Schambach
Zeit des Neandertalers

Mehrere Forschergenerationen werten den Hohlen Stein aus

30.08.2015 | Stand 02.12.2020, 20:52 Uhr

Die Obere Höhle hat Karl-Heinz Rieder ausgegraben. Wie er dabei vorgegangen ist, lässt sich bis heute nachvollziehen. Die Reste der bergmännischen Abstützungen sind immer noch zu sehen (oben). Der Hohle Stein liegt auf Böhmfelder Gebiet und ist aus Sicherheitsgründen mit einem Gitter verschlossen. - Fotos: baj

Schambach (EK) Er hätte ihn so gern gefunden, den „Urgermanen“. Deshalb ließ Walter Krauß, im „Dritten Reich“ Bürgermeister von Eichstätt und Nazi-Kreisleiter, im Hohlen Stein bei Schambach in den Jahren 1938 und 1939 eifrig graben und buddelte wohl auch selbst mit.

Allein, der „Urgermane“ wollte sich nicht blicken lassen, und der frustrierte Krauß gab sein Vorhaben auf. Von diesem Manko abgesehen ist der Hohle Stein eine der ergiebigsten und wissenschaftlich spannendsten Höhlen der Altmühlalb. Der Archäologe und Kreisheimatpfleger Karl-Heinz Rieder verdankt diesem Fleck seinen Doktortitel.

Der erste, der hier gegraben hat, war Max Schlosser, Konservator am Paläontologischen Museum in München. Er setzte 1901 den Spaten an. Zum Vorschein kamen Überreste eiszeitlicher Tiere, jedoch keine Artefakte. Der nächste war der Münchner Professor Ferdinand Birkner, der 1921/22 systematisch vorging und Suchschnitte anlegte. Er förderte erstmals paläolithische Funde – Steinwerkzeuge aus der Zeit des Neandertalers – hervor. Klingen, aber auch Tierknochen weisen auf späteiszeitliche Jäger hin, die hier ihr Lager aufgeschlagen hatten.

Nach dem Intermezzo mit Krauß, der brachial zu Werke ging und alles, womit er nichts anfangen konnte, einfach den Abhang unter der Höhle hinunterkippte, stieg Carl Gumpert in die Höhlenforschung ein. Gumpert war kein gelernter Archäologe oder Paläontologe, sondern Architekt. Im Ersten Weltkrieg hatte er Röntgenverbrennungen erlitten, die ihn dienstuntauglich machten und ihm eine Rente einbrachten. Er ging erfolgreich unter die Erfinder. So ersann er einen Dachstuhl, der mit einem Drittel weniger Holz auskam als die herkömmlichen. Nun konnte er sich seinem Steckenpferd widmen, der Ausgräberei. Er war es, der die Mühlberggrotte bei Dollnstein entdeckte. „Gumpert gilt as der Erfinder des Mesolithikums“, erzählt Rieder. Auch der Architekt hatte einen Spleen; seiner lautete „Neandertaler“. Von 1951 bis 1953 zog er drei Sommerkampagnen durch. Gumpert arbeitete sich vom Höhleneingang in Ein-Meter-Schnitten ins Innere vor. 1952 fand er heraus, dass es im hinteren Teil einen Durchgang gab und einen zweiten Zugang zur Höhle. Ein Jahr später schaufelte er diesen Durchgang frei. Doch auch hier fand er kein Skelett oder wenigstens Skelettteil des Neandertalers. Vermutlich zähneknirschend gab Gumpert auf. Eine wissenschaftliche Bearbeitung der Fundstücke unterblieb. Lediglich der Prähistoriker Gerhard Bosinski veröffentlichte die allerwichtigsten Artefakte. Das war kaum der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein: Gumpert hatte rund zehn Zentner Tierknochen und etwa 3000 Steinwerkzeuge zutage gefördert. Zahlreiche Funde stammten zudem vom Eichstätter Professor Franz Xaver Mayr, der, wenn auch unsystematisch, die Schutthalde unterhalb der Höhle durchstöbert hatte.

Nun kam Rieder ins Spiel. Er war damals noch Student und wollte promovieren. 1974 bekam er das Material aus dem Hohlen Stein als Thema für die Dissertation angeboten. Über seine engere Heimat die Doktorarbeit schreiben? Rieder schlug sofort zu, erkannte aber schnell, dass er, um eine Systematik in die Funde zu bekommen, selbst graben müsste. Die Sache ist schneller erzählt als getan, aber er bekam die Mittel zusammen und legte 1977 los. In fünf Grabungskampagnen erfassten er und sein Team insgesamt zwölf Meter Sedimente. Er konnte neun Horizonte aus der Zeit des Neandertalers unterscheiden. „Das ist bis heute die umfangreichste Schichtenfolge im süddeutschen Raum“, sagt er. Die jüngeren Funde stammen aus dem Mittelalter, auch römische Münzen, Scherben aus der Hallstatt-Zeit, der Urnenfelderzeit und der frühen Bronzezeit landeten in den Händen der Archäologen.

Schon Gumpert hatte sich mit dem ominösen Durchgang am Höhlenende beschäftigt und festgestellt, dass Rauch vom Feuer in der Höhle oben am Berg hinauszieht. Den Durchgang hatte er freigelegt, mehr nicht. Rieder arbeitete sich weiter vor und schuf ein Loch, durch das er krabbeln konnte.

Hier tat sich eine zweite Höhle oberhalb der ersten auf. Rieder und sein Team erschlossen sie fachgerecht nach Bergbauregeln. Das Holz für die Stempel und Abstützungen bekamen sie vom Forst gestiftet. Die Überreste dieser Kampagnen sind bis heute gut zu erkennen. In Profilgrabungen erreichte Rieder Sedimente, die Gumpert nicht erfasst hatte, und stellte Zusammenhänge her, die sein Vorgänger nicht kannte.

Für Rieder elektrisierend war der Nachweis des Stachelschweins – keine Knochen, aber typische Bissspuren auf den Knochen anderer Tiere. Die lateinische Bezeichnung von Stachelschwein lautet „Hystrix“. Solche „Hystrix-Horizonte“ lassen sich einer bestimmten Epoche zuweisen: der frühen Würm-Eiszeit, die 80 000 bis 90 000 Jahre zurückliegt. Diese Epoche war die bisher letzte Kaltzeit im Alpenraum und endete vor rund 10 000 Jahren. Tatsächlich stieß Rieder noch tiefer vor und erschloss Schichten aus dem „Eem“, der vorletzten Warmzeit. In diesen untersten Schichten tauchte neben Steinartefakten auch eine Feuerstelle auf. Ein Sensationsfund, mit dem die Grabung endete.