Das stumme Jahr

19.02.2017 | Stand 02.12.2020, 18:37 Uhr

Zum Bericht "Weniger gefiederte Wintergäste" (EK vom 15. Februar):

In Anlehnung an das Buch der Biologin Rachel Carson aus dem Jahr 1962 "Der stumme Frühling" mit der Vorhersage einer Verödung der Tier- und Pflanzenwelt kann heute "Vom stummen Jahr" gesprochen werden. Szenarien, die von den einschlägigen Natur-, Tier- und Jagdschutzverbänden gezeichnet werden, untertreiben. Wer sich heute viel in Wald und Flur aufhält, muss mit tiefem Erschrecken feststellen, dass nur noch wenige Singvögel vorhanden sind. Bei einem langen Spaziergang im Mariensteiner Wald sah ich, trotz geschulter Jägeraugen, als einzigen Vertreter der Fauna einen Buntspecht.

In meiner Jugendzeit in den 1950er-Jahren erlebte ich im Altmühltal noch den Kiebitz und den Wiedehopf, den Pirol und die Schwanzmeise, Haubenmeise, das Goldhähnchen, den Zaunkönig und viele der so liebenswürdigen Rotkehlchen, um ein paar zu nennen. In den Hofmühlwiesen lockte abends der Wachtelkönig mit markantem Ruf seine Familie zusammen, und der schillernde Eisvogel sauste über die Wasserfläche. Im Herbst waren die Leitungsdrähte voll Schwalben, die sich auf ihrem Weg nach Süden ausruhten, und um den Eichstätter Rathausturm jagten schrill pfeifend in gewaltigem Tempo die Mauersegler. Sie sind alle verschwunden. Nicht einmal ein Eichkatzl ist zu sehen, und beim abendlichen Ansitz muss man froh sein, wenn eine Amsel sich beim Suchen nach Würmern zusehen lässt. Seit Jahren steigt keine Lerche mehr jubilierend in den Himmel. Viele Jägerkollegen bestätigten, dass sie wochenlang kein Reh mehr gesehen haben.

Die Ursachen sind vielfältig - manches lässt sich kaum ändern. Was getan werden kann, ist ein strikt durchgesetztes Verbot des Zugvogelfangs in den südeuropäischen und afrikanischen Ländern. Gestoppt werden sollte der "Landfraß", zumal in allen Städten und Dörfern reihenweise Wohnhäuser und nicht mehr gebrauchte Scheunen zum Ausbauen leer stehen.

Ich bin mir sicher, dass es viele Zeitgenossen gibt, denen die Tiere im Wald, die Vogelwelt und die Käfer piepegal sind. Aber: Am Ende der Kette steht der Mensch!

Josef Ettle

Eichstätt