Obereichstätt
"Irgendwann überholt uns das"

Nachwuchsmangel: Bäckerinnung blickt mit Sorge in die Zukunft – Streit mit Gewerkschaft

30.11.2015 | Stand 02.12.2020, 20:29 Uhr

Eine Auszubildende hat Innungsobermeister Thomas Margraf mit Simone Bittl in seiner Bäckerei in Obereichstätt. Mindestens zwei fehlen ihm und damit ist er nicht der Einzige in der Branche. - Foto: Hoh

Obereichstätt (EK) Das Bäckerhandwerk plagt vor allem eine Sorge: Der Nachwuchs bleibt aus. Über die Ursachen streiten derzeit der bayerische Landesinnungsverband und die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Doch der eigentliche Grund für den Streit ist ein anderer.

Obereichstätt (EK) Das Bäckerhandwerk plagt vor allem eine Sorge: Der Nachwuchs bleibt aus. Über die Ursachen streiten derzeit der bayerische Landesinnungsverband und die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Doch der eigentliche Grund für den Streit ist ein anderer.

Simone Bittl lernt seit zweieinhalb Jahren in Thomas Margrafs Bäckerei in Obereichstätt. Ihr gefällt die Arbeit, sie mag den Betrieb. Fröhlich und immer mit einem Strahlen begrüßt sie die Kunden und packt ihnen Brezen und Küchle ein. Thomas Margraf, Obermeister der Eichstätter Bäckerinnung, nennt sie „das beste Stück der Bäckerei“.

Gleichzeitig ist Simone Bittl auch seinen einzige Auszubildende und das bereitet ihm Sorgen. Es helfe nichts, wenn man im Betrieb personell zwar noch über die Runden komme, aber nicht gleichzeitig Nachwuchs ausgebildet werde, der das Handwerk eines Tages weiterführen könne, erklärt er. Der Nachwuchsmangel bedrohe das Handwerk und „irgendwann überholt uns das“, befürchtet Margraf.

Die Brenzligkeit der Situation besteht allerdings nicht erst seit gestern. Die Branche klagt seit Jahren. Neu entfacht wurde die Debatte durch einen tariflichen Streit – zwischen dem Landesinnungsverband für das bayerische Bäckerhandwerk und der Gewerkschaft NGG. Die Zahl der Auszubildenden in der Branche sei in den letzten zehn Jahren um zwei Drittel zurückgegangen, so die Gewerkschaft. Und es könnte bald zu einer noch größeren „Nachwuchskrise“ kommen, warnt die NGG Oberpfalz. Denn nachdem die Arbeitgeber den Tarifvertrag für die Branche gekündigt haben, wollten sie „drastische Einschnitte“ durchsetzen: „Weniger Urlaubstage, mehr Sonntagsarbeit, die Streichung des Urlaubsgelds.“

Hintergrund der Auseinandersetzung ist ein Urteil des Landesarbeitsgerichts München im Herbst 2014. Aus dem geht hervor, dass ab vier Jahren Betriebszugehörigkeit jeder Angestellte den vollen Urlaubsanspruch hat. Damit ist der ursprüngliche Manteltarifvertrag hinfällig und muss neu ausgehandelt werden. Doch das gestaltet sich nicht besonders einfach. „Schon jetzt müssen wir feststellen, dass trotz geltender Tarifverträge Bäckereien keine sechs Wochen Urlaub gewähren. Viele Chefs zahlen auch nicht den Arbeitgeberanteil von 380 Euro im Jahr in die Altersvorsorge ein oder verweigern das Urlaubsgeld. Oft werden selbst gelernte Fachkräfte mit 8,50 Euro pro Stunde abgespeist“, beklagt Mustafa Öz, Verhandlungsführer der NGG Bayern. Der Landesinnungsverband sieht allerdings durch das Urteil die Arbeitgeber einseitig belastet. Fünf zusätzliche Werktage Urlaub stehen dem Verband zufolge einem Großteil der Beschäftigten dadurch nun zu. „Die meisten Betriebe können sich das schlichtweg nicht leisten“, erklärt Margraf.

Deshalb strebt der Verband nach einem Ausgleich im neuen Tarifvertrag. Sein Vorschlag: eine Umwandlung des Urlaubsgelds in die Altersvorsorge. Damit sei „keine Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen verbunden“, wie das von der NGG behauptet werde. Die Aussagen der Gewerkschaft nennt der Verband dementsprechend einen „neuerlichen verbalen Fehlgriff“ und eine „einseitige Darstellung.“ Der Verband erhebt darüber hinaus den Vorwurf, die NGG verbinde illegitimerweise zwei voneinander unabhängige Sachverhalte: die Tarifkündigung und die Nachwuchssituation. Dies sei eine Diffamierung der gesamten Branche. Damit befänden sich die Verhandlungen nun an einem Punkt, an dem nicht mehr Vorschläge über den Tisch gereicht werden, sondern Vorwürfe. „In der Vergangenheit hat man sich zusammengesetzt, verhandelt und den Konsens dann auch umgesetzt. Öffentliche und mediale Schlachten führen zu nichts“, klagt Margraf.

Darüber hinaus sei nicht zu vergessen, dass es Menschen gebe, die sich durch die Verhandlungsblockade tatsächlich in einer brenzligen Situation befinden: Arbeitnehmer, die bereits vor der Kündigung des Tarifvertrags in ihrem Betrieb arbeiteten, sind noch durch den alten Vertrag geschützt. Neuen Angestellten hingegen bleibe nur die Absicherung durch die gesetzlichen Regelungen. Für Betroffene bedeute das nur 24 statt der bisher 30 bis 36 Urlaubstage sowie kein Zuschlag für Mehrarbeit und die Arbeit an Sonn- und Feiertagen.

Gerade für diese Arbeitnehmer wäre eine schnelle Einigung dringend notwendig und wünschenswert. Dessen seien sich auch die Konfliktparteien bewusst, betont der Landesinnungsverband. Er signalisiert der NGG Verhandlungsbereitschaft – sobald eine Einigung in den Streitfragen zum Manteltarifvertrag und Altersvorsorgetarifvertrag erzielt worden ist.