Eichstätt
Elementare Werte in Zeiten des Umbruchs

Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof prangert die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank an

27.07.2016 | Stand 02.12.2020, 19:29 Uhr

Eichstätt (HK) "Forschen heißt hoffen!" Dieser doch zwiespältige Satz war nur einer von vielen, mit denen Professor Paul Kirchhof seine Zuhörer in Eichstätt in Atem hielt. Der frühere Verfassungsrichter gilt als Experte auf dem Gebiet des Verfassungs-, Steuer- und Europarechts und ist Inhaber mehrerer Lehrstühle.

Seine Kernthese: Freiheit, Gleichheit, Sicherheit seien "elementare Werte", die in "Zeiten des Umbruchs" der Erhaltung bedürften. Kirchhof sieht diese Werte bedroht: durch den internationalen Terrorismus, der vor nichts haltmache, der großen Distanz der EU zu ihren Bürgern aufgrund überfrachteter und selbst für Experten unverständlicher Gesetze und zuletzt der modernen Geldordnung, die sich der Staatsverschuldung verschreibe, einem Szenario, vor dem Kirchhof nachdrücklich warnte. Zusätzlich verlören die "Grundkategorien" Ehe, Familie, Religion an Bedeutung.

Dennoch: Kirchhof erwies sich keinesfalls als Pessimist, sondern als Staatstheoretiker, der Lösungsvorschläge anbietet. Heftige Kritik übte Kirchhof an der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB), die Voraussagen treffe, die sich niemals erfüllen würden. Zudem sei das Institut durch die EU-Bürger nicht demokratisch legitimiert worden. Kirchhof sieht hierin eine Eigenmächtigkeit bis hin zur Amtsanmaßung und forderte eine "Rückkehr zum Recht".

Es sei ein Skandal, dass die EU-Mitgliedsstaaten zum Teil die in den Verträgen festgelegte Verschuldungsobergrenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) dauernd überschritten, einmal ganz abgesehen davon, dass dies den Einfluss der EZB weiter stärke, die die Kredite gewähre.

"Die Phönizier haben das Geld erfunden - aber warum nur so wenig davon" Das Gelächter im Saal verstummte rasch, nachdem Kirchhof klargemacht hatte, was hinter diesem Ausruf steckt: die fatale Neigung des Finanzmarkts, nie genug zu haben und Geldwerte zu kreieren, die sich von der Realität längst losgelöst haben. "Ich nahm das Zuviel weg" - ein Ausspruch Michelangelos, den Kirchhof auch gerne auf die heutige Finanzpolitik angewendet sähe, genauer: in Form einer einprozentigen "Umsatzsteuer" auf Finanztransaktionen, die nach der Kalkulation des Steuerrechtlers ein monatliches Plus von 70 bis gar 130 Milliarden Euro bedeuten würde. Geld, das man in Aufbau- und Entwicklungshilfe investieren könnte, und so war auch der Bogen zur Flüchtlingsproblematik gespannt.

Kirchhof sieht das Problem - nicht zuletzt dank mangelnder Gesprächsbereitschaft einiger EU-Mitgliedsstaaten - nicht nachhaltig gelöst. Die Würde des Menschen sei nicht differenzierbar. Man sei zur Versorgung der Flüchtlinge verpflichtet, aber "Deutschland ist nicht für die Würde aller verantwortlich".

Kirchhofs Vorschlag: die Flüchtlinge in den Anrainerstaaten der Krisenregionen zu versorgen, wo die Geflüchteten kulturell vertrauter seien und sich besser integrieren könnten. Diese Länder, so seine Kalkulation, würden mit den neu entstandenen Mitteln unterstützt, um dort eine verbesserte Infrastruktur zu schaffen. Denn diese ermögliche Bildung, und Bildung bedeute Würde. "Besinnen wir uns", so Kirchhofs Schlusswort, "auf den individuellen, freien Menschen und seine Würde."