"Die Türken haben ein gewaltiges Potenzial"

11.02.2009 | Stand 03.12.2020, 5:12 Uhr

Bei der Fußball-Europameisterschaft feierten Deutsche und Türken gemeinsam auf dem Eichstätter Marktplatz. Eine solche Stimmung und Solidarität würden sich viele türkische Mitbürger öfter wünschen.? Archi - Foto: chl

Eichstätt (EK) Der Vorwurf steht im Raum: "Türken sind in Deutschland schlecht integriert." Damit hätten sie schlechtere Bildungs- und Aufstiegschancen. Doch sehr viele Türken sind bereit, sich zu integrieren, sich aktiv einzubringen in die Gesellschaft – aber nicht um den Preis der Selbstaufgabe.

Sie seien stolz auf ihre Herkunft und auf ihre Kultur, sagen Gülfari und Dagistan Kutlu. Beide betrachten Eichstätt als ihre Heimat: "Wenn wir in der Türkei sind, sagen wir: Fahren wir nach Hause und meinen Deutschland", erzählt Gülfari Kutlu. Dennoch wollen sie – obwohl beide den deutschen Pass besitzen – als türkisch stämmig wahrgenommen werden. Ihr Sohn, in Deutschland geboren, besucht zurzeit eine Schule in der Türkei, denn: "Er soll seine Wurzeln kennen."

Der Sohn beherrscht drei Sprachen: neben Türkisch und Deutsch auch Englisch. Solche Möglichkeiten hätten deutsche Kinder oft nicht, sagt seine Mutter. Gleichwohl lasse Deutschland dieses Potenzial brach liegen. Forderungen der Wirtschaft nach Fachleuten von außen kann Gülfari Kutlu deshalb nicht verstehen. "Warum fördert Deutschland seine eigenen Kinder nicht, unabhängig von der ethnischen Herkunft" Kinder seien wie Bäume. Man müsse sie hegen, pflegen, von Grund auf stützen. "Wenn das gemacht wird, wer erntet dann das Obst? Deutschland!"

Bildung und Sprache sind auch für Mustafa Dilaver und Mustafa Gürel der Schlüssel zur gelungenen Integration. Die beiden 17-Jährigen besuchen die elfte Jahrgangsstufe des Willibald-Gymnasiums, wenn auch in getrennten Klassen. Wie die ältere Generation pendeln sie zwischen den Kulturen, tun sich damit aber wesentlich leichter. Beklagen ältere Türken nicht selten, dass sie hier als Ausländer gelten und in der Türkei ebenfalls, wo man sie "Deutschländer" nennt, so hat sich die junge Generation zumindest hier in Eichstätt ganz gut eingerichtet. Mustafa Dilaver beispielsweise spricht mit seinen Eltern eher Türkisch und mit seinen Brüdern eher Deutsch. Selbstverständlich haben die beiden 17-Jährigen auch deutsche Freunde.

Obwohl sich ein Türke tendenziell schwerer mit der Integration tue, räumt Mustafa Gürel ein. Denn die Kulturen seien doch recht verschieden, ebenso die Religionen. Es herrschen genügend Vorurteile, Stichwort "Zwangsehe". Die gebe es natürlich, bestätigen die beiden. Aber das sei kein Bestandteil türkischer Kultur. Mehr noch: "Zwangsehen gibt es nur bei denen, die den Islam nicht leben." Islam bedeute schließlich auch "Frieden".

Dass Deutsche und Türken exzellent miteinander auskommen können, habe etwa die Fußballweltmeisterschaft gezeigt, bei der gemeinsam gefeiert wurde. "Das hätte ruhig so weiter gehen können." Die Gymnasiasten ärgert, dass in den Medien oft nur die Türken gezeigt werden, "die Mist bauen", aber viel zu wenig diejenigen, die erfolgreich sind.

"Die Türken haben ein gewaltiges Potenzial", ist Mustafa Gürel überzeugt. "Die Türken haben Leidenschaft und können viel bewegen." Das hätten schon ihre Väter und Großväter bewiesen, die aktiv am Wirtschaftswunder mitgewirkt haben. Auch heute, so war allgemein zu hören, sind die türkisch stämmige Mitbürger wichtige Faktoren im Wirtschaftsleben. Sie zahlen Steuern und investieren in die Zukunft.

Immer wieder kommt das Gespräch darauf, dass sich Erfolge in der Integration nur über Bildung, Sprache, Toleranz und gegenseitiges Verständnis erreichen ließen. Der 42-jährige Kaufmann Hamit Dilaver beklagt, dass Deutsche und Türken seit 40 Jahren zusammen leben, aber immer noch Abstand voneinander halten. Das sei durch die Angst vor dem Unbekannten bedingt. "Wir brauchen Solidarität, dann werden die Probleme einfach gelöst." Deshalb: "Deutsche Nachbarn sollten doch mal an die türkische Haustür klopfen."