Kipfenberg
Der letzte Mohikaner

01.10.2015 | Stand 02.12.2020, 20:44 Uhr

Was war das nur für eine Aufregung damals, als Archäologen zwischen Ilbling und Kemathen ein menschliches Skelett ausbuddelten – Kinding und Kipfenberg standen Kopf! Und in der Hitze des Gefechts – daran erinnere ich mich noch lebhaft – wurde sogar die falsche Bürgermeisterin informiert. Was muss sich meine arme Rita Böhm gedacht haben, als sich der als „Meier von Ilbling“ angekündigte Knochenhaufen doch auf der Kipfenberger Seite wiederfand.

Nun denn, eine Sensation war es trotzdem. Denn der Mann, der da im Altmühltal ehrenvoll zur (vermeintlich) letzten Ruhe gebettet worden war, war am Lebensende ein bajuwarischer Germanenhäuptling gewesen, zuvor hatte er aber in der römischen Legion gekämpft. Dieser Mann war, wie man bei uns sagt, ein „Scharnierl“. Der Lückenfüller schlechthin. Alles jubelte: Der erste waschechte Bayer war gefunden. Der Urbayer! Direkter Vorfahre von mir, dir, Strauß, Stoiber und Seehofer.

Fürs Gerippe und eine Madame-Tussauds-artige Rekonstruktion in einer Holzkiste richtete man eigens die einstigen Ställe auf der Kipfenberger Burg wieder her – passenderweise direkt neben dem „Geografischen Mittelpunkt Bayerns“. Der Urbayer im Herzen des Freistaats: Da passte einfach alles, da jagte ein Superlativ den anderen.

Aber hoppalla! Unser Kreisheimatpfleger Karl Heinz Rieder (der dem Urbayern überraschend ähnlich sieht, nur der Leibesumfang ist etwas stattlicher) will von Urbayer nichts mehr wissen? Der Häuptling und seinesgleichen, so behauptet er jetzt, ist leider mit uns heutigen Bajuwaren weder verwandt noch verschwägert. Ein böser Bube aus den mongolischen Steppen, der wilde Hunne Attila, habe unsere vermeintlichen Stammesväter abgemurkst. Ratzeputz. Demnach wäre der erste echte Bayer eigentlich der letzte Mohikaner der Bajuwaren und bloß der bucklige Namensgeber für eine bunt zusammengewürfelte Vielvölkergruppe, die sich viel später im entvölkerten Bayern niederließ. Der Bagage gab man nach dieser Theorie im Recyclingverfahren den längst angestaubten Namen „Bajuwaren“. Apropos Bagage: Thüringer, Rheinländer, Ostgoten und – ausgerechnet – Franken. Das sollen unsere wahren Wurzeln sein? Das ist alles nicht wirklich schön und edel, sondern ziemlich ernüchternd: Da wohnt heute in Bayern das prächtigste Volk des ganzen Erdrunds, traditionsversessen, bis die Lederhose durchgehockt ist. Und dann reicht’s nicht einmal für eine ordentliche Ahnentafel bis zur Römerzeit.

Und der „Urbayer“ von Kipfenberg? Was machen wir jetzt mit dem? Im Museum haben sie ihn diese Woche grade aus Fleiß in einer weiteren Rekonstruktion aufgestellt. Stehend, mit Schwert und Schild und Mantel. Er schaut nicht schlecht aus, der Bursche, so einen hätte man schon lieber zum Vorfahren als all das zugezogene Volk. Man müsste es vielleicht doch noch mal auf eine DNA-Analyse ankommen lassen. Obwohl – lieber nicht. Sonst kommt am Ende noch raus, dass der Söder der einwandfrei bajuwarische Vorzeigebayer ist.

Pfüat Gott, Ihr

Schlossleutnant

Lorenz Krach