Hilpoltstein
"Angriff auf Demokratie, Sozialstaat und Kommunen"

Wilhelm Neurohr warnt in seinen Vorträgen vor Freihandelsabkommen der Europäischen Union mit den USA und Kanada

29.10.2014 | Stand 02.12.2020, 22:03 Uhr

Kritiker der Freihandelsabkommen: Wilhelm Neurohr - Foto: Schmitt

Hilpoltstein/Roth/Schwabach (rsc) Mit harten Worten und der Schilderung düsterer Szenarien hat Wilhelm Neurohr vor den Freihandelsabkommen der Europäischen Union mit den USA und Kanada gewarnt und zum Widerstand aufgerufen. Der deutschen Politik warf er vor, die wahren Absichten der Verträge zu verschleiern.

Als größte Gefahr sieht Neurohr die Einrichtung eines „Regulatorischen Rats“ im Rahmen des Freihandelsabkommens TTIP zwischen EU und USA. Ein solches Gremium aus Lobbyisten und Konzernvertretern soll künftig jede gesetzgeberische Initiative in Europa darauf prüfen können, ob sie Investitionen und Gewinnaussichten bedroht oder ein Handelshemmnis darstellt.

„TTIP, TISA und CETA sind ein Generalangriff auf die Demokratie, den Sozialstaat und die Kommunen“, sagte Neurohr – Autor des Buches: „Ist Europa noch zu retten“ und Mitglied von Attac – bei seinen Vorträgen am Montagabend in Schwabach und am Dienstagabend in Roth. „Sie laufen auf eine vollständige Entmündigung von Regierung und Parlament hinaus.“

Zugleich nannte er Deutschland einen „Treiber zum Abschluss der Verträge“. Denn es sei im Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU so vereinbart worden. Die Stadt Schwabach und den Landkreis Roth lobte Neurohr außerordentlich. „Hier gibt es sehr wache Bürger“, sagte der Autor. Die Beschlüsse des Schwabacher Stadtrats, des Kreistags und zahlreicher Gemeinderäte gegen die Abkommen nannte er einen Lichtblick. Die kommunalen Gremien bezeichnete er als Vorreiter.

Der ehemalige Stadt- und Landesplaner des Landkreises Recklinghausen sieht infolge der Abkommen die kommunale Selbstverwaltung und die öffentlich-rechtliche Daseinsvorsorge als stark bedroht an. „Wir müssen sicherstellen, dass die Stadt weiter uns gehört und nicht den Investoren und Lobbyisten“, erklärte Neurohr. Er schrieb insbesondere den Freunden kaufmännischen Rechnungswesens im öffentlichen Bereich eine deutliche Kritik ins Stammbuch. „Dank der Doppik können die Unternehmen sofort erkennen, was bei den Kommunen lukrativ und was ein Zuschussgeschäft ist“, so Neurohr.

Seiner Darstellung zufolge hätten es die Konzerne nämlich auf die größten Wachstumsmärkte bei kommunalen Dienstleistungen abgesehen: „Wasser, Gesundheit und Bildung.“ Dabei gehe es europaweit um insgesamt sieben Billionen Euro. Aber auch jeder andere öffentlich finanzierte Bereich könnte von Einschränkungen und Verboten betroffen sein. Theater, Museen, Bibliotheken, Hochschulen, soziale Einrichtungen, örtliche Arbeitsmarktprogramme, öffentlicher Nahverkehr. „Selbst das Ehrenamt ist bedroht“, so Neurohr. Mindestlohn, Mietpreisbremse und sozialer Wohnungsbau sind es seiner Meinung nach ebenfalls.

Dem Argument deutscher Politiker, durch die Abkommen sei auch Einfluss aus Europa auf Strukturen in den USA möglich, hielt er die dort bereits weit fortgeschrittene Privatisierung entgegen. „Bis auf das Wasser ist dort alles in der Hand von Unternehmen“, so Neurohr. Allein in Deutschland existierten hingegen noch 14 000 öffentlich-rechtliche und kommunale Unternehmen sowie über 13 000 kommunale Gebietskörperschaften, die pro Jahr 200 Milliarden Euro investieren.