Meckenhausen
Die Grenzen der Inklusion

Sechs hörgeschädigte Kinder von Regens Wagner Zell lernen in der Grundschule Meckenhausen

12.02.2016 | Stand 02.12.2020, 20:12 Uhr

Szenen aus dem Schulalltag: Gemeinsam unternehmen die beiden Klassen aus Zell und der Grundschule Meckenhausen zumindest einmal am Tag etwas. Diesmal ist die Wiener Kinderoper zu Gast, ein besonderes Highlight für die Kinder. Monika Stanzel dolmetscht für die hörgeschädigten Kinder, Unterrichtshilfe Kerstin Hörath fördert sie zusätzlich (oben). - Fotos: Kofer

Meckenhausen (HK) Vom ersten Schultag an wollten die sechs gehörlosen Kinder von Regens Wagner Zell zusammen mit der regulären Klasse von Inge Benz in der Grundschule Meckenhausen lernen. Doch schnell zeigten sich die Grenzen des Inklusionsversuchs. "Wir haben unterschätzt, wie die Hörbehinderung als Grenze zwischen den Kindern wirkt", sagt Monika Stanzel, Lehrerin der Gehörlosen. Trotzdem hält sie das Kooperationsprojekt für gelungen. "Ich finde, dass es den Kindern guttut." Allen.

Es ist ein ganz besonderer Tag in der Grundschule Meckenhausen (Stadt Hilpoltstein). Die Kinderoper Wien gastiert in der Turnhalle. Auf dem Spielplan steht die Zauberflöte. Das Besondere daran: Die Kinder dürfen mitspielen. Am Rand steht Monika Stanzel und dolmetscht für die Gehörlosen, die auf Turnmatten sitzen und gebannt den Auftritt von Papageno und der Königin der Nacht verfolgen. "Theater ist für unsere Kinder etwas ganz tolles, auch wenn sie nicht alles verstehen", sagt Stanzel. Spontan lädt sie die beiden Sänger ein, nach der Pause in ihre Klasse zu kommen. Dort sitzen inzwischen auch die Zweitklässer von Inge Benz. Die Kinder löchern die beiden Darsteller, Stanzel übersetzt in Gebärdensprache. Nicht jedes Wort, aber den Sinn. Um den Hals trägt sie eine kleine Mikrofonanlage. Damit werden für die hörgeschädigten Kinder störende Nebengeräusche herausgefiltert. Die wichtigste Frage an die Opernsänger: Wann kommt ihr wieder? Was spielt ihr dann? "Hänsel und Gretel", lautet die Antwort. Das kennt Lukas, und der Neunjährige aus Zell will es ganz genau wissen: um welche Uhrzeit?

Auf Lukas trifft der Begriff gehörlos nicht zu, er kann sehr viel hören und spricht auch gut. "Der Lukas ist nett", sagen Julia und Sophie, die neben ihm sitzen. "Fußball", sagt Lukas kurz und bündig auf die Frage, was ihm an der Schule in Meckenhausen am besten gefalle. Er strahlt vor Begeisterung. Jede freie Minute spielt er mit den anderen Jungs im Pausenhof. Am liebsten als "Stürmer oder linker Verteidiger". Im Förderzentrum in Zell ist das schwieriger, es fehlt einfach an gleichaltrigen Mitspielern.

"Der Gewinn liegt vor allem im Sozialen, im gemeinsamen Unterricht stoßen wir an unsere Grenzen", sagt Monika Stanzel. Im September 2014 ist man zwar gemeinsam mit der damaligen ersten Klasse von Inge Benz zusammen gestartet, aber schnell war klar, dass ein gemeinsamer Unterricht bis auf wenige Fächer nur eingeschränkt funktioniert. Obwohl die Zeller Kinder bereits zwei Jahre Gehörlosenschule hinter sich hatten und besonders offen sind, brauchen sie viel länger, den Schulstoff zu verstehen, als die hörenden Kinder. Sie brauchen vor allem auch eine andere Aufarbeitung. "Hinterherhecheln hat keinen Sinn", sagt Monika Stanzel. Ihre Kinder brauchen eine besondere Förderung, da sie mehrfach gehandicapt sind. Deswegen fördert Unterrichtshelferin Kerstin Hörath einzelne Kinder zusätzlich und kümmert sich um deren Pflege. Sie wechselt die Batterien der Hörgeräte, sorgt dafür, dass die Kinder ausreichend essen und trinken.

Trotz der Unterschiede unternehmen die beiden Klassen zumindest einmal am Tag etwas gemeinsam. Heute ist es die Opernvorstellung, am Mittwoch der Morgenkreis, am Donnerstag die Sportstunde, am Dienstag Werken und Handarbeit. An vier Tagen sind die Zeller Kinder in Meckenhausen. Vieles funktioniert gut, auch wenn es gelegentlich Probleme gibt. "Der Patrick ist manchmal wütend und jagt uns", erzählt Timo. Sophie und Julia ergänzen: "Der ist manchmal so nervig. Er will mit uns kuscheln oder spielen und hört nicht auf das Stoppzeichen." Dabei schlägt Sophie energisch mit der Handkante auf die flache Hand. Das ist das Zeichen für Stopp. Einige Grundschulkinder lernen seit einem Jahr freiwillig Gebärdensprache, in einer Arbeitsgruppe, jeden Donnerstag in der 6. Stunde. "Aber das kann man nicht in einer Stunde pro Woche lernen", sagt Inge Benz. Frustriert ist sie deswegen nicht. Das Projekt ist für sie immer noch ein Erfolg. "Unsere Kinder sehen einfach die ganze Bandbreite. Sie erkennen, dass nicht jeder nach der gleichen Messlatte gemessen werden kann, aber jeder ist gleich wichtig", sagt die Grundschullehrerin.

"Die Zeller Kinder gehören zu uns dazu", sagt Ulrike Fahrenschon, seit September 2015 Schulleiterin in Meckenhausen. 108 Kinder in fünf Klassen gehen hier zur Schule. Tiefere Freundschaften unter den Kindern scheitern aber nicht nur an der Verständigung, sondern oft auch an der Entfernung. Von den hörgeschädigten Kindern wohnen zwei im Zeller Internat, vier werden jeden Morgen mit dem Bus aus Nürnberg, Schwabach und Ansbach nach Zell gefahren. Von dort geht es weiter nach Meckenhausen.

Nach dem Schlussgong in der Schule trennen sich die Wege wieder. Ein Treffen im Sportverein oder auf dem Spielplatz in Meckenhausen ist so unmöglich. So bleibt es vorerst bei Grillfesten in Zell, gemeinsamen Wandertagen und Weihnachtsfeiern. Im Frühjahr ist ein Ausflug mit Übernachtung in Zell geplant. Für Monika Stanzel ist das eine schöne gemeinsame Aktion. Trotz aller Herausforderungen würden ihre Schulkinder bei dem Projekt enorm profitieren. "Das ist eine Form der Teilhabe, die sie so in Zell nicht haben. Die Kinder freuen sich auf die Schultage in Meckenhausen und das ist schön."