Hilpoltstein
Lotteriespiel um Ganztagsklasse

Pädagogisches Konzept scheitert an nackten Zahlen – Sparzwang vor Bildung

24.04.2015 | Stand 02.12.2020, 21:23 Uhr

Baustelle Bildung: Die Stadt hat für viel Geld in Rekordzeit ein Kinderhaus gebaut, um mit dem Umzug des Horts einen durchgehenden Ganztagszug in der Grundschule möglich zu machen. Nun stand plötzlich der Ganztagszug vor dem Aus, weil das Kultusministerium keine zusätzlichen Klassen erlaubt. „Der Passus muss weg“, fordert Bürgermeister Markus Mahl (rechts). Arch - foto: Kofer

Hilpoltstein (HK) Nur einem Telefonmarathon ist es zu verdanken, dass es auch im nächsten Schuljahr für Hilpoltsteiner Erstklässler wieder einen Ganztagszug gibt. Kultusministerium und Schulamt hätten das Projekt gekippt, obwohl es genügend Anmeldungen gibt. Stadt und Schulleitung sind verärgert.

In Sonntagsreden sind alle Politiker für kleinere Klassen, mehr Ganztagsbetreuung und tolle pädagogische Konzepte. Der Alltag sieht oft anders aus. Dann scheitern schöne Konzepte am Sparzwang und an schnöden Schülerzahlen. In der Bekanntmachung das Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus heißt es unter Punkt 2.1.2.6. lapidar: „. . . darf die Errichtung von Ganztagsklassen zu keiner höheren Zahl an Klassen in der betreffenden Jahrgangsstufe führen . . .“ Für die Grundschule Hilpoltstein hätte dieser Passus beinahe das Ende der gebundenen Ganztagsklasse für die kommenden Erstklässler bedeutet. Denn bei 80 Anmeldungen für das Schuljahr 2015/16 darf die Schule drei Eingangsklassen mit 26 bis 27 Kindern pro Klasse bilden. Erst bei mehr als 28 Kindern in einer Klasse darf geteilt werden. Da aber nur 19 Kinder für den gebundenen Ganztagszweig angemeldet waren, hätte die Schule aus den 62 Kindern, die für den Regelschulbetrieb gemeldet waren, drei kleinere Klassen mit je 20 bis 21 Schülern bilden müssen. Und das erlaubt das Kultusministerium nicht, weil es dann vier statt der vorgeschriebenen drei Eingangsklassen gegeben hätte. Auch das Schulamt will da keine Ausnahme machen.

Für Bürgermeister Markus Mahl (SPD) totaler Unsinn: „Wenn ich gebundene Ganztagsklassen will, muss ich auch verlässliche Rahmenbedingungen für die Schule und vor allem für die Eltern schaffen.“ Er fordert: „Dieser Passus muss raus.“

Das drohende Aus einer Ganztagsklasse hat Schulleiter Peter Benz und seine Stellvertreterin Ute Stengel-Freund in Alarm versetzt. „Wir haben in den Osterferien einen Telefonmarathon hingelegt“, sagt Benz, ein überzeugter Verfechter des gebundenen Ganztagsbetriebs. Rund 60 Familien wurden gefragt, ob sie ihr Kind nicht doch in der Ganztagsklasse anmelden wollen. „Zum Glück haben wir sechs Familien überzeugt“, sagt Benz. Damit geht das Rechenexempel auf: 25 Kinder – das ist die Höchstgrenze – besuchen die Ganztagsklasse, die beiden Regelklassen bleiben mit 27 und 28 Kindern knapp unter der Teilungsgrenze. Das erlaubt das Kultusministerium.

„Wir sind froh, dass es geklappt hat, aber glücklich ist etwas anderes“, sagt Benz. „Wir sind oft Opfer der Zahlen.“ Lieber wären ihm vier kleinere Klassen gewesen. Die Pädagogik sitze in der Praxis leider am kürzeren Hebel. Wenn sich eine Schule schon auf den Weg mache und einen Ganztagszug anbietet, findet Benz, dann muss es auch mal möglich sein, eine Klasse mehr zu bilden, wenn man die Mindestanzahl von Kindern erreicht hat. Für den gebundenen Ganztagszweig sind das 13 Schüler.

Stattdessen, wie vom Kultusministerium vorgesehen, einen offenen Ganztagszug für alle Erstklässer anzubieten, lehnt Benz ab. „Das wäre massive Konkurrenz für das neue Kinderhaus. Wir wollen ergänzend arbeiten, nicht gegeneinander.“ Auch aus pädagogischer Sicht sei der gebundene Ganztag sinnvoller. Denn es gibt einen rhythmisierten Tagesablauf, zwölf zusätzliche Lehrerstunden pro Woche und nicht nur ein Freizeit- und Betreuungsangebot am Nachmittag.

Das sieht auch Bürgermeister Mahl so. Die Stadt habe rund eine Million Euro in das Kinderhaus investiert, um die Voraussetzungen für den Ganztagsbetrieb zu schaffen. Denn dafür braucht die Schule auch genügend Räume, die aber bis Oktober 2014 vom Hort belegt waren, der jetzt im Kinderhaus untergebracht ist. 90 Kinder aus Grund- und Mittelschule werden derzeit dort betreut, für 130 ist es ausgelegt.

Für den Hort im Kinderhaus müssen Eltern je nach Buchungszeiten einen Beitrag bezahlen. Eine offene Ganztagsklasse wäre für Eltern kostenlos. Ein Schildbürgerstreich. Zumal es für das Kinderhaus rund 1,4 Millionen Euro an staatlichen Zuschüssen gab. „Dem Kultusministerium muss klar sein, dass ich damit Strukturen kaputtmache“, kritisiert Mahl. Für das kommende Schuljahr wurde die Katastrophe noch einmal abgewendet, „aber 2016/17 kann es wieder zum Problem werden“, sagt Mahl. Dann beginnt die Zahlenlotterie erneut.