Kammerstein
Vorzeigeprojekt für demente Senioren

Kammerstein plant als erste Gemeinde im Landkreis Roth eine Demenz-WG

05.01.2016 | Stand 02.12.2020, 20:21 Uhr

Kammerstein (HK) Die kleinste Gemeinde im Landkreis Roth macht sich auf, eine der drängendsten sozialen Herausforderungen unserer Zeit anzugehen. Die Genossenschaft Vergissmeinnicht will in Kammerstein ein eigenes Haus für eine Wohngemeinschaft demenzkranker Senioren bauen.

Nach Darstellung der Verantwortlichen soll es sich um eine Art Pilotprojekt handeln, das als Beispiel für den gesamten Landkreis dienen könnte. Nun werden weitere Geldgeber gesucht. Bislang hat die Genossenschaft 65 Mitglieder.

Ziel von Vergissmeinnicht ist es, bis Mitte kommenden Jahres eine wohnortnahe Pflege zu schaffen, die es betagten Kammersteinern ermöglicht, trotz ihrer Krankheit einen würdigen Lebensabend zu verbringen. Nicht weit weg in einem herkömmlichen Pflegeheim, sondern nahe bei den Familien: räumlich und sozial integriert in das gewohnte dörfliche Umfeld.

„Das brauchen wir in jeder Gemeinde“, sind Vorstand Andreas Zottmann aus Spalt und Aufsichtsratsmitglied Monika Volkert aus Kammerstein überzeugt. Sechs Bürgerinnen und Bürger, die ehrenamtlich in den Vergissmeinnicht-Gremien arbeiten, stammen aus Kammerstein.

Die Demenz-WG soll aus zwei Teilen bestehen. Im Erdgeschoss des modernen Rundbaus werden zwölf Plätze für die eigentliche Zielgruppe des Projekts vorhanden sein. Die räumliche Aufteilung und das pflegerische Konzept sind mit Behörden und Fachverbänden abgestimmt. Im Obergeschoss ist Platz für eine weitere Wohngemeinschaft mit sechs Plätzen. Dort könnten die Partner der Demenzbetroffenen leben und sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten in die Betreuung der Pflege-WG eingliedern. „Die Idee dieses Zusammenwirkens mündet darin, Paaren ein räumliches Miteinander zu gewährleisten, ohne einer in häuslicher Pflege üblichen 24-Stunden-Belastung ausgesetzt zu sein“, erklärt Monika Volkert. Falls dort nicht alle Plätze mit Angehörigen belegt sind, steht sie Menschen offen, die nach einer alternativen Wohnform im Alter suchen. Ein Dachgarten verleiht der Senioren-WG eine besondere Wohnqualität.

Einen wesentlichen Baustein bildet die Architektur des Hauses. Sie ist nicht nur ausgerichtet auf beste Lebensbedingungen für die Demenz-Senioren. Ihre Einzelzimmer sind um einen großen Gemeinschaftsraum herum angeordnet. „Tote Winkel und Flure gibt es nicht, das bringt Sicherheit für die Bewohner“, erklärt Volkert. Sie soll auch optimale Arbeitsbedingungen für die Pflegenden schaffen. „Mit wenig Personal hat man hier eine große Übersicht.“ Alle Abläufe seien optimal zu gestalten. Krankheiten, Stress und Fluktuation bei den Beschäftigen sollen so auf ein Minimum reduziert werden.

Die Verantwortung für die ambulante Pflege im Vergissmeinnicht-Haus wird der Kreisverband Roth-Schwabach der Arbeiterwohlfahrt übernehmen. Der Wohlfahrtsverband habe dafür die überzeugendste Konzeption vorgelegt.

Mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden Hans-Jürgen Grosser hat die Genossenschaft einen echten Experten in ihren Reihen. Der ehemalige Raiffeisenbank-Direktor hat Zeit seines Lebens zehn Genossenschaften mitbegründet und am Leben erhalten. Diese Art der Organisationsform ist für ein Projekt wie die Kammersteiner Demenz-WG nahezu ideal. Zum einen tragen Angehörige und Betroffene mit eigenem Geld zur Verwirklichung bei und sind über die Gremien in die Umsetzung eingebunden. Als Mitglieder der Genossenschaft üben sie außerdem Kontrolle aus.

Zum anderen können sie selbst Verantwortung innerhalb der Organisation und der Pflegeeinrichtung übernehmen. Nicht zuletzt hat die Genossenschaft keine eigenen finanziellen Interessen. Lediglich die einzelnen Genossen profitieren von Überschüssen. Jedes Vergissmeinnicht-Mitglied muss mindestens einen Anteil von 1000 Euro zeichnen. Diese Kalkulation führt zu einem vertretbaren finanziellen Eigenanteil für Wohnen, Lebensunterhalt, Freizeit und Pflege. Er wird unabhängig von der Pflegestufe bei etwa 1500 Euro liegen.

Nach Berechnungen des Genossenschaftsvorstandes wird der Bau des Hauses durch einen Generalunternehmer mit 1,3 Millionen Euro zu Buche schlagen. Entgegen früheren Planungen wird Vergissmeinnicht nun als Bauherr und Vermieter auftreten. Beim Grundstück hat die örtliche Politik geholfen. „Der gesamte Gemeinderat steht hinter dem Projekt“, sagt Gemeinderatsmitglied und Seniorenbeauftragter Karl-Heinz Roser als stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Genossenschaft.

Die Fläche liegt zentral und wunderschön am Hang südlich der ehemaligen Gaststätte „Zum Krug“ zwischen Altort und Neubaugebiet. „Ideal für unsere Zwecke“, findet Roser. Nach einem Grundstückstausch gehört es seit kurzem der Gemeinde Kammerstein, die es der Genossenschaft zu einem überschaubaren Zins für 50 Jahre in Erbpacht überlassen hat. Zur Realisierung des Baus geht Hans-Jürgen Grosser von 40 Prozent Eigenkapital aus. „Zum vorhandenen Kapital brauchen wir noch gut 300 000 Euro, um anfangen zu können“, sagt der Finanzfachmann. Bankdarlehen und öffentliche Fördermittel komplettieren die Finanzierung.

Angesichts der vergleichbaren Problemlage in jeder Landkreisgemeinde und darüber hinaus kommen als Mitglieder der Genossenschaft nicht nur Kammersteiner infrage. „Ähnliche Projekte zeigen, dass die Nachfrage im Umkreis von 50 Kilometern vorhanden ist“, sagt Andreas Zottmann. Erfahrungen, die man nun in Kammerstein mache, könne man für weitere Projekte nützen, oder Fehler vermeiden, zeigt sich Zottmann überzeugt. Weitere Informationen gibt es im Internet unter www.genossenschaft-demenz-wg.de.