Titting
Bolivien tickt anders

Fabian Raab berichtet über sein freiwilliges soziales Jahr in dem südamerikanischen Staat

27.02.2015 | Stand 02.12.2020, 21:36 Uhr

Der Tittinger Fabian Raab inmitten seiner Schützlinge während seines Aufenthalts in Bolivien - Fotos: Raab

Titting (EK) In Bolivien gehen die Uhren anders – und zwar im wörtlichen Sinn. Das und noch weitere Kuriositäten lernten die Besucher bei einem Vortrag von Fabian Raab kennen. Der 26-jährige Tittinger hat ein freiwilliges soziales Jahr in Bolivien verbracht. Jetzt berichtete er über seine Erlebnisse.

Bevor Raab die Zuhörer mit auf seine spannende Reise nahm, stellte er das weltwärts-Programm und seine Entsendeorganisation ICJA vor, welche ihn bei der Planung und Durchführung seines Auslandsjahres unterstützten. Der junge Freiwillige gelangte so nach La Paz in eine Suppenküche für Bedürftige mit angeschlossener Kindertagesstätte.

Dass zwischen Titting und seinem Einsatzort in der bolivianischen Hauptstadt nicht nur 10 633 Kilometer Luftlinie liegen, sondern auch große Unterschiede hinsichtlich Natur, Kultur und Lebensweise, konnte Raab mit eindrucksvollen Bildern und Geschichten vermitteln.

Vieles aus dem Bericht klingt für den heimischen Zuhörer merkwürdig. So zum Beispiel die Tatsache, dass Bolivien zwar keinen Meereszugang besitzt, aber eine einsatzfähige Marine. Ihre Aufgabe beschränkt sich auf die Sicherung von Binnen-Grenzgewässern wie dem Titicacasee und größeren Flüssen im Amazonasbecken.

Auch ein 6:1 Sieg der bolivianischen Fußballnationalmannschaft über das Nachbarland Argentinien mit seinen Weltstars um Lionel Messi sorgt für Verwunderung. Es lässt jedoch erahnen, wie gewaltig sich die Höhenluft bei knapp 4000 Metern über dem Meeresspiegel auf das Fußballspielen, aber natürlich auch auf das Leben und Arbeiten auswirkt.

Fabian Raab hatte wenig Probleme, sich in dieser Höhe zurechtzufinden. Sowohl in seiner Gastfamilie als auch bei der Arbeit gewöhnte er sich schnell ein. Dabei halfen ihm seine Ausbildung als Heilerziehungspfleger und die Erkenntnis, dass der Alltag in der bolivianischen Kindertagesstätte dem deutschen Kindergartentagesablauf doch sehr ähnlich ist.

Wie echte Armut aussieht, konnte er bei seiner Arbeit in der Suppenküche hautnah erleben. Mehrere hundert Menschen kamen Tag für Tag dorthin, um an eine warme Mahlzeit zu gelangen. Die Kosten von umgerechnet 30 Cent für das Essen waren für die Bedürftigen kaum aufzubringen. Neben der Betreuung der Kinder, Aufgaben im Büro, dem Vorbereiten der Mahlzeiten und dem Abwasch konnte der junge Tittinger auch aktiv mitgestalten. Zum Beispiel indem er einen „Stammtisch“ einführte, bei dem die Besucher der Einrichtung ihre Sorgen und Probleme anvertrauen konnten.

Denkwürdig ist auch Raabs Bericht über die Stadt Potosí. Die Stadt im bolivianischen Hochland ist nicht nur die höchst gelegene Großstadt der Welt, sie galt lange Zeit auch als eine der reichsten Städte des Planeten. Seit dem Mittelalter werden täglich große Mengen Silber und andere Mineralien abgebaut. Dabei bohren sich die Minenarbeiter immer tiefer in die Berge, eine oftmals lebensgefährliche und vor allem schlecht bezahlte Arbeit. So kam der Reichtum, von dem gesagt wird, dass er so unermesslich sei, dass man mit ihm eine Brücke von Südamerika bis nach Spanien bauen könnte, nie in der Bevölkerung an. Knapp zwei Drittel der Bolivianer leben unterhalb der nationalen Armutsgrenze, 40 Prozent sogar in extremer Armut.

Auch die Topographie ist besonders. Bolivien ist zwar dreimal so groß wie Deutschland, hat aber nur zehn Millionen Einwohner, also etwa ein Achtel der Bevölkerung von Deutschland. Viele Gebiete lassen eine dichte Besiedlung nicht zu. Im Hochland ist es sehr karg, trocken und steinig und die Landschaft erinnert an Westernfilme.

Am Amazonas herrscht tropisches Klima. Hier gibt es zudem kaum Straßen, Strom- und Wasserversorgung. Von seiner Begegnung am Amazonas mit Padre Bernard war Raab besonders beeindruckt. Der junge Jesuit hatte seine Berufung nach Rom ausgeschlagen, um in seiner Heimat eine Schule mit Internat zu errichten. Gerade für die Kinder aus den weitentlegenen und durch Hochwasser abgeschnittenen Gebieten ist das Internat die einzige Möglichkeit, um am Unterricht teilnehmen zu können und somit die Chance auf eine fundierte Ausbildung und ein selbstbestimmtes Leben.

Um den dort lebenden Kindern nachhaltig zu helfen, hat sich eine Gruppe aus Titting zusammengefunden, die einen Spendenlauf organisieren (siehe eigenen Bericht).

Trotz der schweren Lebens- und Arbeitsbedingungen und der existenziellen Armut besitzen die Bolivianer, und auch das vermittelte der Vortrag von Fabian Raab, eine positive und liebenswerte Lebenseinstellung. Manches Verhalten mutet skurril an, wie zum Beispiel eine Anordnung der bolivianischen Regierung im Juni 2014, dass der Uhrzeigersinn kurzerhand geändert wird. Damit wollte die Regierung ein Zeichen gegen den Kolonialismus setzen, die eigene Kultur und Identität hervorheben und gleichzeitig darauf aufmerksam machen, dass man sich in einem „Land des Südens“ befindet – in dem die Zeigerbewegung eben gegenläufig ist.