Hilpoltstein
Es bleiben die Erinnerung und ein Häufchen Asche

Im Nürnberger Krematorium werden auch Verstorbene aus Hilpoltstein eingeäschert

31.01.2012 | Stand 03.12.2020, 1:53 Uhr

 

Hilpoltstein/Nürnberg (HK) Vorsichtig dreht Günther Gebhardt einen nur wenige Zentimeter großen Schamottestein in den Händen. Nur die Zahl 304 446 ist darauf zu lesen. „Seit 1913 also der 304 446. Tote, den wir den Flammen übergeben“, sagt Gebhardt und stellt den Stein sachte auf den vor ihm stehenden Sarg.

In wenigen Minuten wird sich das stählerne Tor in der Backsteinwand öffnen, wird der Sarg in den rund 800 Grad heißen Ofen einfahren und augenblicklich in Flammen aufgehen. Was den Angehörigen von einem geliebten Menschen danach bleibt, sind nur die Erinnerungen und eine Urne mit einem kleinen Häufchen Asche.

Gebhardt, der Leiter der Nürnberger Friedhofsverwaltung, kennt die Angst der Angehörigen, dass in der Urne vielleicht gar nicht die Asche „ihres“ Toten ist und räumt augenblicklich damit auf: Immer nur ein Mensch wird in dem Ofen verbrannt, nur seine Asche wird sich in der Urne wiederfinden“, betont er. „Die Asche und der Schamottestein – nur er übersteht die rund 1200 Grad, die bei der Verbrennung entstehen.“

Ein Mitarbeiter des Krematoriums zeigt den Ofen, zeigt den Ablauf der Verbrennung, erklärt, wie die Asche schließlich in die Urne kommt und versiegelt wird. Fast liebevoll nimmt er eines der silbrig glänzenden Gefäße in die Hand, dreht es vorsichtig: „Zwei bis drei Kilogramm, der Mensch, der Sarg, sonst nichts.“

Nach seinem Namen gefragt, kommt von ihm nur ein „Bitte nicht!“ Und er erklärt auch, warum: „Ab dem Zeitpunkt, in dem du im Krematorium arbeitest, reduziert sich die Zahl deiner Bekannten schlagartig. Nur ein Fünftel aller meiner Freunde wissen, wo ich arbeite“, sagt er nachdenklich. „Die Leute haben Angst vor dem Tod, haben Angst, sich damit zu beschäftigen, würden immer daran denken, wenn sie mich sehen.“ Auf die Frage, ob er sich schon mit seinem eigenen Tod beschäftigt hat, denkt er erst einige Sekunden nach. „Ja, früher. Bis ich mich entschlossen habe, erst einmal zu leben.“

Die Angst vor dem Tod ist laut Gebhardt auch bei den Angehörigen spürbar. „Kaum noch jemand lässt daheim den Angehörigen aufbahren – die meisten möchten, dass der Tote so schnell wie möglich abgeholt wird.“ Und auch die Aufbahrung im Leichenhaus wird immer seltener. Nur noch ein paar Prozent der Menschen nutzen diese Möglichkeit.

Gebhardt führt kurz zu einem kleinen Zimmerchen, in dem hinter Glas ein älteres Ehepaar dicht nebeneinander aufgebahrt ist. Fast ehrfürchtig bleibt er davor stehen. „Der Mann ist nur wenigen Stunden nach der Frau gestorben, weil er ihren Tod nicht ertragen hat“, sagt er. „Sie werden gemeinsam aufgebahrt, werden gemeinsam beerdigt, werden nebeneinander liegen.“

Auch wenn der Trend in die andere Richtung geht: Gebhardt findet es schön, wenn die Angehörigen vor dem aufgebahrten Toten Abschied nehmen. „Und sie bekommen von uns die Zeit, die sie brauchen.“ Er führt in einen großen Raum mit Rednerpult und zahlreichen Stühlen, zeigt wo der Sarg umgeben von Blumenschmuck aufgestellt werden kann. „Doch hier muss es nicht so förmlich zugehen, wie es aussieht“, sagt er. „Auf Wunsch räumen wir den ganzen Raum leer, stellen den Sarg in die Mitte, lassen die Menschen mehrere Stunden mit dem Toten allein.“ Doch nur wenige nutzen das Angebot, meist laufen die Beerdigungen immer gleich ab. „Es spricht der Pfarrer, vielleicht noch ein Angehöriger der Familie. Wenn es hoch kommt singen sie noch ein Trauerlied – das war’s.“

Doch es sei „nicht die Einfallslosigkeit, die die meisten Menschen von so einer Feier abhält“, sagt der Mitarbeiter des Krematoriums, der mit in der Abschiedshalle steht und sich beim eingespielten Lied „Time to say goodbye“, nachdenklich auf das Rednerpult stützt. „Als mein Vater gestorben ist, war ich wie überfahren. Ich hatte nicht die Kraft, mir über eine Abschiedsfeier Gedanken zu machen“, sagt er. „Vielleicht können einem da nur die Angehörigen helfen, die dem Toten nicht ganz so nahe stehen wie ein Sohn“, sagt er. Jeder Mensch könnte sich vor seinem Tod Gedanken machen, wie seine Beerdigung aussehen soll. „Aber da ist eben wieder die Angst, sich mit dem eigenen Tod zu konfrontieren.“ Auch er schreckt davor zurück, sieht es pragmatisch: „Ich möchte dass meine Kinder entscheiden, wie die Beerdigung aussehen soll. Sie müssen mit meinen Tod zurechtkommen, müssen einen Weg finden, wie sie Abschied nehmen wollen – mich gibt es dann nicht mehr.“

Gebhardts Gesicht hellt sich auf, wenn er erzählt, wie beispielsweise hinduistische Familien Abschied nehmen. „Die setzen sich hier zu ihrem Toten, essen und trinken, singen lange gemeinsam.“ Und sie zählen auch zu den wenigen, die im Krematorium dabei sein wollen, wenn der Tote verbrannt wird. „Sie stehen neben dem Sarg, sehen zu, wenn er in den Ofen gefahren wird, wie er in Flammen aufgeht“, sagt Gebhardt. Und sie stehen daneben, wenn sich die Stahltür des Ofens schließt – „die letzte Tür für den Toten“.