Ellingen
Zwölf vergessene Reichskanzler

Ausstellung im Kulturzentrum Ostpreußen in Ellingen will den Politikern Gesicht und Stimme geben

22.09.2015 | Stand 02.12.2020, 20:46 Uhr

Schlicht vergessen seien die zwölf Reichskanzler, sagt der Historiker Bernd Braun (Mitte) – hier beim Rundgang mit dem CSU-Bundestagsabgeordneten Artur Aurnhammer (links) und Wolfgang Freyberg, dem Direktor des Kulturzentrums Ostpreußen - Fotos: Fritsche

Ellingen (mef) Ihre Regierungszeit und ihr Leben beschreibt die Ausstellung „Die Reichskanzler der Weimarer Republik – Zwölf Lebensläufe in Bildern“, die im Kulturzentrum Ostpreußen in Ellingen eröffnet wurde. Ein Stück Geschichte soll mit der Fotoschau dem Vergessen entrissen werden.

„Die zwölf Reichskanzler aus den Jahren zwischen 1919 und 1933 sind schlicht vergessen“, erläuterte Bernd Braun von der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte in Heidelberg bei seinem Einführungsvortrag im Kulturzentrum Ostpreußen in Ellingen. Das mag teilweise an der kurzen Amtszeit der neun Preußen und drei Badener liegen, erläuterte der Historiker. Mit einer Amtszeit von drei Jahren und einem Monat war Wilhelm Marx der am längsten amtierende Kanzler der Weimarer Republik und wurde von ironischen Zeitgenossen als „ewiger Kanzler“ bezeichnet.

Die Kanzlerschaft war von einem verfassungstechnischen Würgegriff begleitet, der doppelten Abhängigkeit von Reichstag und Reichspräsident. Der Amtsinhaber konnte vom Reichstag mit einfacher Mehrheit gestürzt werden. Dabei sagt die Dauer einer Kanzlerschaft grundsätzlich nichts über die Qualität eines Amtsinhabers oder die Leistungen während seiner Amtszeit aus.

Alle diese Männer übernahmen das Amt in einer schwierigen Zeit mit extremen außen- und innenpolitischen Problemen, so Braun. Sie hatten jedoch unter anderem den Traum, die Monarchie wieder herzustellen oder die freie Demokratie zumindest etwas einzuschränken. Allerdings waren alle außer von Papen Gegner der Diktatur. Erst als Hitlers NSDAP 1930 in den Reichstag einzog, war die Bedrohung der Demokratie gegeben, die mit dem Wahlerfolg am 5. März 1933 umso größer wurde.

Dass diese bedeutenden Politiker nicht in unserer Erinnerung vorhanden sind, liegt an der heutigen Mediengesellschaft, die visuell arbeitet. Die Bilder der Kanzler sind nicht präsent, da es nur wenige Aufnahmen von ihnen gibt. Braun: „Das Foto war zur Zeit der Weimarer Republik kein Mittel der Selbstdarstellung!“ Es gab keine aktive Pressefotografie durch die Reichskanzlei, die zudem keine Routine im Umgang mit der Presse hatte. Der Fotograf wurde als Störenfried geduldet oder ignoriert. Erst ab 1933 erkannten und nutzen die Nationalsozialisten Fotos als hervorragendes Propagandamittel.

Die Ausstellung „Die Reichskanzler der Weimarer Republik“ möchte diese zwölf Männer wieder im kollektiven Gedächtnis der Nation verankern. Sie will den vergessenen Kanzlern Gesicht und Stimme zurückgeben. Sie erhebt bewusst nicht den Anspruch, eine umfassende Darstellung der Weimarer Republik zu liefern. Sie konzentriert sich auch nicht auf die jeweils sehr kurzen Kanzlerschaften, sondern präsentiert die Gesamtbiografien von Philipp Scheidemann, Gustav Bauer, Hermann Müller, Constantin Fehrenbach, Joseph Wirth, Wilhelm Cuno, Gustav Stresemann, Wilhelm Marx, Hans Luther, Heinrich Brüning, Franz von Papen und Kurt von Schleicher in jeweils gleichem Umfang.

Zahlreiche Fotos, die aus dem Besitz von Kindern und Nachfahren der Reichskanzler stammen, sind zum ersten Mal in der Öffentlichkeit zu sehen. Über 750 Fotos von rund 65 Leihgebern aus Deutschland, Österreich, Dänemark, Schweden, der Schweiz und den Niederlanden zeigen die Gemeinsamkeiten, aber auch die gravierenden Unterschiede in den Lebensläufen dieser zwölf Kanzler auf. Sie geben einen Einblick in die Privatsphäre, zeigen die Verwandten der Kanzler und beleuchten auch das Leben der Gattinnen.

„Das Leben war damals anders“, sagte Braun, „die Politiker waren mit minimalen und naiven Sicherheitsmaßnahmen mitten auf der Straße unterwegs.“ Zudem war die Kanzlerschaft kein Olymp – die meist ohne Parteibuch in das Amt gekommenen Politiker gingen nach ihrer Episode teilweise wieder ihrem früheren Beruf nach, wurden Minister unter ihrem Nachfolger oder wie Philipp Scheidemann Oberbürgermeister von Kassel.

Der CSU-Bundestagsabgeordnete Artur Auernhammer bewunderte die kurze Einarbeitungszeit der damaligen Kanzler: „In meiner ersten Periode als Nachrücker habe ich ein ganzes Jahr gebraucht, um Abläufe und Ansprechpartner kennenzulernen.“ Ebenso sah er die Arbeit der bis zu 15 Parteien im Reichstag als besonders schwierig, um gute Mehrheitsentscheidungen zu fassen.