Heideck
Beifall für den Heidecker Stadtpfarrer

16 Monate nach der Verhaftung wegen Missbrauchsvorwürfen kehrt der Priester in seine Gemeinde zurück

21.12.2014 | Stand 02.12.2020, 21:50 Uhr

Bis auf den letzten Platz besetzt ist die Heidecker Stadtpfarrkirche bei der Wiedereinführung des Pfarrers, der seit August 2013 freigestellt war. Wegen des Verdachts, einen Buben sexuell missbraucht zu haben, saß der Priester fast fünf Monate lang in Untersuchungshaft.

Heideck (HK) 16 Monate ist es her, dass der Heidecker Stadtpfarrer wegen Missbrauchsvorwürfen in Untersuchungshaft gelandet ist. Am Samstagabend stand er nun als freier Mann zum ersten Mal wieder vor dem Altar.

Alle Anschuldigungen gegen den Priester haben sich als haltlos erwiesen. Die Rückkehr zur Normalität fällt aber nicht leicht.

Die Gebetsbücher sind längst vergriffen, als die letzten Besucher am Samstagabend in den Gottesdienst eilen. Die Stadtpfarrkirche ist besetzt bis auf den letzten Platz. Ein Blick in die Gesichter zeigt: Die Katholiken in Heideck sind durch die Bank angespannt.

Wie wird der Pfarrer seiner Gemeinde gegenübertreten? Nach allem, was passiert ist in den letzten 16 Monaten. Nach den schweren Vorwürfen des Kindesmissbrauchs und den Monaten in der Untersuchungshaft. Alle sind sie gekommen, um dabei zu sein, wenn der alte und neue Stadtpfarrer ein paar Tage vor Weihnachten in den Kreis der Gemeinde zurückkehren soll.

Darüber sprechen, wie sich das anfühlt, will vorher keiner. Was solle man schon sagen, wenn ein katholischer Geistlicher einen Jungen sexuell missbraucht haben soll? Die Öffentlichkeit sei allzu schnell bereit gewesen, den ungeheuerlichen Verdacht für bare Münze zu nehmen, sagt einer der Gottesdienstbesucher hinterher. Aber waren katholische Priester in aller Welt nicht genau aus diesem Grund in die Schlagzeilen geraten? Auch in Heideck hat es solche Schlagzeilen gegeben. „Pfarrer hinter Gittern“, lautete eine davon.

Dann bimmelt es im Gebälk der Heidecker Stadtpfarrkirche. Nach dem Glockenläuten nähert sich Bischof Gregor Maria Hanke dem Altar und ergreift das Wort: „Es ist meine Aufgabe als Bischof und mir ein persönliches Anliegen, alles zu tun, um den Ruf des Beschuldigten wiederherzustellen“, sagt Hanke. Der „Beschuldigte“ richtet derweil die Augen zum Boden. Ihm hatte die Staatsanwaltschaft vorgeworfen, einen minderjährigen Jungen unter 14 Jahren in seiner früheren Gemeinde im Landkreis Neumarkt zwischen 1998 und 2001 mehrfach schwer sexuell missbraucht zu haben. In den frühen Morgenstunden des 20. August 2013 wurde der Priester deshalb von der Polizei verhaftet.

Keinen Stein haben die Ermittler danach auf dem anderen gelassen, um dem Tatvorwurf eines Einzelnen nachzugehen. Alle Ministranten wurden befragt, denen der 50-Jährige in seinem Kirchenleben begegnete. Hinweise, die den Verdacht erhärtet hätten, haben die Ermittler nicht gefunden. Der Pfarrer konnte deshalb das Gefängnis verlassen. An eine rasche Rückkehr in sein altes Leben war jedoch nicht zu denken. Der Abschluss des Verfahrens zog sich in die Länge.

Zögerlich tritt nun der „Beschuldigte“ an den Altar. „Es hat lange gedauert, bis die ungeheuren Vorwürfe entkräftet werden konnten“, sagt der Heidecker Stadtpfarrer mit brüchiger Stimme ins Mikrofon. Eine „Zeit der Demütigungen und Vorverurteilungen“ sei die Zeit für ihn gewesen. „Mein Leben wird wohl nie mehr so sein wie früher“, sagt er und muss tief Luft holen. Durch die Anschuldigung und Verdächtigung sei er „natürlich“ beschädigt worden.

Neben all dem Negativen habe er aber auch eine „große Welle von Solidarität“ erfahren. „Die vielen Briefe, die ich im Gefängnis erhalten hatte, waren mir eine wichtige Stütze und haben mir in dieser bedrohlichen und trostlosen Situation geholfen“, sagt der 50-jährige Pfarrer seiner Gemeinde. Besonders berührt hätten ihn Gebetsbildchen und Zeichnungen, die ihm Kinder ins Gefängnis geschickt hätten. „Die Bildchen waren der Anfang, der Zelle ein persönliches Gesicht zu geben und waren zunächst einmal mein ganz persönliches Gebetbuch.“

Dass ihr Pfarrer noch nicht bei Kräften ist, das scheint die Gemeinde zu spüren. Mit Beifall quittieren die Menschen die offenen Worte. Der Bischof klopft dem Pfarrer kurz auf die Schulter. Dieser wischt sich eine Träne aus dem Gesicht. Ein großer Stein vom Herzen fällt in diesem Augenblick wohl auch den Eltern und Geschwistern des Priesters, die auf den Bänken im Chor der Stadtpfarrkirche Platz genommen haben.

Bevor die Gemeinde das Abendmahl feiert, spricht der Bischof den Gläubigen noch ins Gewissen. Rücksicht sollten alle auf den Pfarrer nehmen, der noch gezeichnet und mitgenommen sei, so Hanke. Umso mutiger ist die Entscheidung des Pfarrers zu werten, den Weg an seine alte Wirkungsstätte anzutreten und nicht an einem anderen Ort neu beginnen zu wollen. Eine große Bitte hatte der Priester an seine Gemeinde: „Ich möchte keine Rache.“

Nach dem Gottesdienst wollen viele die Hand des zurückgekehrten Stadtpfarrers drücken. Vielen fällt er um den Hals. Eine Rückkehr scheint möglich. Der erste Schritt ist getan. „Die Umarmungen und der Applaus haben ihm gut getan“, sagt eine Frau. Eine andere Gottesdienstbesucherin erzählt, das angebliche Missbrauchsopfer sei in Wahrheit ein schlechter Mensch. Ein Mann, der ebenfalls anonym bleiben möchte, kritisiert die Staatsanwaltschaft. „Das war eine Machtdemonstration. Die Staatsanwaltschaft müsste sich bei unserem Pfarrer entschuldigen.“ Dazu wird es aber wohl nicht kommen. Der Frieden ist also noch nicht zurück in Heideck. Nur die Zeit wird wohl die Wunden schließen können. Aber zumindest können sie jetzt alle gemeinsam Weihnachten feiern – die Heidecker Katholiken und ihr alter und neuer Stadtpfarrer.