Roth
Die Welt fiel nicht aus den Angeln

Konstantin Wecker nimmt die Kulturfabrik auf einen fast dreistündigen Streifzug durch sein Leben mit

24.05.2017 | Stand 02.12.2020, 18:04 Uhr

Dichter, Sänger und Mahner: Ein großartiger Konstantin Wecker präsentierte sich zum Jubiläum der Kulturfabrik. - Foto: Bader

Roth (HK) Einen bezaubernden Abend hat Konstantin Wecker der Kulturfabrik zu ihrem Jubiläum und den Besuchern am Dienstagabend beschert. Fast drei Stunden voller Poesie, Musik, Erinnerungen und der Wecker'schen Mahnung, den Widerstand gegen rechtes Gesindel niemals aufzugeben.

Wer den Weg Konstantin Weckers seit vielen Jahren und Jahrzehnten begleitet - und das sind vermutlich alle, die am Dienstagabend in der proppenvollen Kulturfabrik sitzen - weiß um die Bedeutung des "Willy". Das Lied um den tragischen Tod des aufrechten 68ers hatte Wecker einst auf einen Schlag berühmt gemacht - und wurde schnell zum Fluch. Alle wollten den "Willy" und kaum einer den Wecker. "Wann kommt denn der ,Willy'", wurde gequengelt.

Das führte dazu, dass er das Lied lange Zeit gar nicht mehr spielte. Umso überraschender, dass er in der Kulturfabrik damit das Konzert eröffnet. Und wie. Vor Kraft strotzend bearbeitet er seinen Flügel, die Worte fliegen wie damals, lassen die Geschichte vor dem innereren Auge abspielen - bis zum unvermeidlichen "Hoits Mei, Faschist". Dann noch eine Überraschung. Die Geschichte sei wahr, sagt Wecker, bis auf eine Kleinigkeit: "Der Willy lebt, Gott sei Dank." Er habe die Messerstecherei überlebt "und verkauft heute draußen die CDs". Und er sei bis heute sein bester Freund.

Es ist ein sehr persönliches, kleines, intimes und doch irgendwie ganz großes Konzert. Wecker ist ohne Band da, im Prinzip solo, wenn man davon absieht, dass Jo Barnickel bei ungefähr der Hälfte der Lieder die Klavierbegleitung übernimmt. Es wird an diesem Abend weit ausgeholt, es geht zurück bis in die Pubertät Weckers. Er erzählt von seinem Freiheitsdrang, von der Rebellion - niemals gegen die Eltern, die waren ja keine Faschisten und hatten viel Verständnis für den Querkopf -, von den Nazilehrern am Gymnasium, von der Großmannssucht, vom Macho Wecker, dessen Lieder immer gescheiter als er selbst waren, die "nie im Gleichklang mit mir waren": mit dem Firebird und dem langen Nerzmantel zum Klassenkampf.

Wecker versteht es wunderbar, eine Vertrautheit zum Publikum herzustellen. Wenn er das Klavier verlässt, sich an ein kleines Dichtertischchen setzt und nur noch erzählt oder aus seinen Büchern kurze Episoden vorliest, dann wirkt das sehr persönlich und intim - trotz der Öffentlichkeit. Aber es sind auch Dinge, die tief blicken lassen, wie die Episoden aus seinem Buch "Uferlos", in denen er schildert, wie er als 18-Jähriger erstmals im Knast gelandet ist. Als er mit einem Kumpel dessen Vater bestahl und wie das Schließen der Gefängnistür ihn nicht zum letzten Mal in die Realität zurückholte. Verschmitzt nennt er Stadelheim sein "Heimatgefängnis".

Was der Knast allerdings nicht ändern konnte, war sein "eigenartiges Rollenverständnis" - das lange im Widerstreit zu seiner Kunst blieb. Hier der Poet, der Dichter, der Widerstandskämpfer, der Mahner, der Aufrechte und dort der Macho mit Zuhälterfantasien, der gern auf zu großem Fuß lebt: "Ich liebe das Geld nicht und das Geld liebt mich nicht." Sehr plastisch bringt Wecker diesen Gegensatz rüber, wenn er von seiner wilden Zeit erzählt und dazu die Lieder spielt, die ganz andere Saiten des Lebens zum Klingen bringen.

Aber es gibt an diesem Abend auch den gereiften Wecker, der mit dem jungen ins Gericht geht: "Meistens hast du doch am Tresen das Geschick der Welt gelenkt. Und die fiel nicht aus den Angeln, höchstens du fielst manchmal um", heißt es fast ein bisschen zu hart in "Was passiert in den Jahren". Und es gibt den Vater Wecker, der weiß, dass die Kinder, wenn sie auf die Welt blicken, die Wunder noch erkennen. Und der diese auch wieder erkennen will. Dazu den Wecker, der von Gefühlen, Meer Italien und Hemmungslosigkeit singt und dann fragt: "Warum soll der gereifte Mensch keine Liebeslieder mehr schreiben" Natürlich, sind sie doch keinen Deut schlechter.

Eine Nabelschau in knapp drei Stunden, von der auch nicht eine Sekunde langweilig ist. Das liegt auch daran, dass Wecker als Musiker immer noch gewaltigen Druck hat und dass seine Stimme eigentlich keinen Tag älter klingt. Und er wird nicht müde sich einzumischen, vor allem dann, wenn die braune Suppe wieder überzuschwappen droht. Der Wecker hat noch immer was zu sagen. "Den Parolen keine Chance, lasst sie nicht ans Tageslicht, lasst sie in den Grüften modern, öffnet ihre Gräber nicht!", heißt es auf seinem neuesten Album. Genau deshalb sind der "Willy" und all die Lieder, die zum Wachsein aufrufen, wichtig wie eh und je. Ist der Wecker wichtig.

Das weiß auch das Publikum in der Kulturfabrik an diesem Dienstagabend und schenkt ihm nicht nur am Ende des Abends tosenden Applaus.