Eckersmühlen
Gefangenschaft, Vertreibung, neue Heimat

Das Schicksal verschlug den sudetendeutschen k.u.k-Infanteristen Alois Lohwasser von Böhmen nach Eckersmühlen

20.06.2014 | Stand 02.12.2020, 22:33 Uhr

Eckersmühlen/Pirk (HK) Der Erste Weltkrieg gilt als Urkatasrophe des Jahrhunderts. Er sollte nicht die einzige bleiben. Das zeigt das Schicksal von Alois Lohwasser, der als böhmischer Soldat in den Krieg zog und 1945 aus seiner Heimat vertrieben wurde. In Eckersmühlen
fand er ein neues Zuhause.

In einem bis dahin für unmöglich gehaltenen Gemetzel – dem ersten vollindustrialisierten Krieg – starben Millionen Menschen, gingen jahrhundertealte Imperien unter, darunter auch die Habsburgermonarchie. Dieser Beitrag erzählt die Geschichte von Alois Lohwasser (kleines Foto), eines einfachen, österreichisch-ungarischen k.u.k-Infanteristen, der in zweifacher Hinsicht Glück hatte: Zum einen, nur kurz am aktiven Kampfgeschehen teilnehmen zu müssen. Zum anderen, die russische Kriegsgefangenschaft überlebt zu haben. Doch das Ergebnis des Ersten Weltkriegs setzte über die Zahnräder der damaligen Politik und der Geschichte keine 30 Jahre später das Rad des persönlichen Schicksals von Alois Lohwasser nochmals in Gang. Er wurde aus der Tschechoslowakei ausgewiesen und fand 1945 in Eckersmühlen eine neue Heimat.

Der im Jahre 1894 im böhmischen Pirk, Gerichtsbezirk Saaz, geborene Alois Lohwasser wurde am 26. Oktober 1914 nach Prag zum k.u.k. (böhmischen) Infanterie-Regiment 88 zum Kriegsdienst einberufen. Das 1883 aufgestellte böhmische Regiment war Teil des VIII. k.u.k. Armeekorps, das an der österreichisch-ungarischen Ostfront eingesetzt war. Es spiegelt zu Kriegsbeginn 1914 auch das damalige Bevölkerungsverhältnis in Böhmen wider. So bestand die Truppenstärke des Regiments zu 72 Prozent aus Tschechen und zu 26 Prozent aus Deutschen.

Alois Lohwasser wurde am 28. Dezember 1914 zu einem Skikurs nach Johannesbad im Riesengebirge abkommandiert und von dort ging es zunächst zum kurzen Garnisonsdienst nach Szolnok in Ungarn. Danach wurde er zur 2. Kompanie der 38. Brigade der 19. k.u.k.-Truppendivision des VIII. Armeekorps an die Karpatenfront am Usoker Pass kommandiert, beim heutigen transkarpatischen Uschhorod in der Ukraine.

Zu diesem Zeitpunkt war die so genannte Winterschlacht in den Karpaten im Gange. Die Schlacht dauerte von Dezember 1914 bis März 1915. Österreich-Ungarn und das Deutsche Reich wollten nach schweren militärischen Niederlagen die im Spätsommer 1914 von den Russen besetzten Teile Galiziens zurückerobern und die Gefahr eines russischen Einbruchs in die Front der Donaumonarchie abwenden.

Galizien war weitgehend von den russischen Truppen erobert, diese konnten tief in die Karpaten eindringen. Bei einem Durchbruch der Russen stand diesen der Weg in die ungarische Tiefebene und damit in ein Kerngebiet des fragilen Vielvölkerstaats offen. Zudem befand sich jenseits des Gebirges noch die preisgegebene österreichische Festung Przemysl mit knapp 150 000 Soldaten unter russischer Belagerung.

Zwischen dem 27. Februar und dem 14. März wurde die Offensive der Mittelmächte nach einem verzweifelten Hilferuf des Festungsführers von Przemysl wiederaufgenommen. Schon am 28. Februar rannte sich der Angriff der k.u.k. 2. Armee aber völlig fest, die Russen gingen ihrerseits sofort zu starken Gegenangriffen über und brachten die Entsatzoperation bis Mitte März völlig zum Stillstand.

Als Ergebnis der schweren Niederlage folgte für die Österreicher die Kapitulation ihrer Festung Przemysl am 22. März 1915 mit 117 000 Mann vor der russischen Einschließungsfront unter General Schuwalow. Die Offensiven in den Karpaten hatten dem österreichisch-ungarischen Heer seit 8. Dezember 1914 fast 250 000 Soldaten gekostet. Die Gesamtverluste der k.u.k.-Streitkräfte an der Karpatenfront lagen aber weit höher, nämlich bei rund 700 000 Soldaten im März 1915.

Auch Alois Lohwasser geriet am 15. April 1915 in russische Kriegsgefangenschaft und kam zunächst nach Glasow bei Jekaterinburg im Ural, von wo aus er über Mosovky Gorord (Baikalsee) und Verchne Udinsk, dem heutigen Ulan-Ude, in ein Lager ins südostsibirische Tschita verlegt wurde.

Für gewöhnlich hatten Kriegsgefangene eine größere Überlebenschance als ihre nicht gefangenen Kameraden. In Russland war die Situation in den Kriegsgefangenenlagern, die häufig in unwirtlichen Gegenden Sibiriens und Zentralasiens lagen, jedoch besonders schlecht. Von den etwa 2,2 Millionen Soldaten der Mittelmächte in russischer Gefangenschaft starb jeder vierte. Berüchtigt sind die großen Fleckfieber-Epidemien in den ersten Kriegswintern oder der Bau der Murmanskbahn. Kriegsgefangene wurden allgemein auf allen Seiten in der Landwirtschaft und Industrie eingesetzt und waren ein wichtiger Wirtschaftsfaktor während des Krieges.

Ende Februar 1916 wurde Alois Lohwasser wieder in den Ural verlegt, wo er im Kohle-Tageabbau eingesetzt wurde. Nachdem Russland revolutionsbedingt mit dem Sonderfrieden von Brest-Litowsk aus dem Krieg ausschied, wurde Alois Lohwasser am 15. August 1918 aus der Kriegsgefangenschaft entlassen. Er musste sich für drei Wochen in die Quarantäne ins polnische Brody begeben und wurde anschließend am 10. September der Ersatzreserve zugeteilt, wo er dann einen achtwöchigen Urlaub antrat.

Während seines Urlaubs war die eigentliche Selbstauflösung Österreich-Ungarns bereits im Gange: Es bildete sich am 6. Oktober 1918 ein Nationalrat der Slowenen, Serben und Kroaten und dieser proklamierte einen eigenen Staat. Ungarn schied de facto am 31. Oktober 1918 aus dem Reichsverband; der tschechische Nationalausschuss übernahm die Verwaltung in Böhmen und Mähren und proklamierte den tschechoslowakischen Staat. Galizien löste sich aus dem Reichsverband und schloss sich dem wiederentstehenden Polen an. Am 11. November legte Kaiser Karl I. die Krone nieder; es folgte die Ausrufung der Republik „Deutsch-Österreich“.

Alois Lohwasser kehrte in seine Heimat Pirk zurück, die jetzt zur Tschechoslowakei gehörte. Versuche der deutschen Bevölkerungsteile, einen unabhängigen Staat zu gründen, scheiterten. Doch auch der neue tschechoslowakische Staat hat nicht lange Bestand. Nach dem Münchner Abkommen September 1938 annektiert Hitler-Deutschland zunächst das Sudetenland und kurze Zeit später die gesamte Tschechoslowakei. Nach dem Zweiten Weltkrieg – im Zuge der so genannten Beneš-Dekrete – wurde Alois Lohwasser nach 1945 aus der Tschechoslowakei ausgewiesen und fand in Eckersmühlen eine neue Heimat. Es war seine endgültige.