Eckersmühlen
"Jetzt werden bald alle Kameraden tot sein"

Georg Müller aus Eckersmühlen berichtet in Feldpostbriefen von der Somme-Offensive 1916 und seinem Leben an der Front

09.12.2016 | Stand 02.12.2020, 18:56 Uhr

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Eckersmühlen (HK) Michael Müller fand in den Kämpfen im Osten am 8. August 1916 den Tod; sein Bruder Georg Müller war nördlich der Somme in Nordfrankreich bei Lille eingesetzt. Auch dieser Abschnitt war hart umkämpft, wie aus Müllers Briefen hervorgeht. Wegen der Zensur macht er oft nur Andeutungen über das wahre Desaster.

Während der Schlacht von Verdun starteten die Allierten zur Entlastung der französischen Front zwei Offensiven: Im Osten die "Brussilow-Offensive" im Westen versuchten britische Truppen die deutsche Front an der Somme zu durchbrechen. Beide Gegenoffensiven zwangen die deutsche Oberste Heeresleitung (OHL) dazu, zahlreiche Truppenkontingente von Verdun abzuziehen, um die gefährdeten Frontabschnitte in West und Ost zumindest zu stabilisieren.

Doch auch hier, am Rande der Sommeschlacht, ging es nicht ruhig zu wie aus den Briefen Georg Müllers vom 10. Oktober bis 24. November 1916 hervorgeht. In diesem Zeitraum fanden die letzten Großangriffe der Briten statt. Aus den Briefen erfährt man auch vom Schicksal anderer Kriegsteilnehmer aus Eckersmühlen und sie geben Einblick in die Versorgungslage sowohl der Soldaten als auch in der Heimat. Ebenso zeigt sich auch die immer weiter fortschreitende Desillusionierung des Soldaten Georg Müller, die in eine Todessehnsucht zu münden scheint. Dabei deutet Müller wegen der Zensur und um seine sorgengeplagte Mutter zu schonen das wahre Ausmaß des Krieges oft nur noch an.

"Frankreich, den 10. Okt. 1916

[ ...]

Liebe Schwester, ich war 5 Tage in der Stellung und jetzt sind wir abgelöst worden in der Stellung. Werden es ganz schön haben, die scheußlichen Engländer lassen einen Tag und Nacht nicht in Ruh. Die erste Nacht haben wir wieder Kameraden verloren, denn die Minen sind gefährlich.

Liebe Schwester, L. Wild ist im Feldlazarett. Er darf Gott danken, daß er nur so wegkommt.

Liebe Schwester, wie habe ich gehört, daß Georg Galsterer gefallen ist. Es war doch schade für so einen Krieger, der schon so lange dabei ist. Georg Meier ist vermißt. Es ist ein Unglück, wenn man es bedenkt.

Liebe Schwester, ich denke an euch immer wieder und an meine lieben Brüder Hans und Michael. Doch sie haben es schöner wie wir. Wer weiß, ob wir uns wieder sehen.

Ach wie war es so schön, als wir noch beinander waren und haben den Eltern helfen arbeiten können. Jetzt muß ich in meinem Erdbodenloch drinsitzen. Du glaubst es nicht, was das für eine Freude macht, wenn [man] von daheim was hört.

Jakob Kühnlein ist auch gefallen, es ist traurig für seine Mutter. Liebe Schwester, jetzt werden bald alle Kameraden tot sein, da gefällt es mir auch nicht mehr.

[ ...]

Liebe Schwester, macht euch keine Sorgen, es geht schon, wenn Gott will.

Liebe Schwester, auch habe ich wieder 2 Päckchen von euch erhalten, wofür ich euch bestens danke. Von meiner l. Post habe ich auch wieder 2 und Käthe Bergmanns Paket erhalten.

Liebe Schwester, schickt mir nicht so viel, esst es lieber selber, es kostet nur viel Geld.

Liebe Schwester, wir haben nun Regenwetter und stehen im Wasser bis zum Bauch. Wir können es kaum aushalten. Laß es der Mutter nicht lesen, behalte es für Dich, sie hat so Sorgen genug.

Mache nochmals meinen besten Dank für alles.

Es grüßt Dich Dein treuer Bruder Georg.

Gruß an Eltern und Großeltern.

Die Welt ist groß, die Welt ist schön; Wer weiß ob wir uns wieder sehn."

Die offizielle deutsche Heeresdepesche für Nordfrankreich liest sich heroischer: "Großes Hauptquartier, 9. Oktober: Die gewaltige Sommeschlacht dauert an. Fast steigerten gestern unsere verbündeten Feinde noch ihre Anstrengungen, um so empfindlicher ist für sie die schwere, verlustreiche Niederlage, die ihnen die heldenmütige Infanterie und die starke Artillerie der Armee des Generals von Below bereitet haben. Nicht das kleinste Grabenstück auf der 25 km breiten Schlachtfront ist verloren. Mit besonderer Heftigkeit und in kurzer Folge stürmten die Engländer und Franzosen ohne Rücksicht auf ihre außerordentlichen Verluste zwischen Gueudecourt und Bouchavesnes an. Die Truppen der Generale von Böhn und von Garnier haben sie jedesmal restlos zurückgeschlagen. Bei Le Sars nahmen wir bei der Säuberung eines Engländernestes 90 Mann gefangen und erbeuteten 7 Maschinengewehre."

Anfang November 1916 erreicht folgender Brief Georg Müllers seine Famile:

"Nordfr., den 6. Nov. 1916

Liebe Eltern und Geschwister!

Nun ist wieder ein Tag und eine Nacht glücklich im Schützengraben vorbeigegangen. Jetzt werde ich Posten stehen bei der Nacht, 3 mal, da steht man immer 2 Stunden allein. Da heißt es Augen und Ohren offen haben. Wenn eine Leuchtkugel aufblitzt, muß man schnell über die Grabenwand spitzen ob keine feindl. Patrouille draußen ist. Da pfeift es andauernd über den Kopf. Ruhe wird es überhaupt Tag und Nacht nicht.

Liebe Eltern, auch regnet es die ganze Nacht. Könnt Ihr euch denken, so ein Posten ist nichts angenehmes.

Liebe Eltern, den ganzen Tag müssen wir Wasser schöpfen, da weiß man nicht, sind die Stiefel von Lehm oder Leder. Seid nur froh, daß ihr daheim seid, das wollt man lieber weniger offen und nicht hier sein.

Liebe Eltern, wie ich zurück war, hab ich meinen Freund Math. Miederer getroffen. Könnt ihr euch denken, was das für eine Freude war, wenn man an nichts denkt.

Liebe Eltern, es fehlt mir nichts als mein guter Kaffee. Die Suppe wird meistens kalt und schlafen muß man auch auf einem harten Brett.

Liebe Mutter, wie geht es dir und dem l. Vater und Geschwister? Hoffentlich gut, was ich euch von Herzen wünsche.

Ich schließe mein Schreiben und verbleibe euer dankbarer Sohn Georg.

Noch einen Gruß an

meine lieben Großeltern.

Lebt wohl, auf ...+"

Die offizielle deutsche Heeresdepesche, schon im Stile des neuen Generalquartiermeisters Erich Ludendorff verfasst, lässt schon den Duktus künftiger Zeiten erahnen. Ludendorff und Paul von Hindenburg hatten am 29. August 1916 Erich von Falkenhayn als Chef der Obersten Heeresleitung abgelöst. Vor allem Ludendorff baute diese Position de facto zu einer Militärdiktatur aus. Seine zutiefst antidemokratische Haltung legte er auch in der Weimarer Republik nicht ab, wie sich beim Kapp-Putsch und beim Hitler-Putsch 1923 zeigt. Ludendorff war vor Hitler auch der führende Kopf der rechtsnationalen Bewegung. 1935 verfasste er sein Pamphlet vom "totalen Krieg". Paul von Hindenburg ernannte als Reichspräsident 1933 Hitler zum Reichskanzler.

In der Depeche aus dem Großen Hauptquartier, vom 6. November, heißt es: " In der Dauerschlacht an der Somme war der 5. November wiederum ein Großkampftag erster Ordnung. Engländer und Franzosen haben mit sehr bedeutenden Kräften und unter Einsatz der ganzen Feuerkraft ihrer Artillerie einen gewaltigen Stoß gegen die Armee des Generals v. Below geführt. Die unter den Befehlen der Generale Frhrn. Marschall, v. Deimling und v. Garnier stehenden Truppen verschiedener deutscher Stämme haben unerschütterlich standgehalten und den Feinden eine schwere Niederlage bereitet. Teile des Straßburger Korps, des sächsischen und Badener Kontingents, Berliner, Hanseaten, sowie das Meininger Infanterieregiment haben sich besonders ausgezeichnet."

Wie die Wirklichkeit der einfachen Soldaten an der Front aussah, beschreibt Georg Müller in seinem Brief vom 24. November. Dabei kann er wegen der Zensur der Feldpost nicht die ganze Wahrheit berichten.

"Schützengraben, den 24. Nov. 1916

Meine liebe Schwester!

Teile Dir kurz mit, daß ich das Paket No. 16 unversehrt erhalten habe. Besten Dank dafür. Liebe Schwester, ich habe doch deutlich geschrieben, ihr sollt mir nicht so viel schicken; es kostet doch nur Geld. Auch habe ich deinen l. Brief erhalten und freute mich sehr, liebe Schwester, daß du nur an mich denkst. Auch habe ich das traurige gelesen, daß unser lieber Nachbar Heinrich H. auch gefallen ist. Es ist mir schade für diesen Mann, was hat er alles durchmachen müssen bis jetzt. Da denke ich jetzt gerade an meinen lieben Bruder Hans[Zeeh], der schon so lange schläft. Hat er es nicht schöner wie wir? Liebe Schwester, ich habe in der Stellung wieder vieles durchmachen müssen.

L. Sch., Du wirst es nicht glauben, wenn ich Dir alles schreibe, was ich durchgemacht habe. Man soll nicht denken, was der Mensch alles aushalten kann. Ich war 3 Tage in der Stellung, da hatten wir sehr schlechtes Wasser; das Wasser wurde so hoch, daß wir bis zum Kopf im Wasser standen. Du kannst Dir schon denken, was das ist. Am 3. Tag kam die Ablösung, da sind wir zurückgekommen. Da wollten meine Kameraden nicht ins Wasser hinein, sie wollten wieder zurück. Da sagte unser Herr Feldwebel, wir müssen durch und wenn wir alle ertrinken. Dienstlicher Befehl, ich darf nicht alles schreiben.

Liebe Schwester, im Wasser stehen bis zum Kopf und dazu keine Minute des Lebens sicher sein, da habt ihr draußen gut schlafen. Ich vergesse die Nacht nimmer, die wir im Wasser zugebracht haben. Wenn es Gottes Wille ist, daß ich wieder nach Hause komm, dann kann ich euch wieder erzählen. Doch wer weiß, ob wir uns wieder sehen.

Liebe Schwester, Fleisch, Kuchen, Zucker und Kaffee habe ich erhalten. Besten Dank, das hättet ihr alles selber behalten sollen. Denn bei euch geht es auch nimmer so leicht.

Liebe Schwester, laß es der Mutter nicht wissen, denn sie hat so viel Sorgen zu tragen. Onkel Hans hat mir auch geschrieben; es geht ihm noch gut.

Liebe Schwester, verzeihe die schlechte Schrift, denn wir haben nicht viel Zeit. Sonst gibt es nichts Neues.

Die herzlichsten Grüße sendet Dir dein Bruder Georg.

Viele Grüße an Eltern u. Großeltern, Ruth und Hans. Lisette ihr Paket hab ich auch erhalten; vielen Dank.

Lebt wohl, auf ---+"

Die Schlacht an der Somme war eine der größten Schlachten an der Westfront des Ersten Weltkrieges. Sie begann am 1. Juli 1916 im Rahmen einer britisch-französischen Großoffensive gegen die deutschen Stellungen. Sie wurde am 18. November desselben Jahres abgebrochen, ohne eine militärische Entscheidung herbeigeführt zu haben. Mit insgesamt über einer Million getöteten, verwundeten und vermissten Soldaten auf beiden Seiten war sie die verlustreichste Schlacht der Westfront während des Ersten Weltkriegs, an Verlusten nahe jenen der Brussilow-Offensive der Ostfront.

Ende November ebbte die Somme-Offensive ab. Die deutsche Heeresdepesche vom 25. November bemerkt dazu lakonisch: "Westlicher Kriegsschauplatz: Keine besonderen Ereignisse."