Nürnberg
Des einen Schatzkästlein ist des anderen Ramschplatz

Nürnberg streitet über "Eventisierung" seines Hauptmarkts – Auch Traditionsveranstaltungen auf dem Prüfstand

28.08.2015 | Stand 02.12.2020, 20:52 Uhr

Nürnberg (npe) Droht auf dem Hauptmarkt in Nürnberg eine „Eventisierung“? Darüber diskutieren Bürger und Stadt derzeit leidenschaftlich. Die Frage spaltet zunehmend auch die große Koalition im Rathaus.

Party auf dem Hauptmarkt: Zum Auftakt der Sommerferien haben Beachvolleyballer die gute Stube der Stadt erobert. Wo sonst Gurken und Radieschen angeboten werden, turnen jetzt Sportler in knappen Höschen über den Hauptmarkt. Den Bürgern in der Altstadt ist die zunehmende Eventisierung auf dem Hauptmarkt ein Dorn im Auge. In einem offenen Brief warnten Bürgervereine gemeinsam mit Vertretern der umliegenden Altstadtkirchen vor einer „schleichenden Demontage eines Kulturgutes“. Wenn die Zahl der Events auf dem Hauptmarkt weiter ansteige, verkomme der Platz zum „event place“.

Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Die Nürnberger Zeitungen baten die Leser um ihre Meinung. In der Stadt entwickelte sich eine hitzige Debatte, ob auf dem Hauptmarkt zu viel Remmidemmi gemacht werde. Die kritischen Stimmen haben die Debatte zu Beginn dominiert. In dem offenen Brief werden freilich nicht die Traditionsveranstaltungen wie das Bardentreffen oder der Christkindlesmarkt kritisiert. Dafür bekommen moderne Events wie eben das Beachvolleyballturnier oder der Weitsprungwettbewerb, der kürzlich am Rande der Leichtathletikmeisterschaften stattfand, ihr Fett weg. Der Hauptmarkt werde durch diese Veranstaltungen zur „pittoresken Kulisse“ degradiert. Die Kritiker forderten Oberbürgermeister Ulrich Maly (SPD) auf, den Hauptmarkt zur „Chefsache“ zu machen.

Die Antwort des OBs ließ nicht lange auf sich warten. Maly kündigte an, dass es weniger Events auf dem Hauptmarkt geben solle. Damit ging er einen beachtlichen Schritt auf die Kritiker der Eventisierung zu. Allerdings wollte er wohl den Eindruck vermeiden, dass er sich den Kritikern zu sehr beugt. Maly verwies darauf, dass die Stadtspitze schon im November letzten Jahres in einer Referentenrunde beschlossen habe, dass das Beachvolleyballturnier 2016 nicht mehr auf dem Hauptmarkt stattfinden dürfe, weil hier ein „Missverhältnis“ zwischen Werbung und Sport festzustellen sei.

Genau diese Begründung des Oberbürgermeisters hat die Debatte dann erst richtig angefeuert. Philipp Langenbach hat daraufhin eine Online-Petition gestartet. Darin fragt der Werbefachmann aus Nürnberg: „Warum also sollten wir das jüngere, sportliche Leben aus unserer Altstadt verbannen“ Gerade Events wie der District Ride (Moutainbiker stürzen sich mit spektakulären Sprüngen den Burgberg hinunter) oder das Beachvolleyballturnier würden Altes und Neues auf eine „überaus spannende Weise“ verbinden, heißt es in der Petition. Über 1300 Bürger haben diese Petition mittlerweile unterzeichnet.

Plötzlich schlägt sich mit der CSU auch der Koalitionspartner der SPD im Rathaus vehement auf die Seite der Befürworter der zahlreichen Events. „Warum soll jugendliches Flair vom Hauptmarkt verbannt werden“, wunderte sich beispielsweise Bürgermeister Klemens Gsell (CSU) kürzlich medienwirksam in einer Nürnberger Zeitung. Als „unangebracht“ empfindet Gsell die Kritik an Veranstaltungen für jüngere Besucher auf dem Hauptmarkt und wendet sich damit indirekt gegen Oberbürgermeister Maly. Der weilt derzeit noch im Urlaub. Von dort wird Maly die Diskussion – die er eigentlich für beendet erklärt hatte – sicherlich mit wachsendem Interesse verfolgen.

Eine große Rolle in der Debatte spielt der Wochenmarkt. Tatsache ist freilich, dass der grüne Markt heuer schon bereits an 149 Tagen von dem Hauptmarkt in die Fußgängerzone verbannt wurde. Das vertreibt den Marktleuten schon seit Jahren die Stammkundschaft. Schuld daran sind laut Wirtschaftsreferent Michael Fraas (CSU) aber nicht die neuen Events sondern die Vielzahl an „Klassikern“ auf dem Hauptmarkt wie dem Oster- und Herbstmarkt. Gsell hielt den „Traditionalisten“ ebenfalls den Spiegel vor und sagte, viele Klassiker auf dem Hauptmarkt seien „stark überarbeitungsbedürftig“. Diese Einschätzung dürften nicht wenige Nürnberger teilen. Oft sei der Hauptmarkt kein Schatzkästlein, sondern eher ein Ramschplatz für allerlei Nippes und billigen Plunder. Nach moderner Metropole schaue der Hauptmarkt jedenfalls nicht aus, wenn der Ostermarkt dort stattfindet. Dann erinnere die Szenerie rund um den Schönen Brunnen an ein Provinznest aus dem Biedermeier.

Dass die Debatte um die Eventisierung erst am Anfang steht, belegt ein weiteres Zitat des starken CSU-Mannes im Rathaus. Gsell will nicht, dass Nürnberg erneut zur „langweiligsten Großstadt“ gekürt wird. Diese verbale Attacke wird sich Maly kaum gefallen lassen können. Denn wer will schon Chef in der Hauptstadt der Langeweile sein?