Greding
Gestrandet allein in der Fremde

16 Jugendliche aus Syrien und Afghanistan haben in Greding eine vorübergehende Bleibe gefunden

28.08.2015 | Stand 02.12.2020, 20:52 Uhr

Kleidung zum Wechseln: Für Gleichaltrige in Deutschland ist eine große Auswahl an Klamotten meist selbstverständlich; die Jugendlichen aus Syrien und Afghanistan freuen sich, als Monika Obermeyer (links) und Manuela Ostermeier (rechts) Kleiderspenden verteilen - Foto: Luff

Greding (HK) Sie sind zwischen 14 und 17 Jahre alt, auf den ersten Blick ganz normale, fröhliche Jungs, höchstens mit einem etwas dunkleren Teint. Doch haben sie Dinge in ihrem jungen Leben erlebt, die man seinem ärgsten Feind nicht wünscht.

In Greding haben 16 Syrer und Afghanen eine vorübergehende Bleibe gefunden.

Kein Thema beherrscht derzeit die Schlagzeilen wie die Emotionen im ganzen Land in dem Maße wie es die Flüchtlinge tun. Brandanschläge auf Unterkünfte auf der einen Seite, engagierte Helferkreise auf der anderen. Und mittendrin: traumatisierte Menschen mit ganz persönlichen Schicksalen, mit ganz eigenen Schwierigkeiten. So wie die 16 „unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlinge“, wie der Fachterminus heißt; abgekürzt: UMF. Ohne Eltern, ohne Angehörige sind sie auf der Flucht vor Krieg und Terror im fernen Deutschland gestrandet. Auf der Suche nach Normalität – die ihnen der Rother Jugendamtsleiter Manfred Korth und sein Team geben wollen.

Eine vorübergehende Bleibe hat er in einem Gasthof in Greding organisiert, in spartanisch eingerichteten Vier-Bett-Zimmern sind die sich fremden jungen Männer untergebracht. Und doch ist es eine deutliche Verbesserung im Vergleich zur Turnhalle in Passau, aus der sie kommen. Derlei Einrichtungen platzen aus allen Nähten, kurzfristig hat das Rother Jugendamt 20 Jugendliche zugeteilt bekommen, 16 sind es letztlich geworden.

16 Jungs, von denen die Mitarbeiter des Jugendamts keinerlei Informationen haben: „Es gibt kein Clearingverfahren mehr“, sagt Korth. Das beinhaltet gewöhnlich die Identitätsfeststellung, bei der auch Informationen über das Schicksal des Jugendlichen zutage treten oder ob er vielleicht Verwandte in Deutschland hat. Auch der obligatorische Gang zum Arzt gehört dazu. Weil die Aufnahmelager überfüllt sind, es dort am Personal aber mangelt, sind die Jugendlichen quasi anonym in den Landkreis Roth gekommen. Informationen muss das Jugendamt mühsam selbst erfragen, doch: „Sie sind sehr sehr vorsichtig“, sagt Korth, „sie sprechen wenig.“ Und wenn, existierten oft Sprachprobleme. Bei zwei Schützlingen in Greding wisse er mittlerweile, dass sie Verwandte in Deutschland hätten, so Korth. „Aber so etwas müssen wir nebenbei machen.“

Auf Vorschlag von Brigitte Neudert, die am Landratsamt für Vormundschaftsangelegenheiten zuständig ist, hat das Jugendamt nun kleine Büchlein angelegt, in die Infos über die jugendlichen Schützlinge eingetragen werden. „Das ist insgesamt ein Problem“, findet Korth. „Jedes Jugendamt muss zurzeit alles neu erfinden, es gibt kein Regelwerk, kein System.“

Und ohne engagierte Hilfe nicht mal das Nötigste zum Leben. „Sie haben nichts, sie sind ohne Zahnbürste angekommen“, erzählt Markus Loy, der für die wirtschaftliche Seite der Jugendhilfe zuständig ist. Nur das Handy, das ihnen ein wenig Kontakt zu den Eltern in der Heimat ermöglicht. Und das Flüchtlingen bei Deutschen oft den Vorwurf einbringt, sie hätten doch alles, sogar ein modernes Handy. Doch ist es für sie kein Statussymbol wie hierzulande, sondern der emotionale Rettungsanker. Auf ein anderes deutsches Statussymbol legen die Jungs weniger wert: Kleidung. Sie strahlen, als Manuela Ostermeier von der Diakonie und Monika Obermeyer vom Landratsamt die gebrauchten Klamotten verteilen, die die Mitarbeiter des Jugendamts intern im Amt gesammelt haben.

Die scheinbar ungetrübte Freude kann auch eine anfängliche „Pseudoanpassung“ sein, weiß Korth aus Erfahrung. „Die Traumatisierung kommt oft erst später.“ Mindestens einer aus der Gruppe habe seine Eltern verloren, schildert Markus Loy. Pädagogische Unterstützung sei vonnöten, zwei Frauen von der Diakonie schauen täglich in Greding vorbei. Er sei dabei, in Großschwarzenlohe eine Einrichtung zu schaffen, erzählt Korth. Mitte September oder Anfang Oktober soll sie bezugsfertig sein – und auch die Betreuung kein Provisorium mehr sein. Doch: „Es fehlt an Trägern und an Pädagogen.“

Manfred Korths größte Sorge ist, dass die jugendlichen Flüchtlinge auch hierzulande auf feindselige Menschen treffen. Dass es zu Ärger kommt. Ein Sicherheitsdienst hat nachts ein Auge auf das Haus. „Es muss nicht von hier kommen“, sagt Korth, „der braune Mob fährt auch.“ Als er mit der Gruppe beim Einkaufen war, sei diese überall in Greding freundlich empfangen worden, ergänzt Markus Loy. Ohnehin handle es sich um eine „pflegeleichte Gruppe“.

Ressentiments sind also nicht aufgetreten, doch der Jugendamtsleiter baut vor. Zwar handle es sich um einen Gasthof, in dem die Jugendlichen wohnen. Aber: „Es ist keine Luxuslösung“, und noch dazu nur für eine begrenzte Zeit, wohl bis Mitte oder Ende September. Die nächsten 20 Jugendlichen seien von der Regierung auch schon angekündigt, sie würden in einem Ortsteil von Allersberg untergebracht. „Ich muss da schnell reagieren.“ Froh sei er, dass auch der Asylhelferkreis in Greding schnell gehandelt habe – weshalb die jungen Syrer und Afghanen nun zumindest Tischtennis spielen können, um sich die Zeit ein wenig zu vertreiben. Oder sie lernen schon ein wenig Deutsch. Die Pädagogin Manuela Ostermeier verteilt dazu Blätter mit der bebilderten Anlauttabelle. Das A ist darauf mit dem Apfel symbolisiert. Wie Erstklässer müssen die Jugendlichen erst einmal das Alphabet lernen, das Arabische kennt die römischen Schriftzeichen nicht. Mündlich fällt dem einen oder anderen die Sprache schon leichter, wie Korth erfreut feststellt: „Einer hat mich heute Morgen schon mit ,Guten Morgen’ begrüßt.“

Das ist zwar schön, doch reichen derlei Sprachkenntnisse auf Dauer nicht aus. In der Schule könnten ausländische Minderjährige die Sprache – und mehr – lernen, überdies herrscht in Deutschland Schulpflicht. Und die erstreckt sich auf jedes Kind, ganz gleich, aus welchen Land es stammt oder welchen Aufenthaltsstatus es hat. Im Fall von Afghanen und Syrern kann man auch von einem Recht auf Bildung sprechen, wird es ihnen in ihrer Heimat doch mitunter verwehrt. Für die Behörden entstehen dadurch jedoch weitere Probleme, Mitte September beginnt in Bayern das neue Schuljahr. „Vielleicht könnte man in der Berufsschule in Roth noch eine weitere Klasse bilden“, überlegt Korth. Gleichzeitig gesteht er ein, dass auch bei dieser Problematik gilt: „Wir müssen zurzeit viel improvisieren.“