Alfershausen
Vor dem Abriss bewahrt

Schnäppchen: Familie aus Rheinland-Pfalz wird auf Flucht vor den hohen Mietpreisen in Ingolstadt in Alfershausen fündig

10.08.2017 | Stand 02.12.2020, 17:40 Uhr
Dem Abriss entgangen: Dieses alte Häuschen mitten in Alfershausen richtet eine Familie aus Rheinland-Pfalz für ihre Tochter her, die in Ingolstadt studiert. −Foto: Luff, Volker, Weissenburg

Alfershausen (HK) Die stetig steigenden Mietpreise nicht nur in München, sondern auch im Raum Ingolstadt bescheren dem Umland Zuzug. Im Falle eines Hauses in Alfershausen ist das ein echter Glücksfall. Es kommt wieder neues Leben in ein Gebäude, das fast schon dem Abriss preisgegeben worden wäre.

„Wir sind ständig am Bauen und Umbauen“, sagt Manuela Staller einigermaßen geschafft. Und dennoch strahlend. Geschafft, weil sie seit gut fünf Wochen im Inneren des Häuschens an der Staatsstraße in Alfershausen schuftet. Und strahlend, weil sie es gerne tut, wie sie sagt. „Es ist ein Projekt fürs Herz“, sagt sie. Mittlerweile. Denn sie habe schließlich ihr Herzblut hineingesteckt, damit das Haus ein echtes Heim wird. Für ihre Tochter. Die 21-jährige Shari absolviert ein duales Studium in Ingolstadt, Maschinenbau, Fachrichtung Fahrzeugtechnik; zurzeit absolviert sie in dessen Rahmen eine Ausbildung zum Mechatroniker bei Audi. Im September habe sie angefangen, erzählt die Mutter. Seither wohnt Shari im Wohnheim – „500 Euro für 22 Quadratmeter“.

Mehr als 4000 Euro hat Shari zudem für eine ICE-Karte ausgegeben, schließlich will sie jedes Wochenende ins heimische Katzenelnbogen fahren, einem Städtchen von gut 2000 Einwohnern im Rhein-Lahn-Kreis im Bundesland Rheinland-Pfalz. Dort wartet nicht nur die Familie auf die junge Frau, sondern auch ihr geliebter Hund. Für ihn ist im Wohnheim kein Platz. Überdies reite ihre Tochter, erzählt Mutter Manuela, „sie hat die Hoffnung, es auch hier machen zu können“. Ein Stadtmensch sei Shari nicht.

Also habe sich die Familie auf die Suche nach einer günstigeren Wohnung gemacht. Und hierbei den Radius peu à peu erweitert, „so, dass Shari es mit dem Auto erreichen kann“. Schließlich stieß Manuela Staller auf das Wohnhaus, das die Gemeinde in Alfershausen in einem Bieterverfahren auf einem Immobilienportal feilbot. 35 Minuten Fahrzeit bis zu Audi erschien akzeptabel, „näher geht ja gar nichts“.

10 000 Euro war das von der Gemeinde ausgegebene Anfangsgebot. So ganz geheuer war ihr die Sache anfangs nicht, erzählt Staller. Weil eine solche Versteigerung nicht gerade üblich ist, dachte sie, die Kommune wolle lediglich den Marktpreis ermitteln, um zu wissen, wie viel sie für das Haus bei einem späteren Verkauf verlangen könne. Sie nahm Kontakt mit Martin Obermeyer von der Gemeindeverwaltung auf – und ließ sich überzeugen, dass es sich um eine ernste Sache handelte. Auf zwei Seiten führte sie in einem Brief aus, was ihre Familie mit dem Häuschen vorhabe, schließlich wollte die Gemeinde auch vom Konzept überzeugt sein. Die Mitbieter hätten lediglich „zwei Zeilen per E-Mail“ geschickt, weiß Staller, schließlich warteten sie und ihr Lebensgefährte die letzten Minuten des Bieterverfahrens im Rathaus ab. „Das war eine aufregende Sache“, sagt sie; wie bei Ebay, nur, dass es um eine weit größere Ware ging. Bürgermeister und Verwaltungsangestellte seien schließlich gekommen und hätten gratuliert, auch wenn der Verkauf des Hauses vor dem Notartermin auch noch vom Marktrat abgesegnet werden musste.

Gut 17 000 Euro haben schließlich den Zuschlag erhalten; weitere 70 000 will Manuela Staller ins rund 130 Quadratmeter große Haus investieren: „Dafür kriegen wir es fertig“, zeigt sie sich überzeugt. Vor allem wegen der enormen Eigenleistung, die die ganze Familie samt Freunden investiert. Immer wieder reisen Helfer aus der Heimat trotz der rund 350 Kilometer Entfernung an und packen mit an.

Zu tun gab und gibt es wahrlich genug. Auf dem Gebälk lagen die nackten Dachziegel, erzählt Staller. Die Vormieterin „hat sich ja dumm und dämlich geheizt“. Im Zwischenboden sei der Taubenkot schon regelrecht versteinert gewesen. „Es musste alles raus“, erzählt Staller, „es war ein unglaublicher Dreck.“ Doch was im Dach anfing, hörte auf dem Boden noch lange nicht auf – denn den stemmte die Familie sogar noch aus, da die Deckenhöhe im alten Haus nicht ausreichte. „Teilweise mussten die Fundamente unterfüttert werden“, so Staller, „und unter dem Boden war alles verfault.“

Ständerwände und Rigipsplatten im Obergeschoss vermitteln eine Ahnung, dass die Wohnung gemütlich wird, wenn sie erst einmal rundum fertig ist. Für Wärme sorgen soll in Zukunft eine Infrarotheizung. Die Zeit drängt durchaus, denn Sharis Schwester, Manuelas Töchterchen Ida, wird am 15. August in Rheinland-Pfalz eingeschult. „Das ist für die Wohnung die Deadline“, sagt Mutter Manuela. Denn dann könne sie nicht mehr tage- oder gar wochenlang wegbleiben, um in Bayern ein Haus herzurichten. Schon bislang sei der Sommer „eine harte Zeit“ für Ida und den zweijährigen Moritz gewesen, waren sie doch oft in Alfershausen dabei. Ihr sei es immer schwergefallen, ihnen zu erklären, dass sie wieder nicht ins Schwimmbad gehen könnten. „Ich kann sie hier nicht einmal rauslassen“, sagt Manuela Staller. Die Lkw bretterten auf der Staatsstraße einfach zu schnell vorbei.

Der Verkehr nur einen Meter von der Haustür entfernt ist ihr ein Dorn im Auge. Dafür zeigt sie sich sehr angetan „von der Freundlichkeit der Leute hier“. Dass der Mittelfranke als eher verschlossen gilt, kann sie nicht verstehen: „Wir sind von Anfang an von allen freundlich empfangen worden, jeder hat einem weitergeholfen.“ Ob der Elektriker aus Kleinhöbing, dem sie in der Pizzeria über den Weg gelaufen sei und der sofort zugesagt habe zu kommen oder die Nachbarn, die umstandslos Pakete annehmen, wenn keiner zu Hause ist – Manuela Staller schwärmt regelrecht von Alfershausen und der Region.

So schnell wird die Familie – und vor allem Tochter Shari – voraussichtlich auch nicht wieder gehen, das Hausprojekt ist durchaus längerfristig angelegt. Denn Ausbildung und Studium dauern insgesamt fünfeinhalb Jahre, danach steht Shari weitere drei Jahre bei Audi in der Pflicht. Da das Haus über zwei Stockwerke verfügt, denkt die Familie darüber nach, das Erdgeschoss – wenn es fertig ist, es wird erst richtig angegangen, wenn der obere Stock saniert ist – zu vermieten. Etwa an einen von Sharis Arbeitskollegen, der vor demselben Wohnungsproblem steht.

Vermietung ist laut Mutter Manuela auch ein Thema, wenn die Tochter das Häuschen einmal nicht mehr braucht. Für sie sei es gut gewesen, dass kein Grundstück zu pflegen ist. Doch für eine Familie, die sich ein Eigenheim zulegen möchte, sei dies wohl undenkbar – „zum Vermieten, glaube ich, geht es schon“, sagt Staller. Gerade mit Blick auf die Preise in Ingolstadt schon für einzelne Zimmer. Sie habe in der Nähe schon viele Häuser gesehen, die leerstehen und verfallen, sagt sie auch. Die Attraktivität der Städte trage wohl zu dieser Landflucht der Gegenwart bei. „Bei uns ist es ein bisschen andersherum“, stellt Manuela Staller fest. Und lächelt zufrieden.

Glücksfall für die Marktgemeinde

Alfershausen (luf) Ein derart erfolgreiche Win-win-Situation wie im Fall des Anwesens Nummer 23 in Alfershausen ist nicht gerade alltäglich. Weil die Familie Staller/Hahn aus Rheinland-Pfalz es saniert, strahlt man auch bei der Marktgemeinde Thalmässing.

Mittlerweile ist es mehr als ein Jahr her, dass die Mitglieder des Thalmässinger Bauausschusses ziemlich lange Gesichter machten. So richtig wusste niemand, was man denn mit dem alten und maroden Haus anfangen solle; die letzte Mieterin war gestorben, die Kommune als Besitzerin des Hauses wollte kein Geld hineinstecken. Umso mehr, weil das Anwesen auf die Grundstücksgrenze zur Staatsstraße 2225 gebaut ist, zwei Meter daneben donnern Lastwagen vorbei, einen Garten gibt es nicht. Gleich abreißen oder einen Käufer suchen – den man wahrscheinlich nicht finden würde –, vor dieser Frage stand der Ausschuss seinerzeit. Man gab dem Haus eine Gnadenfrist bis Ende September.

Doch dann wurde die Gemeinde überrascht: Noch bevor das Bieterverfahren im Internet angelaufen war, trudelte das erste Angebot ein – weshalb das Mindestgebot gleich einmal auf 10 000 Euro hochgeschraubt wurde. „Wir hatten viele Anfragen“, erinnert sich der Kämmerer Martin Obermeyer, „vor allem aus dem fremdsprachigen Raum.“ Zumindest eine Handvoll Bewerber wurde konkret und gab ein Angebot ab. Den Zuschlag erhielten die neuen Besitzer letztlich für 17 100 Euro.

Der Preis sei nicht das ausschlaggebende Kriterium gewesen, sagt Obermeyer. Das Bieterverfahren sei so ausgestaltet gewesen, dass auch das Konzept die Gemeinde überzeugen musste: „Wir wollten dort kein Zwischenlager, dann wäre das Haus noch weiter verfallen.“ Dass das Häuschen zum Wohnen hergerichtet wird, ist für Obermeyer „eine tolle Sache“, weshalb er für die Familie auch großes Lob parat hat. „Es ist echt stark, was da passiert, man muss nämlich richtig ranklotzen.“ Man habe im Gespräch mit offenen Karten gespielt, auch alle Nachteile des Hauses zur Sprache gebracht. Dennoch habe sich Manuela Staller über den Zuschlag „tierisch gefreut“.