Nach der Flut: Chrastava in Trümmern

20.08.2010 | Stand 03.12.2020, 3:45 Uhr

In der Grundschule stapeln sich die Spenden, die Koordinatorin Dana Rubensová gemeinsam mit anderen Freiwilligen sortiert und dann zu den Bedürftigen bringt. - Foto: Zimmermann

Chrastava (EK) Die Straße bedeckt eine dicke Schlammschicht. Berge von Müll stapeln sich. Herausgerissene Dielen. Verquollene Möbel. Kleidung. Zwischen all den Menschen, die ihr zerstörtes Hab und Gut vor den Häusern auftürmen, herrscht Chaos. Dutzende Feuerwehrautos und Armeefahrzeuge versuchen, sich einen Weg durch das Gewirr zu bahnen. Diesen Anblick bot Eichstätts Partnerstadt Chrastava (Kratzau) am Montag vor zwei Wochen. Es war der 9. August, der zweite Tag nach der Flutkatastrophe.





 Jetzt, anderthalb Wochen danach, bietet sich ein erster Überblick, der deutlich macht: Die aktuellen Spendenaktionen werden gebraucht.

"Die Flut brach am Samstag gegen vier Uhr nachts über uns herein", erzählt Bürgermeister Michael Canov. In seinem Dienstzimmer herrscht derzeit ein ständiges Kommen und Gehen. Der Katastrophenstab, der die Hilfe für die Bevölkerung organisiert, hat hier sein Hauptquartier. "Sofort wurde die Bevölkerung über Lautsprecher gewarnt, die ersten etwa 20 Familien evakuiert." Gegen 11 Uhr kam die zweite Flutwelle. Der Staudamm im nahen Nová Ves war gebrochen. Der gesamte Marktplatz wurde überflutet. Nur die Spitze des Brunnens schaute noch aus dem Wasser hervor. Es spielten sich dramatische Szenen ab.
 

Der bärtige Bürgermeister erzählt: "Ungefähr 60 Menschen mussten die drei Armeehubschrauber von den Dächern retten. Darunter waren auch 20 Kinder von einem Zeltlager." Die hatten sich auf das Dach des Busbahnhofs gerettet. Einem Mann, der sein Auto noch vor dem rasch steigenden Wasser in Sicherheit bringen wollte, blieb am Ende nichts anderes übrig, als auf dem Autodach vier Stunden auf die Rettung aus der Luft zu warten. "Dank der Helikopter und Bagger wurden keine Menschen lebensgefährlich verletzt", erzählt Michael Canov. In nach oben gereckten Baggerschaufeln konnten Dutzende Einwohner Chrastavas aus dem ersten Stock ihrer Häuser in Sicherheit gebracht werden.

Der kräftige Stadtchef erhebt sich, um persönlich die schlimmsten Auswirkungen des Hochwassers zu zeigen: Auf der Fahrt an den Stadtrand wird immer noch fleißig aufgeräumt. An einigen Stellen brennt Unrat. Gasfirmen reparieren die Leitungen, die immer noch nicht funktionieren.

Dort, wo eigentlich die Landstraße nach Nova Ves beginnt, ist die halbe Asphaltdecke im Fluss verschwunden. "Hier klaffte ein riesiger Krater", erzählt Canov. Der wurde mittlerweile mit Schotter gefüllt. An der gesperrten Straße steht ein vereinsamtes Buswartehäuschen: "Es gibt schon einen Witz", versucht es der Bürgermeister mit Zynismus, "Optimisten warten hier schon wieder auf den Bus."

Alle sieben Fußgängerbrücken wurden zerstört. Und die zwei Hauptbrücken. Eine davon – die berühmte Jugendstilbrücke, die bis vor zwei Wochen erst aufwendig restauriert wurde – ist mittlerweile von der Armee durch eine Pontonbrücke ersetzt worden. Sie ist ausschließlich dem Lkw-Verkehr vorbehalten. Canov weiß den Grund: "Der Warentransport des Skoda-Zulieferers, der auf der Kirchen-Seite des Flusses liegt, muss schließlich gewährleistet sein."

Bewacht wird sie von Prager Polizisten, die den fünf Kratzauer Beamten zur Seite stehen. Der Staat stelle die Brücke drei Jahre lang kostenlos zur Verfügung.

Dennoch muss die Stadt in den nächsten Wochen eine Brücke bauen: Die Schule beginnt am 1. September, da wird ein sicherer Schulweg über den Fluss gebraucht. Jaroslava Zdarsová, die gerade ihren dreijährigen Enkel im Kinderwagen über die gesperrte Brücke schiebt, gehört zu den "Glücklichen", die nur Wasser im Keller hatten. Entschuldigend fügt sie hinzu: "Ich muss hier rüber, das ist der einzige Weg in die Stadt."

Das Geburtshaus des berühmten Malers Joseph Ritter von Führich, welches erst vor wenigen Wochen nach liebevoller Rekonstruktion wiedereröffnet wurde, stand ebenfalls bis etwa einen Meter unter Wasser. Die Dielen sind gequollen, das Mobiliar trocknet in der ersten Etage. Das große Haus daneben hat die Flut komplett fünf Zentimeter verrückt. Wie weitere neun Häuser muss es abgetragen werden. "Bei 30 anderen sind sich die Statiker noch nicht einig", sagt Canov. Drei Häuser sind bereits in der Katastrophennacht völlig vom Erdboden verschwunden. Die Bewohner mussten in Nachbargemeinden untergebracht werden. Neben 200 Häusern wurde auch die Kegelhalle, wo schon oft Turniere mit den Eichstättern stattfanden, unter Wasser gesetzt und arg beschädigt. "Den Gesamtschaden an Privat-, Stadt- und Firmeneigentum schätzen wir zur Zeit auf eine Milliarde Kronen", sagt der Bürgermeister resigniert. Eine Milliarde Kronen, das sind etwa 40 Millionen Euro.

In der Grundschule stapeln sich derweil die Spenden. Putzmittel, Kleidung, Geschirr. Die Koordinatorin Dana Rubesová erzählt davon, dass sich die Hochwasseropfer schämen, sich hier mit dem Nötigsten einzudecken. Also gehen Stadtangestellte, die mit den Freiwilligen in Schichten arbeiten, zu den Bedürftigen. Gebraucht würden noch Schubkarren, Maurerhammer und -kellen, Äxte, Spachteln, Spitzhacken, Meißel und Rechen.