Wellheim
Engagement (ge-)fordert

27.11.2015 | Stand 02.12.2020, 20:29 Uhr

Foto: DK

Wellheim (EK) Seit rund eineinhalb Jahren leben Flüchtlinge in Wellheim. 15 Ehrenamtliche kümmern sich um die Menschen - in ihren verschiedenen Lebensfeldern. Aber bei der Hilfe hakt es auch an vielen Stellen.

„Eins, zwei, drei, vier...“ In aller Ruhe zählt Karola Kugler und häkelt dabei eine Masche nach der anderen. Konzentriert beobachtet die 19-jährige Meaza jede Bewegung. Sie macht sie nach. Einen Handschuh hat sie fertig, der zweite lässt nicht mehr lange auf sich warten. Stolz ist sie darauf. Wie wichtig ist dieser Moment der Begegnung, das laute Zählen auf Deutsch, die Beschäftigung miteinander. Meaza ist mit ihrem Mann Haben und dem sieben Monate alten Sohn aus Eritrea geflohen und lebt seit einem halben Jahr in einer Flüchtlingsunterkunft in Wellheim.

Der ehemalige Gasthof ist alles andere als luxuriös: Im Gemeinschaftsraum tropft nach einem Rohrbruch Wasser aus der Decke, die Küche, die von allen Bewohnern genutzt wird, ist schmuddelig, eine Herdplatte ist noch an – vergessen oder vielleicht, weil es kalt ist im Raum. Karola Kugler und Meaza sitzen im Obergeschoss, in einem der kleinen Gästezimmer, in denen die Menschen, überwiegend Familien aus Eritrea, jetzt hausen. Ein Doppelbett steht an der Wand, in der Mitte ein kleiner Tisch, daneben eine durchgesessene Couch, viel Platz ist nicht. Die meisten haben kein eigenes Bad oder WC. Aber immer noch um Welten besser als ein durch Bauzäune und Planen abgetrenntes Abteil in einer Turnhalle. In einem dieser kleinen Zimmerchen hat sich eine Menschentraube versammelt: drei junge Mütter aus der Marktgemeinde, die mit Strick- und Nähnadeln hantieren, konzentriert beobachtet und imitiert von dunkelhäutigen Frauen. Auch Haben macht mit und häkelt fleißig.

Man erfährt eine Gastfreundschaft, wie sie in afrikanischen Ländern so selbstverständlich ist: Blitzschnell deckt eine der jungen Eritreerinnen, die meisten sind erst Anfang 20, den kleinen Tisch mit Gläsern, schenkt Cola ein und fordert breit lächelnd mit „sit down“ zum Platznehmen auf. Man verständigt sich mit ein paar Brocken Englisch; Hermela, die vor ihrer Ankunft in Wellheim vier Jahre lang in Griechenland gelebt und dort auch ihre Tochter Meri zur Welt gebracht hat, dolmetscht. Aber nur nach Aufforderung und nur wenig. Die anderen Frauen schauen, beobachten, lächeln und überschütten ihre Zuhörer manchmal auch mit ganzen Salven in ihrer eigenen Sprache, Tigrinya, in der vergeblichen Hoffnung, man möge vielleicht ein Wort verstehen. Da kommt schon mal Frustration auf. In diesem Moment ist davon nichts zu spüren, die Frauen kommunizieren mit Blicken und Gesten.

Deutschunterricht erhalten diese Flüchtlinge bisher nur minimalst: Seit Semesterbeginn kommen einmal in der Woche Mitarbeiter der Tun.Starthilfe. „Sie wollen so gerne Deutsch lernen, aber es ist niemand da, der es ihnen beibringt“, weiß Sonja Brischke, die regelmäßig mit ihrem Sohn zum Stricken und Spielen kommt. Die 34-Jährige möchte die jungen Flüchtlinge nicht einfach so ihrem Schicksal überlassen, sondern sie aus ihrer Einsamkeit holen. Dass die Flüchtlinge hier komplett allein gelassen würden, wie eine von ihnen bei einem Besuch der Bundestagsabgeordneten Eva Bulling-Schröter in der Unterkunft am Marktplatz vor einigen Wochen darstellte (wir berichteten), wollen die Ehrenamtlichen nicht stehenlassen: Sie sind wütend darüber.

Neben der Sozialarbeiterin der Caritas, den Studenten der Tun.Starthilfe und den Mitarbeitern der Gemeinde investieren etwa 15 Einheimische regelmäßig unentgeltlich Zeit in die Betreuung der Flüchtlinge, sei es durch Fahrdienste, in der Kleiderkammer (siehe eigener Bericht), bei der Hausaufgabenbetreuung, mit sporadischem Sprachunterricht, beim Handarbeiten, beim Bereitstellen von Sachspenden und vielem anderen mehr. Der Wellheimer Wertstoffhof ist bei der Sammlung von Möbeln und Haushaltsutensilien eine „wichtige Schaltstelle“, wie Dietmar Schröter betont. Zwei der Ehrenamtlichen haben kürzlich den Kurs „Lehren lernen“ absolviert, in dem die Tun.Starthilfe Ideen und Instrumente zur Sprachvermittlung anbietet. Familienpatenschaften, in denen sich ein oder zwei Helfer um einzelne Personen oder Familien kümmern, könnten zur besseren Bewältigung der vielen Aufgaben ein erster Lösungsansatz sein.

Die Bemühungen der Ehrenamtlichen sind enorm wichtig. Dennoch erhalten sie nicht immer Bewunderung für ihr Engagement. Vielmehr müssen sich manche von ihnen rechtfertigen, warum sie „zu denen“ gehen, müssen sich Eltern oder Partnern stellen, die sich Sorgen um ihr Wohlergehen machen, müssen in Vereinen ihren Einsatz verteidigen – statt Unterstützung zu erhalten. Aber sie machen weiter. „Es ist unsere Aufgabe als Christen. Wo, wenn nicht hier, können wir zeigen, was Christ sein heißt“, sagt eine ältere Frau, die froh ist, helfen zu können, ihren Namen aber nicht in der Zeitung stehen haben will. Sie liest den Flüchtlingskindern regelmäßig vor: „Mir gibt das etwas zurück. Diese Menschen sind so dankbar.“ Ihr Mann repariert alte Fahrräder und andere Dinge, die dann zur Verfügung gestellt werden.

Einige ehrenamtliche Helfer vermissen bislang das Engagement der katholischen Kirche. Aber es scheint, als erkenne man dort nun auch die Notwendigkeit zu helfen. Pfarrer Georg Guggemos erzählt, er besuche die Unterkünfte gelegentlich und lade die Flüchtlinge zu Familiengottesdiensten ein. Gemeindereferentin Ramune Reisch berichtet vom Jugendnachmittag, bei dem eine Gruppe von acht syrischen Kindern unter Begleitung von Ursula Wawra begeistert teilgenommen hat. Wawra ist von Anfang an dabei: Die Vertreterin der evangelischen Kirchengemeinde setzt sich seit Ankunft der ersten beiden Flüchtlingsfamilien aus Syrien in Wellheim vor knapp eineinhalb Jahren vor allem für schulische Angelegenheiten und Sprachförderung der Kinder ein. Sie ist selbst Lehrerin und hat gerade eine „ihrer“ syrischen Familien in die Eigenständigkeit verabschiedet: Der Mann hat eine Arbeitsstelle in Dachau gefunden. Pragmatisch, wie sie ist, zeigt sie der achtjährigen Feven zu Fuß den Weg zur Schule und testet dabei gleich noch deren Deutschkenntnisse: Es wird gezählt, die einzelnen Körperteile und das Pausenbrot werden benannt. Mittags holt sie Feven wieder ab und bringt sie nach Hause; und weil die berufstätige Wawra das nicht jeden Tag tun kann, organisiert sie gleich noch, dass Feven ab dem nächsten Tag mit dem Nachbarskind zur Schule laufen kann. „Ich will, dass die Kinder optimal gefördert werden“, sagt Wawra, selbst vierfache Mutter. Sie sei Mittler für die Schule und Ansprechpartnerin für die Eltern und werde dadurch automatisch auch eine Art Vertrauensperson für die Familien.

„Ich bin mir aber nicht sicher, ob den Flüchtlingen klar ist, dass wir so viel ehrenamtlich machen“, überlegt die 52-Jährige. Dadurch würden die Asylsuchenden vieles oft für selbstverständlich ansehen und Forderungen stellen, die die Ehrenamtlichen gar nicht erfüllen könnten. Es seien dringend mehr professionelle Mitarbeiter und auch Übersetzer notwendig, fordert Wawra, man brauche einen hauptberuflichen Ansprechpartner, der mindestens viermal pro Woche da ist. „Wenn Integration gelingen soll“, mahnt sie an die Politik gewandt, „muss man sich schon überlegen, wie viele Flüchtlinge ein Ort verträgt.“ Die Ehrenamtlichen stoßen immer wieder an ihre Grenzen, sprachliche wie organisatorische, aber „wir wursteln uns schon irgendwie durch“. Ein gut funktionierendes Netzwerk der Ehrenamtlichen zum Austausch untereinander fehlt bisher, nicht nur auf lokaler Ebene, sondern auch regional. Dass nun ab 1. Januar eine Koordinatorin für ehrenamtliche Helfer im Landratsamt tätig werden wird, dürfte vor diesem Hintergrund nur ein kleiner Schritt sein.