Eckersmühlen
Vergebliche Hoffnung auf Frieden

Der Eckersmühlener Soldat Christoph Müller dient im Januar 1918 an der Westfront Trotzki verhandelt für Bolschewiki

16.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:48 Uhr

Christoph Müllers Erwartungen auf einen Frieden erfüllen sich im Januar 1918 noch nicht (Feldpostkarte oben), auch wenn in Brest-Litowsk bereits am 15. Dezember 1917 ein Waffenstillstandsabkommen zwischen den Mittelmächten und den russischen Bolschewiki unterzeichnet wurde. Im Westen geht der Weltkrieg weiter. ‹ŒFotos/Repors: Wittek

Eckersmühlen (HK) Nach dem Abflauen der dritten Flandernschlacht im November 1917 wurde der Eckersmühlener Soldat Christoph Müller wieder in den südlichen Teil der Westfront verlegt. Der Abschnitt zwischen Verdun und der schweizerischen Grenze galt als Nebenkriegsschauplatz.

Dort auf den Maashöhen südöstlich von Verdun bei St. Mihiel war es ein trotz Stellungskämpfen verhältnismäßig ruhiger Frontabschnitt bis hinunter zur Schweizer Grenze. Trotzdem nimmt sich Christoph Müller nur kurz Zeit, um seiner Schwester, die sich zu jener Zeit in Nürnberg aufhielt, per Feldpostkarte ein Lebenszeichen zu senden.

 

"Frankreich, den 15.1.18.

Liebe Schwester!

Deine Karten erhalten, besten Dank dafür. Liebe Schwester, teile Dir kurz mit, daß ich noch nicht in Urlaub komm. Ich bin gesund, was ich auch von Dir hoffe. Es grüßt Dich bestens Christoph."

 

Die Vorderseite der Postkarte ziert eine Zeichnung, auf der ein Soldat sich aus dem Fenster lehnt und auf einer Laute spielt, deren Hals eine Schleife mit den Farben der Mittelmächte ziert. "Wiesen und Gärten, mit Blumen bestanden, werden geplündert zu Friedensgirlanden", lautet der Text dazu. Doch von Frieden ist im November 1917 noch lange keine Rede.

Lediglich an der Ostfront zeichnet sich allmählich ein Ende des Krieges ab. Seit dem 17. Dezember 1917 verhandeln die Mittelmächte unter der Führung von Deutschland mit den russischen Bolschewiki in Brest-Litowsk über einen Friedensvertrag.

Der Aufnahme der Verhandlungen war der Vorschlag zum Waffenstillstand durch Leo Trotzki vom 28. November vorangegangen. Am 9. Dezember trafen sich die Delegationen zum ersten Mal. Die bolschewistische Delegation unterbreitete folgendes Angebot: Verzicht auf Annexionen, schnelle Räumung der besetzten Gebiete, Selbstbestimmungsrecht der Völker, Verzicht auf Kriegsentschädigungen.

Während der Verhandlungen kam es in Sowjetrussland zu einem Ereignis, das die Macht der Bolschewiki erschütterte und fast beendete. Die am 25. November 1917 abgehaltenen Wahlen zur russischen konstituierenden Versammlung ergaben eine herbe Niederlage für die Bolschewiki. Hätten sie das Wahlergebnis anerkannt, so wie es Lenin zuvor versprochen hatte, hätten die Bolschewiki, die weniger als ein Viertel der Stimmen erhielten, ihre Macht verloren. Am 19. Januar 1918 wurde die neu gewählte Volksvertretung von den Bolschewiki aufgelöst und durch Sowjets ersetzt.

In dieser turbulenten Situation gelang es Trotzki, die bolschewistische Führung einschließlich des zögernden Lenins davon zu überzeugen, die Friedensverhandlungen zu verlassen, ohne einen Friedensvertrag unterzeichnet zu haben. Er nannte diesen Ansatz "weder Krieg noch Frieden". Am 30. Januar kehrte Trotzki an den Verhandlungstisch zurück. Angesichts von Massenstreiks in Deutschland und Österreich-Ungarn erhielt er von der Führung der Bolschewiki noch weitergehende Vollmachten, die Verhandlungen zu verzögern. Um einen weiteren Aufschub zu erreichen, weigerte er sich, an Gesprächen teilzunehmen, bei denen die ukrainische Delegation zugegen war. Trotzkis Taktik ging jedoch nicht auf. Die Mittelmächte schlossen mit der Regierung der Volksrepublik Ukraine am 9. Februar einen Separatfrieden. Sie erkannten einen ukrainischen Staat an, der gegen günstige Grenzziehungen und Autonomie umfangreiche Getreidelieferungen an die Mittelmächte versprach, weshalb er auch als "Brotfrieden von Brest-Litowsk" bezeichnet wird.

Trotzki hatte seine Delegation in eine Sackgasse manövriert. Die Deutschen drängten auf die Fortsetzung der Gespräche ohne propagandistisches Geplänkel. Daraufhin verkündete Trotzki seine neue Politik. Er gab am 10. Februar bekannt: "Russland, indem es darauf verzichtet, einen annexionistischen Vertrag zu unterzeichnen, erklärt seinerseits den Kriegszustand mit den Zentralmächten für beendet. Den russischen Truppen wird gleichzeitig der Befehl zur vollständigen Demobilisierung an allen Fronten erteilt."

Seine Strategie war es, bis zum absehbaren Ende des Krieges weder Krieg noch Frieden zuzulassen. Die deutsche Delegation gab jedoch zu bedenken, dass ein Waffenstillstand ohne Abschluss eines Friedensvertrages unweigerlich zur erneuten Aufnahme der Kampfhandlungen führen werde. Trotzki hielt diese Drohung für gegenstandslos und fühlte sich bei der Abreise aus Brest-Litowsk als Sieger. Lenin, der ihn fragte, ob die Deutschen wirklich nicht wieder angreifen würden, antwortete er: "Es sieht nicht danach aus".

Am 16. Februar teilte die deutsche Heeresleitung der russischen militärischen Führung mit, dass sie den Waffenstillstand am 17. Februar 1918 als abgelaufen betrachte. Wie angekündigt begann die deutsche Offensive mit dem Namen "Operation Faustschlag" an diesem Tag. Die deutschen Truppen kamen sehr schnell voran, ihnen stellte sich so gut wie kein Widerstand entgegen.

Der bolschewistischen Führung war der Ernst der Lage angesichts des raschen deutschen Vormarsches schnell bewusst. Lenin drängte zu schnellen Entscheidungen. Angesichts der für die Bolschewiki katastrophalen Lage im Lande bat die Regierung Sowjetrusslands am 19. Februar die Deutschen um Frieden. Am 20. Februar erklärte Lenin dem Moskauer Sowjet: "Es gibt keine Armee mehr. Die Deutschen greifen von Riga her die ganze Front an."

Vier Tage vergingen, bis die deutsche Heeresleitung antwortete und die neuen Bedingungen nannte. Nun sollten Finnland, Livland, Estland und die Ukraine geräumt sowie die russische Armee vollständig demobilisiert werden. Für eine Antwort wurde den Russen eine Frist von lediglich 48 Stunden eingeräumt. Für Verhandlungen waren maximal drei Tage vorgesehen.

Die Beratungen innerhalb der bolschewistischen Führung waren chaotisch. Trotzki war unentschlossen, und Bucharin votierte für die Fortsetzung des Krieges. Lenin, dessen Umsturz in Russland von Deutschland unterstützt und finanziert worden war, war die Gefahr einer Intervention der Mittelmächte für den Fortbestand der bolschewistischen Revolution bewusst. Er setzte deswegen eine Annahme der deutschen Forderungen unter Androhung seines Rücktrittes von allen Ämtern bei den Bolschewiki durch. Er forderte das Ende der "Politik der revolutionären Phrase", die auch er selbst zuvor eifrig betrieben hatte. Lenin spekulierte auf einen baldigen Zusammenbruch der Mittelmächte oder den Sieg einer sozialistischen Revolution in Deutschland, die eine Wiedereingliederung der verlorenen Gebiete auf militärischem oder politischem Wege ermöglichen würden. Am 3. März 1918 wurde der Friedensvertrag in Brest-Litowsk unterzeichnet, am 15. März vom 4. Außerordentlichen Sowjetkongress in Moskau ratifiziert.

Jetzt konzentrierten sich die deutschen Militärs ganz auf die Westfront. Dort hatten die USA nach ihrem Kriegseintritt 1917 bereits begonnen, Truppen nach Frankreich zu verlegen. Die Oberste Heeresleitung versuchte daher, eine schnelle Entscheidung herbeizuführen. Die Vorbereitungen für die deutsche Frühjahrsoffensive waren bereits im Winter 1917 im vollen Gange und konzentrierten sich im Raum zwischen der Champagne und der Picardie. Sie blieb am Ende erfolglos. Kaiser Wilhelm musste am 9. November 1918 abdanken, Philipp Scheidemann (SPD) und Karl Liebknecht vom Spartakusbund riefen zeitgleich die Republik aus. Die von Lenin und Trotzki erhoffte kommunistische Revolution blieb jedoch aus.