeo gießt seinerseits Gift in Julias Wein. Sie prosten sich zu und warten gespannt auf die Reaktionen. Das Schicksal scheint seinen Lauf zu nehmen. „Es dämmert diesen beiden kein neuer Morgen mehr“, stellt Shakespeare beim Verlassen der Bühne lakonisch fest. Beide brechen zusammen und bleiben wie tot liegen. „Ist er fort“, flüstert da Romeo. Es war kein Gift, weil die Regie gespart hatte. Aber um William zufrieden zu stellen, haben sie sich tot gestellt. Der Streit geht weiter . . .